Vor 75. Jahren wurde der Stadtteil Horst von einer Hochwasserkatastrophe betroffen
Am Freitag. 08. Februar. 1946 wurde der Stadtteil Gelsenkirchen – Horst von einer Hochwasserkatastrophe, die schweren Schäden verursachten betroffen.

08/09. 02.1946 -Hochwasser in Horst  | Foto: Foto von Heinz Terzenbach 1
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Infolge der seit Tagen anhaltenden schweren Niederschläge wurde in den Abendstunden des 08. Februar der Damm der Emscher auf Karnaper Gebiet in unmittelbarer Nähe der Horster Grenze in einer Breite von 38 m durchbrochen.

Die Wassermassen des überfüllten Emscherlaufes ergossen sich in die erheblich tiefer liegenden Gebiete von Karnap und besonders Horst und überfluteten eine Fläche von rund 300 ha. Etwa 120 ha des Stadtteils Horst lagen unter dem Mittelwasserspiegel der Emscher und wurden durch besondere Pumpwerke entwässert.

Das eingedrungene Wasser überflutete das Horster Gebiet bis zum Schloss.

08.02-1946- Hochwasser in Horst  | Foto: Foto von Heinz Terzenbach
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Im Überschwemmungsgebiet befanden sieb rund 1 500 Häuser, die von etwa 5 000 bis 6 000 Menschen bewohnt waren. Die Zabl der obdachlos Gewordenen betrug etwa 3 500. Die übrigen Bewohner zogen es vor, trotz der damit verbundenen Gefahr in ihren Wohnungen zu bleiben und höher gelegene Gebäudeteile aufzusuchen.

Polizei und Feuerwehr leiteten sofort Rettungsmaßnahmen ein.

Mit Unterstützung der Militärregierung ergriff die Stadtverwaltung sofort Maßnahmen zur Linderung der Notlage der Betroffenen.

Schloss Horst wurde als Auffangstelle bestimmt. Die Bergung der gefährdeten Personen ging mit Booten, die von allen Teichen im Stadtgebiet herbeigeholt wurden, und mit Flößen verhältnismäßig schnell vonstatten.

Die Katastrophe rief auch das Wohnungsamt auf den Plan. Die anfängliche Befürchtung, dass alle Häuser im Überschwemmungsgebiet geräumt werden müssten, erwies sieb bald als nichtzutreffend.
Der größte Teil der Bevölkerung blieb in seinen Häusern, um seine Habe vor Diebstahl zu schützen. Wo das Wasser in die Keller und unteren Stockwerke eindrang, zogen die Bewohner teils in die oberen Stockwerke, teils zu Bekannten oder Verwandten in die nicht gefährdete Umgegend. Die übrigen Obdachlosen wurden vom Wohnungsamt untergebracht, und zwar 200 Personen im Oberlyzeum (Hilfskrankenhaus) Buer, 20 im Schloss Horst, 50 im Essaal der Zeche Nordstern und weitere 50 Personen in beschlagnahmten Privatquartieren.

Für Eventualfälle standen weitere 540 Betten zur Verfügung.

Der Verkehr auf der Hauptstraße Essen - Buer nördlich der Zweigert Brücke wurde durch die Uberscbwemmung lahmgelegt. Die Pumpwerke - 29 - Horster Mark und Horst-Süd fielen sofort aus.
In Horst-Süd wurde ein Pumpwerk mit zwei Schraubenschauflern und einer Gesamtleistung von 750 l in der Sekunde in Betrieb genommen.

Es war die größte Naturkatastrophe in diesem Gebiet seit 75 Jahren.

Die andauernden Regenfälle riefen am gleichen Tage größere Überschwemmungen auch im Stadtbezirk Bismarck hervor, wo der Sellmannsbach brach.

Am Vormittag des 09. Februar setzte die Verpflegung der von der Hochwasserkatastrophe in Horst Betroffenen ein.

Sie geschah durch Volks- und Werksküchen. Verpflegt wurden rund 2 000 Personen, am folgenden Tage 4 500 Personen. Beträchtliche Lebensmittelmengen, die in den überfluteten Geschäften und Wohnungen lagerten, wurden vernichtet.

Die Verluste an Menschen betrugen einen Toten; vier Personen wurden leicht verletzt. Durch zwei
von der Militärregierung zur Verfügung gestellte Amphibienwagen wurden Bedarfsgüter für die Bevölkerung herangebracht, da die zunächst eingesetzten neun Kähne bei weitem nicht genügten.
Die Schäden, die durch die Hochwasserkatastrophe verursacht wurden, wurden in einem ersten Überschlag wie folgt geschätzt: 2,5 Mill. Reichsmark. für die Instandsetzung und den Neubau von etwa 520 betroffenen Wohnungen, 35 000 RM. für die Instandsetzung der städtischen Entwässerungsanlagen, 1 216 000 IDE. Fürsorgekosten (Beschaffung von Einrichtungsgegenständen, Bekleidung, Notfallunterstützung usw.), im Ganzen also über 3 750 000 RM.

Der Horster Rennverein stiftete für die Hochwassergeschädigten einen Betrag von 50 000 RM.
Die Zweigstelle des Schwedischen Roten Kreuzes in Gladbeck leitete ein Hilfswerk für die Hochwassergeschädigten ein. Sie übernahm gleichzeitig die zusätzliche Speisung von etwa 4 000 Schulkindern.

Infolge der Hochwasserkatastrophe kam es zu erschwerten Belieferung von Milch für Kinder, Kranken und Wöchnerinnen. Für diesen Personenkreis wurde ab 11. Februar Kondensmilch ausgegeben.

Oberbürgermeister Zimmermann erließ am Montag. 18. Februar gemeinsam mit den Parteien und den freien Wohlfahrtsverbänden einen Aufruf zur Sammlung von Kleidung, Wäsche, Möbeln, Haus- und Küchengeräten, Petroleum- und Karbidlampen für die Opfer der Hochwasserkatastrophe in Horst und Bismarck.

Oberbürgermeister Zimmermann, die politischen Parteien und die Wohlfahrtsverbände richteten einen Hilferuf an die Gelsenkirchener Bevölkerung:

"Eine Naturkatastrophe größten Ausmaßes hat unsere schon schwer beschädigte Stadt getroffen. Durch Dammbrüche in den Stadtteilen Horst und Bismarck hat das Hochwasser große Teile der betroffenen Stadtteile unter Wasser gesetzt. Tausende Einwohner sind wiederum obdachlos geworden und haben Hab und Gut verloren. Diesen Mitmenschen müssen und wollen wir in ihrer großen Not helfen.

Wir richten daher an die Bevölkerung der Stadt Gelsenkirchen, insbesondere an diejenigen Einwohner, die von den Schrecken des Krieges verschont geblieben sind, die dringende Bitte, durch Hergabe von Kleidung, Wäsche, Möbeln, Haus- und Küchengeräten, insbesondere Petroleum und Karbidlampen, den betroffenen Mitbürgern zu helfen.

Die Beauftragten der freien Wohlfahrtsverbände werden in den nächsten Tagen bei Euch vorsprechen und die Sachen, die Ihr freiwillig und gern gebt, abholen. Jeder Sammler und jede Sammlerin führt einen von den Wohlfahrtsverbänden ausgestellten Ausweis bei sieb, der sie als für die Sammlung beauftragt ausweist."

Die Hochwasserkatastrophe beschäftigte den Bürgerrat in seiner Sitzung am 28. Februar. Zunächst berichtete Oberbürgermeister Emil Zimmermann über den Deichbruch des Sellmannsbaches in Bismarck am Vormittag des 8. Februars und über den Bruch des Emscher Dammes am Nachmittag des gleichen Tages an der Stadtgrenze von Horst, wodurch die Wohnstätten von rund 7.000 Menschen vom Wasser eingeschlossen wurden.

Der Oberbürgermeister schilderte eingehend die Rettungsmaßnahmen, durch die unter schwierigsten Verhältnissen rund 2.000 Personen geborgen werden konnten, und gedachte mit besonderem dank der Hilfe, von Polizei und Feuerwehr, nicht zuletzt aber die Militärregierung, leisteten, von der Col. Spottiswoode, Major Robinson und Capt. Kingsley zur Unglücksstätte eilten. Als erfreuliches Zeugnis uneigennützigen Bürgersinnes nannte der Oberbürgermeister den Einsatz der Bürgerratsmitglieder

Hohnke, Hüther und Löbbert, der Mitglieder des Horster Wohnungsausschusses sowie die Tätigkeit des Bürodirektors Kölling, bei dem alle Fäden der Rettungsaktion zusammenliefen. Er dankte den Schwestern des Gesellenhauses für ihre unermüdliche Arbeit bei der Verpflegung der Obdachlosen, dem englischen und schwedischen Roten Kreuz für die Speisung der Horster Kinder sowie den freien Wohlfahrtsverbänden für ihre Betreuung und nannte namentlich noch besonders den Bergmann Wilhelm Löwing, der einen unter Wasser stehenden Bunker, auf den Schultern eines Tauchers sitzend, durchsuchte, sowie Bäckermeister Geenen, Grubeninspektor Tewes von der Zeche Nordstern und Betriebsleiter Siebert vom RWE.

Die Belegschaft der Zeche Consolidation spendete 6.000 Stuten für die Hochwassergeschädigten, der Westdeutsche Traber-, Zucht- und Rennverein stellte 50.000, --

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RM zur Verfügung.

Das abgesunkene Gebiet könne zur menschlichen Besiedlung nicht wieder herangezogen werden.
Dann schilderte Stadtrat Dr. Große- Bomann die bis jetzt eingeleiteten Hilfsmaßnahmen. Im Hilfskrankenhaus Buer wurden 230 Personen untergebracht, im Schloss Horst 30 Personen, in einer Baracke der Zeche Nordstern 67 Personen; durch Vermittlung des Wohnungsamtes wurden 135 Personen in Einzelquartieren untergebracht.

Im Gesellenbaus wurden unentgelt1ich und ohne Marken am ersten Tage 2.300, am zweiten Tage 4.290 und am dritten Tage 5.200 Essensportionen ausgegeben. An männliche Geschädigte wurden zusätzlich Rauchwaren verteilt.

Die Militärregierung gab aus dem Aufkommen der Kleidersammlung außerhalb Gelsenkirchens 3.500 Kleidungsstücke und 400 Paar Strümpfe und Socken frei; das englische Rote Kreuz lieferte über 400 Wäsche- und Bekleidungsstücke. Beim Landwirtschaftsamt wurde eine Sonderzuteilung von 1.000 Schlafsäcken und 1.000 Matratzen sowie je 400 Garnituren für Männer, Frauen und - 42 - Kinder beantragt, ferner je 500 Paar Arbeits-, Männer-, Frauen und Kinderschuhe sowie je 1.000 Kochtöpfe, Bestecke und Kochgeschirre. Als Ausgleich für den Stromausfall wurden 3.000 Liter Petroleum und 1.100 Kerzen verteilt; eine zusätzliche Versorgung mit Kohlen sei vorgesehen. Das Ergebnis der örtlichen Sammlung werde auf 50.000,- RM geschätzt. Die Kreishandwerkerschaft Buer habe zu einer Sammlung von Handwerkszeug für die geschädigten Horster Handwerker aufgerufen. !

Über die Neubauplanung in Horst führte Stadtbaurat Fuchslocher folgendes aus:

Die Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe sollen bei der Planung des Wiederaufbaues Beachtung finden. Das Gebiet südlich der Zechenbahn und nördlich der Emscher darf nicht wieder als Wohnbaugebiet genutzt werden; das Gebiet zwischen Devensstraße, Schlossstraße und Strundenstraße kann nur eine weiträumige Bebauung erhalten. Der Ausfall dieser Baugebiete soll durch eine stärkere Nutzung der günstigeren Bezirke des Stadtteils Horst ersetzt werden.
Über gesundheitsfürsorgerische Maßnahmen berichtete Medizinalrat Dr. Grütter: Es wurde eine Warnung vor dem Gebrauch unabgekochten Wassers erlassen; das Trinkwasser erhielt einen starken Clorzusatz; die Gefahr der Verseuchung des Trinkwassers 93i in Horst aber nicht größer als anderswo. Das Gesundheitsamt war noch im Besitz von Säuglingswäsche, die in kleinen Mengen zur Verfügung gestellt werden konnte. Wenn auch die Gefahr einer Typhusepidemie nicht sehr groß sei, so wurden doch vier öffentliche Impftermine abgehalten; sie wurden aber nur von wenigen besucht, so dass die Militärregierung in Münster beschloss, den Typhusschutz der Bevölkerung durch eine Zwangsimpfung der Rarster Einwohner zu verstärken.

Schließlich berichtete Bürgermeister Hammann noch über die finanzielle Auswirkung der Horster Katastrophe. Zur Heranschaffung von Mitteln aus der öffentlichen Hand sei der Regierungspräsident
um Überweisung eines namhaften Betrages zur Linderung der Not gebeten worden; _ für solche Zwecke, wozu auch die Wiederherstellung behelfsmäßiger Übergänge über die Emscher und die Instandsetzung von Schulen gehörten, seien 3,8 Millionen RM angefordert worden.
Die Horster Bürgerratsmitglieder fanden Worte herzlichen Dankes für die von allen Seiten zuteil wordene Hilfe, übten allerdings auch scharfe Kritik an der Emscher Genossenschaft, die seit 1933
an dem Damm nichts getan habe.

Auf Antrag der Fraktion der CDU wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die Ursachen der Katastrophe in Bismarck und Horst feststellen und die Frage des Verschuldens irgendeiner Stelle sowie die Zweckmäßigkeit der eingeleiteten Maßnahmen prüfen soll.

In der Bürgerratssitzung am 28. Februar teilte Oberbürgermeister Zimmermann mit, dass die Militärregierung ihn gefragt habe, ob er bereit sei, den Posten des Oberstadtdirektor3 (Zweiteilung der Gewalten nach englischem Muster) zu übernehmen; er habe diese Frage bejaht.

08.02-1946- Hochwasser in Horst  | Foto: Foto von Heinz Terzenbach
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Da der Stadtteil Horst auch in Zukunft hochwassergefährdet blieb, damit aber auch die Möglichkeit des. Ausbruchs von Typhus gegeben war, ordnete der Oberbürgermeister an, dass alle Einwohner des Stadtteils Horst vom Beginn des 7. bis zum Ende des 60. Lebensjahres gegen Typhus geimpft wurden. Nur wer sich der dreimaligen Typhusschutzimpfung unterzog, erhielt die Lebensmittelkarten der nächsten Zuteilungsperiode. Die Bewohner der Markenstraße und aller südlich davon gelegenen Straßen wurden im Lokale Krause, Devensstraße 121, geimpft, die Bewohner aller Straßen nördlich der Markenstraße im Agnesstift an der Essener Straße.

Um Ansammlungen größerer Menschenmassen zu vermeiden, wurden die Impftermine über eine ganze Woche verteilt.

Quelle: Stadtchronik 1946

Autor:

Heinz Jochem aus Gelsenkirchen

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