Die letzten Mohikaner

Zwei Discos bzw. Clubs gibt es noch in Gelsenkirchen. Bald vielleicht nur noch eine. Auch um die Kneipen- und Barszene ist es nicht wesentlich besser bestellt. Der Niedergang des städtischen Nachtlebens hat viele Gründe. 



Die Alte Hütte in Resse und das LED (ehemals Amadeus) im alten Schlachthof an der Grothusstraße. Das war's. Mehr Auswahl haben Nachtschwärmer in Gelsenkirchen aktuell nicht – zumindest was Clubs und Discotheken mit wöchentlichem Betrieb angeht. Bald wird es sogar nur noch eine Möglichkeit geben. Am 31. Juli läuft der Mietvertrag der Alten Hütte aus. Unklar ob, wie und wo es weitergeht.

Gelsenkirchen ist schon länger kein Standort fürs Nachtleben mehr. Wer was erleben will, wer diverse Geschmäcker bedient haben möchte, fährt nach Bochum, Essen oder auch Dortmund. Vorschnell behauptet, sind die Gründe dafür, dass Gelsenkirchen halt kleiner ist oder hier zum Beispiel weniger feierwütige Studenten leben. Doch, da auch in Oberhausen oder Bottrop mehr los ist, muss es noch andere Gründe geben.

Disco-Betreiber: „Unfreundliche Bürokratie.“

Einer, der das Thema aus Sicht eines Gastronomen sieht, ist Norman Mücke. Er betreibt seit Anfang des Jahres die neue Discothek LED im alten Schlachthof in Heßler. Für ihn liegt das Sterben des Gelsenkirchener Nachtlebens auch an einer zu restriktiven Bürokratie: „Nach solchen Katastrophen wie dem Flughafenbrand in Düsseldorf oder der Love Parade in Duisburg sind die Verwaltungen in der Vergangenheit immer sensibler mit der Bearbeitung erforderlicher Genehmigungen für Versammlungsstätten geworden. In Gelsenkirchen ist, für mich, auch die Zahl an Mitarbeitern dafür zu gering, im Gegensatz zu mancher Nachbarstadt.“ Hinzu kämen hier hohe Kosten an Steuern, Gebühren oder Abgaben sowie für Maßnahmen zur Konzessionierung. All das schrecke Gastronomen ab, zumal der Gast davon nichts habe, so der 33-Jährige. „Ich zahle 2,80 € Vergnügungssteuer pro zehn Quadratmeter und Öffnungstag, mehr als ich momentan für mich selbst im Monat einnehme. Das sind Faktoren, die man ändern müsste, um gerade junges Engagement in der Gastronomie nicht zu boykottieren.“

Oliver Schäfer, Pressesprecher der Stadt, hält dagegen: „Ich kann Entwarnung geben. Die Stadt Gelsenkirchen ist weder die Hölle für Discotheken und andere Formen der Ausgeh-Gastronomie, noch ist sie bemüht, eine solche zu werden.“ Er betont, dass die relevanten Steuersätze seit langem nicht erhöht worden und mittlerweile moderat seien, speziell im Vergleich zu anderen Ruhrgebietsstädten. Club-Betreiber zahlten woanders vielleicht geringere Vergnügungssteuern, dafür aber höhere Gewerbesteuern. Außerdem könnten sie gegen eventuell zu hoch geschätzte Steuersätze für ihre Lokalität Widerspruch einlegen.

Stadt will Gastronomie zukünftig fördern

Auch den Punkt mit der vermeintlich langsamen Bürokratie revidiert er: „In der Gewerbeordnung ist eine sogenannte Genehmigungsfiktion festgelegt. Alle vollständig eingereichten Anträge müssen innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden. Wird diese Zeit überschritten, gilt der Antrag automatisch als genehmigt. Langsame Antragsbearbeitungen sind daher in der Regel auf zu spät oder nicht eingereichte Unterlagen seitens der Betreiber zurückzuführen.“

Dass Gelsenkirchen dennoch Nachholbedarf in puncto Nachtleben hat, scheint auch innerhalb von Politik und Verwaltung angekommen zu sein. „Dieser Standortfaktor ist der Stadt durchaus bekannt und wird dementsprechend an strategischen Punkten gefördert“, so Schäfer. „Im Zuge des Stadterneuerungsprogramms an der Bochumer Straße wird aktuell beispielsweise ein Projekt zur Entwicklung einer Art „Gastromeile“ angegangen. Die zentrale Lage Ückendorfs verspricht auch eine Strahlkraft in die Nachbarstädte.“ Konkret wollen Wirtschaftsförderung und Stadterneuerungsgesellschaft dort Startups die Möglichkeit bieten, neue gastronomische Konzepte und innovative Ideen umzusetzen. Dafür locken sie mit günstigen Mieten und Beratung.

Ausgehverhalten hat sich verändert

Geht es nach Norman Mücke, müssen aber auch zunächst die Gelsenkirchener selbst zum Feiern in der eigenen Stadt reaktiviert werden: „Ich habe persönlich den Eindruck, die Leute haben schlicht vergessen, dass auch hier noch Anlaufstellen für kultivierte, abendliche Unterhaltungsgastronomie existieren, weil es halt immer weniger Angebote gibt.“ Gleichzeitig konstatiert der Recklinghäuser aber überall ein anderes Ausgehverhalten heutzutage. Die Menschen seien mobiler, wollten sogar oft nicht in der eigenen Stadt feiern und wenn, dann dort, wo vieles dicht beieinander liegt.

Die klassische Discothek, insbesondere in den typischen Formaten Großraum, „Edel“ oder einfacher „Partyschuppen“, gibt es mittlerweile eh kaum mehr. Heute sind es Clubs mit einer speziell szenigen Ausrichtung oder kleinere Läden in möglichst zentraler Lage, die nachgefragt werden. Norman Mücke erkennt aber noch einen weiteren Trend, der allen regelmäßigen Konzepten zu schaffen macht: „Heutzutage gibt es überall so viele Amüsiermöglichkeiten, wo die Leute abends hingehen können – vom Bowlingcenter, über Lasertag bis hin zu teuren Festivals. Auch viele Partyabende finden heute zwar in einer gewissen Regelmäßigkeit, aber nur temporär in Lokalitäten statt, die eigentlich kein Club sind, zum Beispiel die Garage in Buer. Viele Partymacher wollen nur noch hin und wieder Verantstalter sein, trauen sich aber nicht mehr einen dauerhaften Clubbetrieb zu eröffnen.“
Mücke will den Gegenbeweis antreten. Er glaubt daran, dass in Gelsenkirchen mit 260.000 Einwohnern, der zentralen Lage im Ruhrgebiet und der Frequenz von Schalke und Arena, etwas möglich ist. „Das geht nicht von heute auf morgen. Ich werde anfänglich viel ausprobieren, versuchen das LED stetig zu steigern und wirtschaftlich tragbar zu lassen. Die Frage wird sein: Zieht Gelsenkirchen mit? Ich vertraue dem Partypublikum hier.“

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Angebot bestimmt Nachfrage

Das Gelsenkirchener Nachtleben hat es nicht leicht. Zu den genannten Faktoren kommt erschwerend hinzu: Wir liegen halt in einer Metropolregion. Essen ist größer, Bochum hat mehr Studenten, die Konkurrenzangebote sind schnell zu erreichen. Auch in Berlin ist halt nicht jeder Bezirk „angesagt“.
Aber manchmal haben Außenseiter eine Chance. Nämlich dann, wenn dort einfach gute, innovative und szenige Angebote geschaffen werden. Wer in Gelsenkirchen gastronomisch jenseits von 0815-Konzepten tätig wird und sich gut verkauft, kann aktuell eigentlich nur gewinnen. Auch hier lechzen viele Leute nach neuen Angeboten und kann Publikum aus dem Einzugsgebiet gewonnen werden. Außerdem kommen jährlich über 1,5 Millionen Besucher alleine wegen der Arena in die Stadt. Die wollen vor oder nach dem Schalke-Spiel oder Konzert vielleicht auch noch was erleben.
Ob die Wirtschaftsförderung der Stadt mit konkreten Initiativprojekten wie an der Bochumer Straße erfolgreich sein kann, bleibt fraglich. Vielmehr hätte eine Verwaltung ja die Stellschrauben in der Hand, um Strukturen zu schaffen, die Gastronomen attraktiv finden, um wiederum von selbst an einem Standort tätig zu werden – Steuersätze und Bauplanungen zum Beispiel. Günstige Mieten und Beratung sind in dieser Szene bei weitem nicht die entscheidenden Faktoren.

Autor:

Roman Milenski aus Gelsenkirchen

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