Zum Innehalten, Betrachten, Staunen, Nachdenken, aber auch zu Diskursen
Öffentliche Kunst regt an

Mit viel Liebe zum Detail: Case Maclaim. Foto: Gerd Kaemper
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Innerhalb von einer Woche entstand auf einer bis dahin, mit Verlaub gesagt, langweiligen Hausfassade am Festweg 1/Ecke Alte Schule ein beinahe 200 Quadratmeter großes Kunstwerk. Denn der Künstler Case Maclaim, mit bürgerlichem Namen Andreas von Chranzowski, realisierte seine Interpretation von Carl Spitzwegs „Der Schmetterlingsfänger“ als Murial.

Die Kunst-Projektreihe „Walls of Vision“ möchte im Auftrag der Dr. Hans Riegel-Stiftung historische Kunstgüter mit Urban Art in die Zukunft transportieren und für alle kostenlos zugänglich machen. Um Kunst- und Kulturwerte einer breiten Öffentlichkeit wirksam zu erschließen und sie gerade jungen Menschen näher zu bringen, muss sie dort stattfinden, wo diese sind: Wie hier im öffentlichen Raum, in der Schule oder in Social Media.
Dazu passt es sehr gut, wenn Case Maclaim sagt: „Es ist interessant, was ein wenig Farbe ausmacht.“ Dabei denkt er an ein Werk, das er im Rahmen seiner vielen Reisen an einer Hauswand, damals aber in Italien, erschaffen hat. „Die Nachbarschaft in der Umgebung war seit langer Zeit zerstritten. Doch je mehr das Kunstwerk an Ausdruck gewann, umso mehr führte es die Nachbarn zusammen, die gemeinsam meine Arbeit beobachteten und schließlich bewerteten. Und mit einem Mal war der langjährige Streit vergessen und man fachsimpelte über die Kunst“, erlebte Andreas von Chranzowski.
Er ist der zweite Künstler, der im Auftrag von "Walls of Vision" einem „Klassiker“ eine zeitgemäße Interpretation verleiht und das weithin sichtbar und für Jedermann frei zugänglich. 2019 wurde die Premiere gefeiert mit "Innerfields", dem Künstlertrio Jakob Tory Bardou, Holger Weißflog und Veit Tempich, das in Köln Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ neu interpretierte.
Nun folgen Ückendorf, Spitzweg, der Chronist des Biedermeiers schlechthin, und Case Maclaim. Das Werk wurde von "Walls of Vision" vorgegeben, weil es viel aussagt über Spitzwegs Bezug zur Natur. Der gelernte Apotheker und studierte Pharmazeut nutzte seine naturwissenschaftliche Bildung für die genaue Beobachtung und Analyse seiner Motive. Sein waches Auge und sein geschulter Blick für Farben und Details kennzeichnen sein gesamtes Werk.
„Der Schmetterlingsfänger“ zeigt das Detail des Augenblicks auf. Die Natur ist voll davon, aber man muss hinschauen und dafür empfänglich sein. Bereits im Originalwerk war der Protagonist zu sehr mit sich und seiner Ausrüstung beschäftigt, um die wunderschönen blauen Schmetterlinge wahrzunehmen. Er verpasste den Augenblick, was durchaus sinnbildlich für den heutigen Umgang mit der Natur ist.
Um sich mit dem Werk vertraut zu machen, besuchte Maclaim das Museum Wiesbaden, wobei er sagt: „Ich habe das Farbgefühl im Museum recherchiert am Original. Die Farbe auf dieser Fläche wirkt anders als beim Original, das nur Din-A4-Format hat.“ Er empfiehlt gerade jetzt im Juni den Besuch bei Sonnenuntergang gegen 21 bis 21.30 Uhr, weil dann die Orangetöne regelrecht zu glühen scheinen.
„Ich habe zunächst ein grobes Gerüst entworfen und mir überlegt, wo die Figur und die Schmetterlinge sein sollen. Dann habe ich die Fläche sukzessive gefüllt“, erklärt der Künstler. „Meine Ausbildung zum Maler und Lackierer kommt mir dabei zugute, denn dabei habe ich auch gelernt, Farben zu mischen und wie sie wirken.“ Dabei griff er zunächst zu Pinsel und Rolle, später zu Sprühdosen, weil deren Farbe intensiver ist.
Gefragt, wie es möglich ist, eine derart große Fläche innerhalb einer Woche in ein Kunstwerk zu verwandeln, schildert der Künstler: „Das ist meiner Erfahrung zu verdanken. Ich habe viele Reisen in verschiedenste Länder hinter mir und dabei gelernt, schnell zu funktionieren. Aber auch, dass Sprühdosen eine transportable Energie ganz ohne Strom sind.“
Bei "Walls of Vision" geht es auch darum, die bekannten Kunstwerke in den modernen Zeitgeist zu integrieren. Dabei kam Case Maclaim die Corona-Pandemie oder vielmehr die damit verbundene Entschleunigung zugute. „Ich konnte mich in Ruhe vorbereiten, über die Hintergründe des Künstlers, aber auch das damalige Zeitgeschehen recherchieren. Man könnte sagen, dass sich die Gesellschaft damals um 1870 in einer Findungsphase befand. Und auch heute gibt es Orte, die sich noch finden müssen.“
Seine Ansätze zur zeitgemäßen Umsetzung sieht der Künstler schon durch das von ihm gewählte Kunstverfahren widergespiegelt, aber auch in vielen kleinen Dingen, die dem Betrachter erst auf den zweiten Blick ins Auge fallen. Womit er wieder nah beim Original ist. Bei Case Maclaim ersetzt etwa der Selfiestick das Schmetterlingsnetz und die Plastikflasche am Gürtel gab es in den 1870er-Jahren so auch noch nicht.
Die Örtlichkeit gefällt dem Künstler, weil der Name der Straße „Alte Schule“ für ihn schon Programm zum Werk ist und: „Der Platz bietet reichlich Möglichkeit zur Betrachtung und trotzdem kann man sich aus dem Weg oder auch in den Diskurs treten.“

Zur Person Case Maclaim

Er wurde geboren als Andreas von Chranzowski in Schmalkalden. Heute lebt und arbeitet er in Frankfurt. Er hat eine Ausbildung zum Maler und Lackierer absolviert, später Restauration studiert.
Im Jahre 1994 begann er mit der Malerei und brachte seitdem seine Kunst in mehr als 20 Länder.
Er gilt als Pionier der Szene in Sachen Fotorealismus und stellt für Walls of Vision den idealen Künstler für eine Interpretation des Werkes von Carl Spitzweg dar.
Vorgeschlagen wurde Case Maclaim von dem freischaffenden Kurator Georg Barringhaus, der auf die Technik des Künstlers aufmerksam wurde und diese passend für das hier gewählte Werk fand. Die letzte Entscheidung fiel dann bei der Dr. Hans Riegel-Stiftung.   

Das Projekt Wall of Vision

Ist ein Projekt der Dr. Hans Riegel-Stiftung. Die Stiftung führt das gemeinnützige Vermächtnis des ehemaligen Haribo-Mitinhabers fort mit dem Ziel, junge Menschen entlang der Bildungskette bei der Gestaltung der Zukunft zu fördern und nachhaltig zu begleiten.
In der Satzung der Stiftung hat Dr. Riegel die Förderung der bildenden Kunst und der historischen Kultur festgeschrieben. Die Pflege und Erhaltung von Kunst- und Kulturwerten sowie die Erschließung von Kunst bzw. Kulturwerten für die Öffentlichkeit sollen durch die Stiftung langfristig unterstützt werden.
Neben Kreativität stehen Diskurs und Naturverbundenheit im Fokus des Projektes „Walls of Vision“. Historische Kunstwerke werden in die heutige bzw. zukünftige Zeit transferiert und in Form von Fassadenkunstwerken der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Den Anfang machte ein berühmtes Werk von Caspar David Friedrich, dessen Interpretation von Innerfields seit September 2019 auf einer ca. 260m²-Fassade in Köln-Kalk zu sehen ist.
Im Jahr 2020 sind weitere zwei Werke im Ruhrgebiet und zwar in Essen geplant. Dabei geht es um die Impressionisten Vincent van Gogh und Paul Gauguin, die als urbane Kunst im öffentlichen Raum von einem Künstlerduo aus den Niederlanden neu interpretiert werden sollen.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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