Die Entwicklung bei der Wellpappe KG

Superintendent Heiner Montanus und Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig hatten ihren Spendenaufruf gerade erst publik gemacht, da eröffnete die Bundesanstalt für Arbeit den Wellpappe-Mitarbeitern einen Ausweg. Foto: Gerd Kaemper
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  • Superintendent Heiner Montanus und Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig hatten ihren Spendenaufruf gerade erst publik gemacht, da eröffnete die Bundesanstalt für Arbeit den Wellpappe-Mitarbeitern einen Ausweg. Foto: Gerd Kaemper
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Die Solidaritätsbekundungen mit den Mitarbeitern der Wellpappe Gelsenkirchen reißen derzeit ebenso wenig ab, wie die schon als Horrormeldungen zu bezeichnenden Details der Firmenpolitik. Inzwischen gibt es auch eine Petition der Belegschaft zur Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes von Herrn Dr. Palm. Der Stadtspiegel berichtete:

Der aktuelle Stand:

Auch wenn inzwischen klar ist, dass die Bundesanstalt für Arbeit die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes für Oktober und gegebenenfalls darüber hinaus übernimmt, bleibt das Geschehen unfassbar.
Der vorläufige Insolvenzverwalter Rolf Weidmann und die zuständige Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit haben am Montag, 7. November, nach Vermittlung durch die Stadtverwaltung vereinbart, dass die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes für Oktober, bei Bedarf auch für November und Dezember übernommen wird. Damit kann das Insolvenzgeld in Kürze an die Belegschaft ausgezahlt werden.
„Wir hoffen, dass so die schlimmsten finanziellen Sorgen der Belegschaft gemildert werden können“, erklärt dazu Oberbürgermeister Frank Baranowski. „Ich danke allen Beteiligten für diese unbürokratische Lösung.“

Das Geschehen:

Zur Erinnerung: Am Montag, 31. Oktober, meldete das Unternehmen Wellpappe Gelsenkirchen GmbH völlig überraschend Insolvenz an. Betroffen sind insgesamt 96 Mitarbeiter. Der DGB, die Stadt Gelsenkirchen und viele andere Organisationen und Institutionen reagierten auf diese Nachricht entsetzt und ist empört darüber, dass das Unternehmen in einer „Nacht- und Nebel-Aktion“ und ohne jegliche Information des Betriebsrates das Werksgelände hermetisch abgeriegelt hat. Für alle Beschäftigten verhängte der Arbeitgeber mithilfe von Wachdiensten mit Wachhunden ein Betretungsverbot.
„Ein Wachdienst patrouilliert hinter dem Werkszaun, der noch durch eine weitere vorgelagerte Absperrung gesichert wurde, damit kein Beschäftigter mehr seinen Fuß auf das Werksgelände setzten kann. Die Beschäftigten samt Betriebsrat stehen vor dem Werkstor, fassungslos und wütend. Außerdem haben sie schon das Oktobergehalt nicht mehr erhalten“, berichtete Josef Hülsdünker. Sogar dem Insolvenzverwalter sei zunächst der Zutritt verweigert worden, so dass Unklarheit darüber bestehe, wie viel Vermögen noch in dem Unternehmen vorhanden ist.
Geschäftsführer Dr. Wolfgang Palm hatte seine Unterschrift zur Auszahlung des Insolvenzgeldes an die Beschäftigten verweigert. Nachdem bereits die Auszahlung des Oktobergehaltes ausgeblieben war, stand die Belegschaft damit völlig mittellos da.
Oberbürgermeister Frank Baranowski berichtet über sein ergebnislos verlaufendes Gespräch mit dem Eigentümer Dr. Wolfgang Palm, bei dem sich der Eindruck verfestigte, dass der Eigentümer die Standortschließung gezielt vorbereitet hat, um die Belegschaft und ihrem Betriebsrat keinerlei Handlungsspielraum zu lassen. „Es ist unanständig, wie Herr Dr. Palm moralische und rechtliche Grundlagen sowie die soziale Verantwortung eines Unternehmers schlicht ignoriert“, sagte Baranowski.
Den Beschäftigten und ihr Betriebsrat, die sich täglich am Werktor treffen, bleibt nun nur noch der Weg zum Arbeitsgericht. Auch soll gegen den Eigentümer, ein Träger des Bundesverdienstkreuzes, Strafantrag wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit gestellt werden.

Solidarität wird in Gelsenkirchen groß geschrieben

So sammelten die ver.di-Jubilare, die sich am Wochenende zur Jubilarfeier in Gladbeck einfanden, spontan für die Wellpappe-Beschäftigten. 585 Euro konnten auf das Spendenkonto eingezahlt werden, das bei der Stadtsparkasse Gelsenkirchen seit Montag eingerichtet ist.
Die rund 250 Teilnehmerinnen undTeilnehmer aus 26 Ländern, die sich zur Frauenversammlung der Weltfrauen zusammenfanden zeigten sich empört über die Geschehnisse. Eine Delegation der Versammlung aus deutschen, griechischen, spanischen und puertoricanischen Frauen besuchten die Wellpappe-Kollegen am besetzten Werkstor. Und sie berichteten von ihren oft ähnlichen Erfahrungen im Kampf um ihre Arbeitsplätze. „Petra Müller, Verdi-Kollegin aus Gelsenkirchen, empörte sich über das skrupellose Vorgehen des Geschäftsführers Palm, der bewusst gegen eine „unbequeme“ Belegschaft vorgeht“, heißt es in einer Pressemittelung.
Der Gelsenkirchener Bergmann Christian Link sagte den Wellpappe-Mitarbeitern die Unterstützung der Bergarbeiterbewegung „Kumpel für AUF“ zu. Mit einem Kloß im Hals erinnerte er sich, dass er selbst schon eine Insolvenz miterlebt hat, und weiß, wie man sich dabei fühlt: „Da hilft nur breite Solidarität und Öffentlichkeit, um zu kämpfen“.
Der DGB kritisiert das Verhalten des Arbeitgebers als unsozial und kriminell. Josef Hülsdünker, Vorsitzender des DGB Stadtverbandes Gelsenkirchen, brachte gegenüber der Belegschaft die uneingeschränkte Solidarität der Gewerkschaften zum Ausdruck. Darüber hinaus informierte der DGB die NRW-Landesregierung mit dem Ziel, dass zukünftig keine Steuergelder, etwa in Form von Landesbürgschaften, an andere Unternehmen des Arbeitsgebers fließen. Außerdem verlangten Betriebsrat und DGB eine deutlich verschärfte gesetzliche Handhabe gegen derartige unternehmerische Machenschaften.

Resolution der WIN Emscher Lippe GmbH

Empört hat das Präsidium der regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft WIN Emscher- Lippe GmbH auf die Vorgänge im Unternehmen „Wellpappe Gelsenkirchen“ reagiert und in einer Resolution die Vorgehensweise des Eigentümers verurteilt.
„WIN Emscher-Lippe – Präsidium verurteilt die Umstände der
Werksschließung „Wellpappe Gelsenkirchen“ durch den Eigentümer Palm. Das Präsidium der WIN-Emscher-Lippe verurteilt in scharfer Form die Art und Weise der Schließung des Unternehmens „Wellpappe Gelsenkirchen GmbH“. Die Umstände der Freisetzung der 96 überwiegend langjährig Beschäftigten, das Betretungsverbot des Firmengeländes für die Beschäftigten und den Insolvenzverwalter sowie die schwerwiegende Missachtung der Rechte des Betriebsrates sind mit dem deutschen Sozialstaatsmodell und dem Grundgesetz sowie dem Betriebsverfassungsrecht unvereinbar. Das Vorgehen des Eigentümers, Herrn Dr. Palm, muss öffentlich bekannt gemacht und verurteilt
werden, um Nachahmer von einem solch unsozialen Verhalten abzuschrecken. Die Beschäftigten widerruflich freizustellen, um ihnen den Weg zum Arbeitslosen- bzw. Insolvenzgeld zu verstellen, ist deshalb besonders unanständig, weil der Eigentümer in einem Telefonat mit Gelsenkirchens Oberbürgermeister den Eindruck erweckt hat, dass
dieses Unternehmen nie wieder die Produktion aufnehmen wird.
Das Präsidium verurteilt dieses Vorgehen des Eigentümers, der über weitere, profitable Unternehmen verfügt und diese Insolvenz offenbar bewusst herbeigeführt hat. Es hofft auf eine rasche gerichtliche Überprüfung sämtlicher Vorgänge, die zu dieser Insolvenz geführt haben. Die Nichtbeachtung des Betriebsverfassungsgesetzes muss darüber hinaus im Lichte des Strafrechts bewertet werden.“

Ein Licht am Ende des Tunnels?

Der Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig vom Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid rief am Montag eine Spendenaktion für die Belegschaft der Wellpappe Gelsenkirchen GmbH & Co KG ins Leben: „Wie sollen die Betroffenen drei Monate lang ohne jede Zuwendung ihren Lebensunterhalt bestreiten? Was soll das für ein Weihnachtsfest in den Familien werden? Wir müssen tun, was wir können, um ihnen beizustehen.“
30 Minuten nach der Pressekonferenz des Evangelischen Kirchenkreises zur Eröffnung der Spendenaktion für die Belegschaft der Wellpappe KG wurde publik, dass nun doch Insolvenzgeld ausgezahlt wird. „Das ist erst einmal eine gute Nachricht“, sagte Superintendent Heiner Montanus. „Statt auf Spenden angewiesen zu sein, wird der Rechtsanspruch erfüllt, den sich die 96 Menschen erarbeitet haben.“ Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig: „Wir setzen die Spendenaktion daraufhin aus, werden aber weiterhin an der Seite der Belegschaft stehen und tun, was wir können, um sie in ihrem Arbeitskampf zu unterstützen.“

Modern. Menschlich. Verantwortungsbewusst - gilt nicht für Wellpappe Gelsenkirchen

Stadtdechant Propst Markus Pottbäcker und der Vorsitzende des Katholikenrates in Gelsenkirchen Klaus A. Hermandung wenden sich an die Geschäftsführung des Palm-Konzerns, zu dem die Wellpappe Gelsenkirchen gehört:
"Auf der Internetseite der Palm Gruppe zu der die Fa. Syfert, mit der dazugehörigen Fa. Wellpappe Gelsenkirchen gehört, präsentiert sich das Unternehmen als Modern, Menschlich uns Verantwortungsbewusst.
Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Palm Gruppe für Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein hat und eine vorbildliche Sicherheit bietet. Offensichtlich gilt dieser Slogan nicht für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Gelsenkirchen.
Die Insolvenz ist absolut inakzeptabel und verantwortungslos.
Wir erwarten von einem Trägers des Bundesverdienstkreuzes, wie Herrn Dr. Wolfgang Palm, die sofortige Rücknahme des Insolvenzantrags.
Wie so oft, scheint es auch hier nur darum zu gehen die Profitabilität zu verbessern,
Es ist unverantwortlich, diesen Standort zu schließen und die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Regen stehen zu lassen.
Wo bleibt der Wille für eine soziale und wirtschaftliche Verantwortung?
Mit den Worten von Papst Franziskus lässt sich in diesem Zusammenhang feststellen: „Das Wirtschaftssystem sollte im Dienst des Menschen stehen. Aber wir haben das Geld in den Mittelpunkt gerückt, das Geld als Gott.“
Deshalb fordern wir die Geschäftsführung auf, sofortige Gespräche mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten aufzunehmen um Perspektiven für das Werk in Gelsenkirchen zu entwickeln."

Zur Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes an Dr. Palm

Sozialpartnerschaft ist die deutsche Antwort auf den Manchester-Kapitalismus. Prägendes Merkmal der Sozialpartnerschaft ist das gemeinsame Vorgehen und gestaltende Miteinander zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, um Interessengegensätze einer gemeinschaftlichen Lösung zuzuführen. Betriebliche Mitbestimmung schafft einen Interessenausgleich zum Vorteil von Unternehmen und Beschäftigten.
Herr Dr. Palm, dem Inhaber von Wellpappe Gelsenkirchen, tritt diese Grundhaltung, um die uns andere Länder beneiden, mit Füßen.
„Ich hoffe, dass dieses Vorgehen ordnungs- und strafrechtlich ausreichend verfolgbar ist“, so die Gelsenkirchener SPD-Vorsitzende Heike Gebhard. „Andernfalls müssten wir das Betriebsverfassungsgesetz nachbessern.“ Auch ohne Gesetz ist jedem klar, dass es asozial ist, Menschen den ganzen Monat arbeiten zu lassen und ihnen dann den Lohn zu versagen. Darum unterstützt die Gelsenkirchener SPD die Petition der Belegschaft zur Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes von Herrn Dr. Palm. Unterschriftenlisten liegen sowohl im August-Bebel- Haus, Gabelsberger Str. 15 und im SPD-Bürgerbüro in Buer, Goldbergstr. 1 aus. Auf der Homepage der Gelsenkirchener SPD wie auch auf der der Abgeordneten Heike Gebhard gibt es einen Link zur Online-Petition.
„Wir alle in Gelsenkirchen sollten Herrn Dr. Palm zeigen, was wir von seinem Vorgehen halten. Niemand sollte sich ermuntert fühlen, es ihm nachzumachen“, so Heike Gebhard MdL abschließend.

Superintendent Heiner Montanus und Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig hatten ihren Spendenaufruf gerade erst publik gemacht, da eröffnete die Bundesanstalt für Arbeit den Wellpappe-Mitarbeitern einen Ausweg. Foto: Gerd Kaemper
Die Weltfrauen besuchten die Mahnwache der Wellpappe-Mitarbeiter und erklärten sich solidarisch mit ihnen. Foto: Privat
Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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