Jeder Drogentote hat eine Geschichte

So bewegend wie die Stadt Gelsenkirchen wird auch der Drogengedenktag am Freitag, 20. Juli, ab 11.30 Uhr auf dem Heinrich-König-Platz werden. Dafür sorgen unter anderem (von links): Cornelia Müller, Daniela Wolf, Georgina Radons und Norbert Labatzki, der wieder einmal für die passende musikalische Untermalung sorgen wird. Foto: Gerd Kaemper
  • So bewegend wie die Stadt Gelsenkirchen wird auch der Drogengedenktag am Freitag, 20. Juli, ab 11.30 Uhr auf dem Heinrich-König-Platz werden. Dafür sorgen unter anderem (von links): Cornelia Müller, Daniela Wolf, Georgina Radons und Norbert Labatzki, der wieder einmal für die passende musikalische Untermalung sorgen wird. Foto: Gerd Kaemper
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Seit 20 Jahren bietet der Verein Arzt Mobil in Gelsenkirchen den Wohnungslosen eine Anlaufstelle. Oft geht dabei die Obdachlosigkeit auch mit dem jahrelangen Konsum von Drogen einher, manchmal kommt erst der Wohnungsverlust und dann der Drogenkonsum und manchmal ist es anders. Doch oft steht am Ende der Tod.

Open-Air-Gedenkfekier auf dem Heinrich-König-Platz

Der 21. Juli ist der Internationale Gedenktag der Drogentoten. In Gelsenkirchen wird der Drogentoten aber schon am Freitag, 20. Juli, um 11.30 Uhr mit einer Open-Air-Gedenkfeier auf dem Heinrich-König-Platz direkt vor der Propsteikirche St. Augustinus gedacht.
Das Landeskriminalamt schreibt in seiner Statistik für das Jahr 2016, dass 204 Menschen in Nordrhein-Westfalen an den Folgen jahrelangen Drogenkonsums verstorben sind. Im Jahr 2017 waren es 203, zum Vergleich: Im Jahr 2007 zählte man in NRW noch 374 Drogentote.
Das Arzt Mobil kommt im Zeitraum vom 20. Juli 2017 bis heute auf fünf Tote, wobei es sich eher um eine Dunkelziffer handelt, weil den Streetworkerinnen nur die Namen der Personen vorliegen, die ihnen persönlich durch die psychosoziale Begleitung (PSB) vorliegen oder aus der Szene zugetragen wurden.

Vor drei Wochen starb eine junge Frau

Dabei liegt der letzte Fall nur wenige Wochen zurück. Eine junge Frau, die eindeutig der Szene zuzuordnen war und gerade erst aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden war, brach tot am Hauptbahnhof zusammen. Man vermutet Herzversagen, vermutlich nicht zuletzt aufgrund ihres vorausgegangenen Drogenkonsums.
„Es ist ein häufige Phänomen, dass die Leute nach einem Aufenthalt im Gefängnis mit der gleichen Dosis wieder einsteigen, die sie vorher konsumiert haben und sich dadurch selbst eine Überdosis verabreichen“, schildert Streetworkerin und Diplom-Sozialarbeiterin Cornelia Müller.
Zum diesjährigen Drogentoten-Gedenktag hat sich das Arzt Mobil anlässlich seines 20-jährigen Bestehens etwas Besonderes einfallen lassen: Es wird einen Baum der Erinnerung geben. Der Baum wurde aus Holz als dreidimensionale Skulptur erstellt und darauf befinden sich 194 Metallplättchen mit den Namen der in diesen 20 Jahren in Gelsenkirchen verstorbenen Drogentoten.

Ein Baum der Erinnerung

„Der Baum soll in den folgenden Jahren um die Namen der Verstorbenen der nächsten Jahre erweitert werden“, erklärt Cornelia Müller.
Pfarrer Ingo Mattauch, der ebenso wie Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek bei der Gedenkfeier Worte zum Totengedenken sprechen wird, ergänzt: „Der Gedenktag ist eine schöne Gelegenheit für die Weggefährten, sich zu verabschieden. Und dieser Baum wird ihnen die Erinnerung an die Verstorbenen lebendig halten.“
Norbert Labatzki, der sich nicht nur durch die jährliche StraßenFeuer-Spendengala für die Wohnungslosen in Gelsenkirchen einsetzt, sondern das ganze Jahr über aktiv ist in Sachen Aufklärung und Verständnis, ist sich sicher, dass die Feier „Jahr für Jahr einen sehr würdigen Rahmen bietet. Die Menschen sitzen andächtig dabei und das ist erstaunlich, weil sie sonst kaum ruhig sitzen können.“
Das kann auch daran liegen, dass die Gedenkfeier „einen Rahmen bietet, in dem die Menschen, die sonst nicht oft die Gelegenheit haben, Gefühle zu zeigen, diese hier zum Ausdruck bringen können und dürfen. Darum ist es für sie ein wichtiger Moment“, ist sich Cornelia Müller sicher.

Ein niederschwelliges Angebot für Jedermann

Darum sind auch alle Interessierten, egal welcher Religion, eingeladen, der Feier beizuwohnen. Pfarrer Ingo Mattauch erinnert auch daran, dass die Veranstaltung durch ihren Open-Air-Charakter ein niederschwelliges Angebot ist, das gerade von den Menschen gut angenommen werden kann, die wie viele der Verstorbenen ohne feste Bleibe sind. "Umso passender ist es, das Gedenken unter freiem Himmel zu feiern.“
Um zu zeigen, welche Schicksale hinter den Verstorbenen liegen, wird beispielhaft die Geschichte des Uwe L., der mit 52 Jahren im Januar an den Folgen seines Mischkonsums verschiedener illegaler Drogen, Medikamente und Alkohol verstarb, erzählt. Der Verstorbene hatte sowohl das medizinische wie auch das sozialarbeiterische Angebot von Arzt Mobil in Anspruch genommen. Krankenhausaufenthalte sorgten für kurzzeitige Verbesserungen seiner Lebenssituation, reichten jedoch nicht für eine nachhaltige Stabilisierung.
Und obwohl das Team von Arzt Mobil weiß, dass der kontinuierliche Missbrauch von Drogen einen „Tod auf Raten“ zur Folge hat, macht jeder Sterbefall betroffen.
Neben der Geschichte von Uwe L. werden auch Statements von Klienten wie auch Kooperationspartnern zu Leben und Tod und dem, was man noch vom Leben erwartet, bei der Feier verlesen.
Im Anschluss an die eigentliche Gedenkfeier gibt es ein gemütliches Beisammensein bei Pizza und Kuchen. Für den Kaffee sorgt der Verein Warm durch die Nacht mit seinen Bollerwagen.
Karin Schneider,  Diplom-Sozialpädagogin und Geschäftsführerin  des Arzt Mobil e.V.: „Wir möchten an diesem Tag ganz bewusst der Verstorbenen gedenken und Abschied nehmen - denn auch bei uns geht die Trauer manchmal imArbeitsalltag
unter.“

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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