Sommerinterview mit Oberbürgermeister Frank Baranowski

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Premiere für Tisch und Stühle im Innenhof der fünften Etage des Hans-Sachs-Hauses: Das Teak-Ensemble hatte Oberbürgermeister Frank Baranowski von den Mitarbeitern zum Geburtstag bekommen und beim Sommerinterview mit dem Stadtspiegel empfing er damit zum ersten Mal Besuch. Und worum ging es am Anfang? War ja klar...

Stichwort Jugendamt: „Ich habe nicht gezählt, wie oft mich das Thema um den Schlaf gebracht hat“, gibt Gelsenkirchens Verwaltungschef zu. „Da ist so viel Enttäuschung, Wut, Empörung und Fassungslosigkeit. Getäuscht zu werden, ist eine Erfahrung, die man in keiner Amtszeit braucht.“ An der Aufklärungsarbeit hält er fest, die ersten Berichte sind im Internet nachzulesen und belegen die Täuschung.
„Ärgerlich ist, dass dieser Skandal über die Stadt hinaus wirkt und wir tatsächlich immer noch nicht alles wissen. Die Konsequenzen, die wir ziehen konnten, nämlich die sofortige Trennung vom Amtsleiter und seinem Vertreter, haben wir gezogen.“ Besonders ärgerlich sei, dass die gute Arbeit der Jugendamts-Mitarbeiter in Misskredit geraten sei. „Wir wollen jetzt eine klare Perspektive für dieses Referat haben, suchen zügig nach einer neuen Leitung und setzen auf viele Gespräche, damit wir das Jugendamt gut neu aufstellen können“, so Frank Baranowski.

"Das Jugendamt gut neu aufstellen."

Währenddessen liegen neue Herausforderungen vor der Stadt: Erst kürzlich wurde innerhalb von einem Tag ein Flüchtlingsheim in Scholven aus dem Boden gestampft. „Die Bezirksregierung hatte uns um Hilfe gebeten, es handelt sich um eine Erstaufnahme, die eigentlich Landessache ist“, erklärt der OB. „Die große Hilfsbereitschaft, die wir dort erfuhren, hat mich beeindruckt und stolz gemacht.“ Die ganze Welt sei in Bewegung: Afrika, Naher Osten, Ukraine. „Jedem ist klar, dass man helfen muss. Die Herausforderung heißt jetzt Integration mit klaren Leitplanken“, weiß Baranowski, der daran erinnert, dass Bund und Land an dieser Stelle ihrer finanziellen Verantwortung nachkommen müssen. Ob in Gelsenkirchen - wie in der Nachbarschaft - auch Zeltstädte zum Einsatz kommen werden, mag er nicht prognostizieren. „Alle Vorhersagen, die es bisher gab, wurden übertroffen. Wir setzen weiter auf die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen, aber wer will heute schon sagen, wie es in einem halben Jahr aussieht?“ Dass das Flüchtlingsheim in Scholven länger erhalten bleibt, als die zunächst angesagten „einige Wochen“, damit sei zu rechnen.

Keine Prognosen in Sachen Flüchtlingszahlen und Süd-Ost-Zuwanderung

Prognosen in Sachen Süd-Ost-Zuwanderung schätzt er genauso ein. „Das sind EU-Bürger, die zu uns kommen und sich selbst eine Wohnung suchen. Und sie kommen in höherer Zahl als die Flüchtlinge. Wir bleiben hier bei unserer Strategie: Wer sich an die Regeln hält und hier heimisch werden möchte, ist willkommen, ansonsten reagieren wir rigoros.“ Für diese Aufgabe hat Gelsenkirchen eigens eine Stabsstelle eingerichtet, bei der alle Fäden auf kurzen Dienstwegen zusammen laufen - eine Einrichtung, die in anderen Städten inzwischen nachgeahmt wird. „Insgesamt kann man zu der Situation sagen, dass man merkt, dass Zuwanderung fürs Ruhrgebiet nix Neues ist. Wir haben ja fast alle eine Zuwanderungsgeschichte.“

Ordnung und Sicherheit

Nichtsdestotrotz sind Ordnung und Sicherheit große Themen in der Stadt. „Darauf werde ich am allermeisten angesprochen“, gibt Baranowski zu und es nerve ihn nicht. „Was mich manchmal stört, sind Anrufe bei den Gelsendiensten, obwohl man einen Missstand mit einem Besen in der Hand schnell selbst beseitigen könnten.“ Da habe sich etwas an der Mentalität der Menschen verändert, früher habe man eher mal selbst angepackt. „Das ist ein Grund für uns, den kommunalen Ordnungsdienst aufzustocken.“ Und der erste Mann der Stadt gibt freimütig zu, dass er nicht durch die Stadt fahren kann, ohne dreckige Ecken zu bemerken. „Da rufe ich natürlich die zuständigen Stellen an und mache sie darauf aufmerksam“, sagt er und wundert sich, wenn er Autofahrer in Luxuskarossen sieht, die ihren Aschenbecher auf der Straße leeren. „Soetwas gab es früher nicht.“
Dass Gelsenkirchen nach wie vor nicht den besten Ruf hat, könnte auch daran liegen, dass die Gelsenkirchener selbst nicht gut über ihre Stadt sprechen, oder? „Ja, manchmal wäre es sicher schön, wenn man die schönen Seiten der Stadt - wie ein Musiktheater, eine Zoom Erlebniswelt - mehr herausstellen würde, aber die selbstkritische Sicht gehört im Ruhrgebiet eben dazu. Man darf bei allen positiven Seiten der Stadt keine Luftblasen verbreiten.“ Außerdem belege die Statistik die Einschätzung nicht: Bei einer Umfrage 2005 sagten 75 Prozent der Gelsenkirchener, dass sie gern in ihrer Stadt leben, 2013 waren es sogar 84 Prozent. „Ich denke, nach innen wird kritisiert, aber außerhalb der Stadt lassen sie nichts auf Gelsenkirchen kommen.“

Kein Beruf ist schöner als OB

Frank Baranowski, der sich keinen schöneren Beruf vorstellen kann, als Oberbürgermeister in der Stadt, in der er geboren wurde, zu sein, ist unermüdlich in dieser seiner Stadt unterwegs, „obwohl ich inzwischen ein freies Wochenende im Monat zu schätzen weiß“, kennt viele Menschen, nutzt den Kontakt mit den Bürgern, um die Probleme der Stadt zu erkennen. Und die Unterschiede innerhalb der Stadt. „Ja, der Kanal ist immer noch so eine Grenze“, schmunzelt Baranowski. „Und zum Beispiel das Thema Zuwanderung ist in der Gelsenkirchener City präsenter als in der Buerschen.“ Seine Lieblingstermine sind die in Kindergärten. „Zum Theaterfest gehe ich gern, aber auch zu den Premieren im Theater.“ Viele Ereignisse hätte er - ohne der gewählte Oberbürgermeister seiner Stadt zu sein - nicht erlebt. „Das ist ein Privileg, das ich zu schätzen weiß. Und es entschädigt für die Dinge, die weniger schön sind.“ In den Quartieren der Stadt berichten Bürger ihm oft von nachbarschaftlichen Schwierigkeiten aus ihrer direkten Umgebung. „Das ist ganz normal.“

Meisterfeier: Balkon vorhanden...

Aber bei einem Thema sind sich die allermeisten einig: Schalker sind sie alle. „Sicher, der FC Schalke 04 ist wichtig für die Stadt: Als Magnet, als Arbeitgeber. Ohne ihn hätte es die Weltmeisterschaft 2006 in unserer Stadt nicht gegeben“, stimmt Baranowski zu, der sich gut an das Spiel England gegen Portugal erinnert, bei dem er vor Mick Jagger saß... „Der FC Schalke ist ein Stück Gelsenkirchen, aber Gelsenkirchen ist viel mehr als „nur“ der S04“. Und dass Manuel Neuer ihm den DFB-Pokal einst zugeworfen hat, das sei ein Erlebnis, das man nicht vergisst. Gegen eine Meisterfeier hätte der OB, der die Schalker gern in der Arena sieht, natürlich auch nichts einzuwenden. „Früher wurde uns immer gesagt, es fehle der passende Balkon für die Party, für den haben wir jetzt gesorgt. Also unser Teil ist getan...“

Gelsenkirchen 2040

Und da wir schon über die ferne Zukunft sprechen, wie sieht Baranowski sein Gelsenkirchen im Jahr 2040? „Oh Mann, da bin ich 78 Jahre alt... Schön wäre, wenn Bund und Land bis dahin klar wäre, dass sie die Kommunen auskömmlich finanzieren müssen und nicht nur mit Aufgaben belasten. Dann kann ich mir ein Gelsenkirchen mit stabilen Quartieren, guter Nachbarschaft und vielen Menschen, die in jungen Jahren weggezogen und dann doch zurückgekommen sind, vorstellen. Eine Stadt mit ausreichend Arbeits- und Ausbildungsplätzen, die in der digitalen Welt angekommen ist.“ Er sei dann ein Mensch, der das kulturelle Leben der Stadt genießt und hoffentlich noch ein bisschen Sport treibt. „Und wir beide treffen uns dann am Stammtisch und besprechen das alles.“ Immer gern.

Autor:

Silke Heidenblut aus Essen

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