Christine Schade (60) fordert im Interview ein Umdenken bei Pflegeeinrichtungen
"Das ist ein Alibi!"

Christine Schade (60) ist seit über 25 Jahren in der Pflege tätig. Nachdem die Gevelsbergerin früher im aktiven Geschäft gearbeitet hat, ist sie heute im Management tätig und übernimmt die Ausbildung der Kaufleute im Gesundheitswesen. | Foto: privat
  • Christine Schade (60) ist seit über 25 Jahren in der Pflege tätig. Nachdem die Gevelsbergerin früher im aktiven Geschäft gearbeitet hat, ist sie heute im Management tätig und übernimmt die Ausbildung der Kaufleute im Gesundheitswesen.
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Auf unseren Beitrag "Pflege: Wer soll's machen?" hat die Gevelsbergerin Christine Schade (60) einen Leserbrief geschrieben, in dem sie deutlich macht, dass sie den Fachkräftemangel in der Pflege ähnlich bedrohlich sieht, wie in dem Beitrag beschrieben. Doch die ehemalige Pflegerin sagt auch, dass aufgeweichte Zugangsvoraussetzungen eindeutig der falsche Weg seien. Im Interview mit unserem Volontär Christian Schaffeld erklärt sie, warum.

Frau Schade, wie meinen Sie diese Aussage?

Die Politik denkt darüber nach, dass Bewerber für die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft, in Zukunft keinen mittleren Bildungsabschluss mehr brauchen, sondern der Hauptschulabschluss als Zugangsvoraussetzung genügt. Doch viele unterschätzen, wie anspruchsvoll ein Beruf in der Pflege ist. Häufig haben auch Azubis, die eine Mittlere Reife haben, Schwierigkeiten mit den Anforderungen.

Das bedeutet, dass Hauptschüler die Ausbildung nicht schaffen?

Nein, es gibt immer Ausnahmen. Hauptschüler können die Ausbildung auch schaffen. Allerdings ist der Beruf anspruchsvoll. Neben der Fachsprache geht es vor allem darum, medizinische sowie sozial pflegerische Kompetenzen zu erlangen.

Was sind Ihrer Meinung nach denn die Hauptprobleme in der Pflege?

Definitiv der Fachkräftemangel. Das liegt vor allem am demographischen Wandel. Es gibt immer mehr Menschen, die Hilfe bedürfen. Zudem gibt es unter den Pflegekräften zu viele schwarze Schafe.

Inwiefern?

Es gibt Fachkräfte, bei denen ich mich frage, wo diese ihr Examen gemacht haben. Die denken sich: 'Ich kann eh nicht entlassen werden, deshalb brauche ich auch nicht richtig arbeiten.' Das sind aber genau die Leute, die sich über die ganze Dokumentationsarbeit beklagen.

Wie meinen Sie das?

Das ist ein Alibi! Sie erzählen in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, wie viel sie mit der Doku zu tun hätten. Aber in Wirklichkeit beschäftigen sie sich mit anderen Arbeiten und überlassen den Hauptteil der Pflege dem Assistenzpersonal und den Auszubildenden. Wenn sich eine Einrichtung strukturiert und die Arbeit richtig aufteilt, gibt es diese Probleme nicht. Es müssen ja auch nicht alle Patienten pünktlich um 8 Uhr beim Frühstück sitzen. Man kann die Menschen ja in Etappen wecken.

Würde das nicht auf Kritik bei den Patienten stürzen?

Das lässt sich alles regeln. Manche Menschen stehen gerne früh auf, während andere lieber noch eine halbe Stunde im Bett bleiben.

Das heißt die Dokumentationsarbeit in Pflegeeinrichtungen ist gar nicht zu hoch?

Ich bin da ein wenig zwiegespalten. Wenn wir nicht dokumentiert haben, haben wir nicht gearbeitet - so hart das klingt. Andererseits darf auch die Pflege des Patienten nicht zu kurz kommen.

Für wie viele Patienten ist ein Pfleger in der Krankenpflege denn zum Beispiel in der Nachtschicht zuständig?

Das ist ganz unterschiedlich. Das Gesetz sagt: Bis 60 Kunden unterschiedlicher Pflegebegradung ist ein Pfleger vorgesehen. Zwei Pfleger für 35 Personen sind absoluter Luxus. Das kommt eigentlich nie vor. Meistens liegt die Zahl wirklich bei den 60.

Was denke Sie dementsprechend über die Aussage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der sagte: "Wenn jeder Mensch in der Pflege auch nur eine Stunde mehr arbeiten würde, wäre uns schon viel geholfen"?

Von den Äußerungen halte ich gar nichts. Herr Spahn soll mal eine Woche in einer Pflegeeinrichtung mitarbeiten. Er hat zwar rein in der Theorie nicht unrecht, aber wirklich rein in der Theorie. Er meint die Aussage wahrscheinlich etwas anders. Denn wenn er dort mitarbeiten würde, würde er so etwas nie wieder sagen. Wenn doch, möchte ich mit ihm ein persönliches Gespräch führen.

Ist es nicht ein erster Schritt der Politik, 380 Euro pro Monat für die Pflegeausbildung bereitzustellen?

Wer hat der Politik vorgerechnet, dass in der Pflegeausbildung 380 Euro pro Schüler für die Bildungsinstitute ausreichen? Für Sprachkurse werden immerhin 1.000 Euro pro Woche pro Teilnehmer ausgegeben. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass diese Teilnehmer trotz erfolgreichem Abschluss zu 80 Prozent nicht weitervermittelt werden können.

Woran liegt das?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber das ist Geld, das vom Staat verbrannt wird.

Um auf die positiven Seiten aufmerksam zu machen: Was läuft denn bereits gut in der Pflege?

Eine ganze Menge. Es gibt viele Pfleger, die schon in der Ausbildung engagiert sind. Diese Menschen springen an Wochenenden und Feiertagen ein, weil sie ihre Kollegen nicht im Stich lassen wollen. Auch die Bildungsinstitute machen einen tollen Job. Es gibt hervorragende Weiterbildungsmöglichkeiten. Zudem ist selbst das Gehalt nach der Ausbildung mit 2.900 Euro nicht niedrig.

Alle Texte unserer verlagsweiten Pflege-Serie finden Sie auf unserer Themenseite.

Autor:

Christian Schaffeld aus Oberhausen

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