Das Lalok Libre in Polen

Die Besuchergruppe aus Gelsenkirchen besuchte auch das Konzentrationslager Auschwitz, in dem viele Juden ihr Leben lassen mussten. Umso zynischer der Spruch über dem Eingang: "Arbeit macht frei". Foto: Privat
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  • Die Besuchergruppe aus Gelsenkirchen besuchte auch das Konzentrationslager Auschwitz, in dem viele Juden ihr Leben lassen mussten. Umso zynischer der Spruch über dem Eingang: "Arbeit macht frei". Foto: Privat
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In der zweiten Herbstferienwoche war das Lalok Libre gemeinsam mit 18 Jugendlichen, darunter zwei Geflüchtete aus Syrien, aber auch Teilnehmer aus Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Spanien, Marokko und der Türkei nach Polen gereist.

 Die Fahrt ging zunächst nach Krakau, wo die multikulturelle Gruppe den Ort mit Hilfe einer Stadtführung entdecken konnte.
„Ein großer Schwerpunkt unserer Reise lag auf der jüdischen Geschichte der Umgebung, an die wir die Jugendlichen unbedingt annähern wollten. Dazu besuchten wir Oskar Schindlers ehemalige Fabrik, in der hunderte jüdische Mitarbeiter vor der Ermordung bewahrt wurden. Zudem haben wir das jüdische Viertel der Stadt erkundet, um dort mehr über die kulturelle und historische Vergangenheit zu lernen. Auch architektonisch hatte das Viertel einiges zu bieten, was vor allem an den zahlreichen beeindruckenden Synagogen liegt“, schildert Venetia Harontzas.
Dies alles sollte die jungen Lalok-Mitglieder auf den Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vorbereiten. Nach einem einführenden Seminar zum Thema Holocaust hat die Gruppe ihre eigenen Eindrücke sammeln dürfen.

Jugendliche berichten vom Ort des Schreckens

Die 19-jährige Melissa Zencir fasste ihre Gedanken direkt nach der Besichtigung wie folgt zusammen: „Die Tränen tausender Menschen berührten heute meine von Gänsehaut überrannte Haut. Alles war still. Das Einzige was sprach war die Geschichte, eine Geschichte gefüllt mit Tyrannen und Mördern … Unmenschliches ist hier geschehen“.
Celine Kraus ist 18 Jahre alt und musste bei einem Praktikum, das sie bei der Polizei absolvierte, erleben welche Vorurteile es auch heute gegen Roma, Sinti und Geflüchtete gibt, die eine gefährliche Entwicklung in der Gesellschaft befürchten lassen. Um so mehr beeindruckt zeigte sie sich von dem KZ: „Ich spüre Wut. Ich bin wütend auf die Menschen, die sich nicht kümmern und nicht mal wählen gehen. Wir müssen doch die Geschichte weitertragen!“
Mayda Topcu ist 19 Jahre alt und fand die Woche in Polen vor allem informativ. Diese Reise habe ihr Urteilsvermögen zur Geschichte Deutschlands gestärkt und den Menschen, die nicht dabei waren, würde sie daher gerne sagen, dass auch der Rassismus unserer heutigen Zeit schon immer in vielen Menschen gesteckt hat und erst durch die Flüchtlingswelle ans Licht getreten ist. Ihr Appell an ihre Mitmenschen ist schlicht und einfach: „Wir können nur etwas verändern, wenn wir wählen gehen. Gemeinsam können wir etwas bewirken und zu einer friedlichen Zukunft beitragen.“ Nabil El Hassani (21) kann da nur zustimmen: „Der Mensch macht die Geschichte und die Geschichte macht den Menschen. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen.“
„Gewalt fängt mit beleidigenden, diskriminierend und erniedrigenden Ausdrücken und Kommentaren an und entwickelt sich erst später zu handgreiflicher Gewalt. Wir hören es doch überall auf den Straßen und das macht mir Sorgen. Das zeigt uns ja, wieviel unbegründeter Hass in Menschen stecken kann“, erklärt Rosalia Harontzas. Die 22-Jährige beklagt vor allem das Unverständnis: „Wie konnte es früher soweit kommen und wieso versteht die heutige Bevölkerung nicht, dass mit den aktuellen Vorurteilen und der öffentlichen Hetze ein Schritt in dieselbe Richtung geht?“ Sie findet, dass jeder einzelner etwas ändern kann. „Man muss sich nur mit seinen eigenen Vorurteilen auseinandersetzen und seine Ängste und den Hass aufklären. Indem man auf Menschen aus anderen Kulturen zugeht, kann man erkennen, dass die Vorurteile häufig einfach falsch sind.“ Sie findet, dass jeder einzelne Mensch ein Vorbild für die Gesellschaft sein kann.

Eine Begegnung mit der Holocaust-Überlebenden Zofia Posmysz

Einen besonderen Stellenwert hatte daher die Begegnung mit der polnischen Schriftstellerin Zofia Posmysz. Erst Anfang des Jahres besuchte sie Gelsenkirchen, um an der im Musiktheater aufgeführten Premiere der Oper „Die Passagierin“ teilzunehmen, welche auf ihrem gleichnamigen Buch basiert. Posmysz wurde in ihrer Jugendzeit selbst in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, ein Erlebnis, das sie in ihrem Werk verarbeitet hat.
Für die Jugendlichen des Lalok Libres war es ein unglaublich emotionaler und nachdenklich stimmender Abend, bei dem sie viele Fragen stellen durften. Es gibt kaum noch lebende Zeitzeugen, die aus erster Hand berichten können, wie sie die NS-Zeit erlebt haben. Umso bedeutender ist es, dass die Gruppe diese Gelegenheit bekommen hat, um den jungen Leuten die Realität der schrecklichen Vergangenheit etwas verständlicher zu machen.
„Diese Woche in Polen war für unsere jungen Mitglieder eine Achterbahn der Emotionen. Wir haben gemeinsam Neues gelernt, sind dem Vergangenen auf den Grund gegangen, haben geweint, gelacht und uns viele Gedanken gemacht. Diese Erfahrung werden wir daher gemeinsam in einem kleinen Film zusammentragen. Die Jugendlichen werden uns darin erzählen, welche Eindrücke die Reise bei ihnen hinterlassen hat und inwiefern sich ihre Meinung von der Vergangenheit verändert hat. Vor allem aber werden sie sich damit auseinandersetzen, was diese Erkenntnisse für ihr eigenes Leben und ihre Zukunft in Deutschland bedeutet“, ist sich die Venetia Harontzas sicher. 

Die Besuchergruppe aus Gelsenkirchen besuchte auch das Konzentrationslager Auschwitz, in dem viele Juden ihr Leben lassen mussten. Umso zynischer der Spruch über dem Eingang: "Arbeit macht frei". Foto: Privat
Schriftstellerin Zofia Posmysz (Bildmitte sitzend), die Autorin des Buches "Die Passagierin", das die Vorlage zur gleichnamigen Oper wurde, stellte sich als Zeitzeugin den Fragen der Gelsenkirchener Jugendlichen. Foto: Privat
Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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