„Ich bin Sigmar Gabriels Albtraum geworden“

Wenn es nach Susanne Neumann ginge, müsste wohl ein neuer Besen durch die Republik fegen. Die bisher schönste Bewertung ihres Buches lautete für die kämpferische Gelsenkirchenerin: „Pflichtlektüre für jeden Politiker“.Foto: Gerd Kaemper
  • Wenn es nach Susanne Neumann ginge, müsste wohl ein neuer Besen durch die Republik fegen. Die bisher schönste Bewertung ihres Buches lautete für die kämpferische Gelsenkirchenerin: „Pflichtlektüre für jeden Politiker“.Foto: Gerd Kaemper
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Die Gelsenkirchenerin Susanne Neumann hat ein „echt heavy Jahr“ hinter sich.
Eigentlich ist Susanne Neumann eine ganz normale Gelsenkirchenerin, wäre da nicht ihr gewerkschaftliches Engagement für die Rechte der Gebäudereiniger. Und genau dieses führte sie in hochpolitische Kreise, sorgte dafür, dass sie mit dem SPD-Chef „Tacheles“ redete, die Medien sich um sie drängen und sie schließlich das Buch „Frau Neumann haut auf den Putz“ herausbrachte.

Mit dem Herzen auf der Zunge - eben typisch Ruhrgebiet

Und wenn hier die Rede von einer ganz normalen Gelsenkirchenerin ist, dann ist damit auch gemeint, dass sie ihr Herz auf der Zunge trägt, mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hält und das Ganze im schönsten Ruhrgebietsdialekt. Darum lautete ihre Bedingung an den Lübbe-Verlag, der das Buch veröffentlichte: „Mein Sprachjargon muss darin rüberkommen!“
Und so liest sich das Buch mit einem Augenzwinkern und Schmunzeln, denn für den Rest der Republik sind die typischen Ruhrpott-Umgangssprachen-Begriffe als Fußnoten erklärt. Etwa als Susi Neumann bei der SPD-Wertekonferenz, zu der sie im Mai letzten Jahres nach Berlin ins Willy Brandt-Haus eingeladen worden war, frank und frei heraus den SPD-Chef Sigmar Gabriel die denkwürdige Frage stellte: „Warum bleibt ihr dann bei die Schwatten?“. Hier lautet die Anmerkung: „Bedeutet Schwarze in der Umgangssprache des Ruhrgebietes.“.

Und plötzlich stand Susanne Neumann im Fokus der Medien

Damit lenkte die Gelsenkirchenerin die Aufmerksamkeit von mehr Medien auf sich als ihr lieb war. „Die Medien spielten verrückt“, blickt sie zurück. Dabei war es Susanne Neumann einfach nur ein Anliegen, die Wahrheit zu sagen über die unzumutbaren Zustände in ihrem Handwerk, die Untätigkeit der Politik, die vielmehr noch den Unternehmern in die Hände spielt und den Ängsten der Mitarbeiter, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln ohne sichere Zukunft, dafür aber mit großer Angst gegen den Arbeitgeber „aufzumucken“, wie wir hier sagen.
Die heute 57-Jährige arbeitet bereits ihr gesamtes Leben in der Gebäudereinigung - also als Putzfrau. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und ein 14 Jahre altes Enkelkind. Trotzdem ist sie seit rund 30 Jahren in der Gewerkschaft aktiv. Diese Tür öffnete sich für sie zuerst rein beruflich, denn sie putzte im Gewerkschaftshaus die Büros der DGB-Offiziellen, der IG-Metall-Kollegen und eben die Räume der IG BAU, zu der auch die Zunft der Gebäudereiniger zählt.

Die Gelsenkirchenerin hatte Glück und einen unbefristeten Arbeitsvertrag

„Dank eines festen Arbeitsvertrages hatte ich die Möglichkeit, einen Betriebsrat zu gründen und selbst zeitweise freigestelltes Betriebsratsmitglied zu sein. Nur da ich das Metier ja gern als modernen Sklavenhandel bezeichne, wurde also mein Betriebszweig nach Dortmund verkauft. Dort gab es keinen Betriebsrat, also brachte ich wieder einen auf den Weg, dann kam ich wieder zurück nach Gelsenkirchen und so fort“, erinnert sich Susanne Neumann, die seit dem 1. Dezember letzten Jahres krankheitsbedingt Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht.
In ihrer Funktion als Betriebsrätin und Gewerkschafterin hat sie viel Zeit vor dem Arbeitsgericht verbracht und sich ebenso wie auf der Straße bei Streiks für ihre Belange und die ihrer Kollegen eingesetzt. Denn ihr Engagement macht sie stark und sie kann einfach nicht dabei zusehen, dass es erlaubt ist, wenn eine Frau 16 lange Jahre nur von einem befristeten Vertrag auf den nächsten hoffen und ständig mit Zukunftsängsten leben muss.

Dauergast im TV

Seit dem Mai letzten Jahres und ihrem Auftritt in Berlin ist sie dauernd zu Gast in den Medien unterwegs: RTL, ZDF am Mittag, Sat1-Frühstücksfernsehen, MDR, WDR Hier und heute und natürlich die diversen Zeitungen nicht zu vergessen.
Dabei musste sie schnell erfahren, dass es viele schwarze Schafe gibt, die eine solche unerwartete Publicity für sich nutzen wollen. So kamen zwei Herren auf sie zu, die ihr die Idee eines Buches unterbreiteten. „So viel Pech wie ich im Leben hatte, habe ich auch das Glück, dass ich immer wieder auf Menschen treffe, die mich aus dem Gröbsten herausholen“, freut sich Neumann, denn einer ihrer „Chefs“, der Rechtsanwalt Werner Möhlenbrock, dessen Büros sie geputzt hat, hat sie vor dem Angebot der beiden Herren gewarnt und das zu Recht. Dank seines Eingreifens hat sie den Vertrag nicht unterschrieben und selbst Kontakt zum Verlag Lübbe aufgenommen. Dort stellte man ihr Andreas Hoch zur Seite, der ihr half, das Buch auf den Weg zu bringen. Im August fing sie mit dem Schreiben an und Ende November ging „Frau Neumann haut auf den Putz“ in Druck. Dabei hat sie sich in vielen Dingen durchgesetzt, nicht nur was die Sprache betraf: „Es gab ein kleines Gerangel um Gesetzestexte. Ich habe aber gemeint, dass es genug Gesetzbücher gibt und es für die Menschen wichtiger ist, mein Leben und meine Beweggründe kennenzulernen.“

Popularität und Erfolg sorgen auch für Sorgen

Mit dem Erscheinen des Buches erlebte ihre Präsenz in den Medien eine weitere Welle, doch es bedeutet auch Sorgen und Ängste. Denn: „Egal was der kleine Mann macht. Da bekommt er Geld mit dem er nie gerechnet hat und schon wird er dafür bestraft“, schildert die Autorin, die gerade den ersten Vorschuss vom Verlag erhalten hat. Nun wird sie von Sorgen umgetrieben, ob ihre Erwerbsminderungsrente gekürzt wird, was das Finanzamt von ihr fordern wird und und und.
Aber sie sagt auch, dass sie sich nicht entmutigen lassen wird, solange sie noch den Finger in die Wunde legen kann. Dass ihr das gelungen ist, bewies auch die Reaktion von Sigmar Gabriel, als dieser letzten Sommer im Wissenschaftspark zu Gast war, um mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Als er Susanne Neumann im Publikum entdeckte und sie einwarf, dass die Gewerkschaften weiterhin gegen TTIP auf die Straße gehen würden, entgleiste der damalige Vizekanzler ein wenig. Das bestätigte Susi Neumann: „Ich bin Sigmar Gabriels Albtraum geworden!“
Umso mehr freut sie sich über den Aufwind, den die SPD mit Martin Schulz als neuem Kanzlerkandidaten erfahren hat. Sie gibt aber zu bedenken: „Mit Schulz wurde nur der Kopf ausgewechselt. Jetzt muss Martin Schulz dicke Bretter bohren, um ein standhaftes Regal zu bauen. Dazu müssen noch andere kommen und er muss richtig aufräumen.“ Aber nicht nur in der SPD muss sich nach Ansicht der tatkräftigen Streiterin etwas ändern, sondern auch bei den Menschen: „Mein Wunsch wäre, dass wieder mehr Leute in die Gewerkschaften eintreten und sich nicht darauf verlassen, dass die anderen es schon richten werden, während sie zu Hause sitzen und nur meckern. Es kommt auf jeden Einzelnen an!“

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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