Nachlese "Satansbraten" in der Neuen Galerie

Jens Dornheim brillierte in der Rolle des größenwahnsinnigen Walter Kranz. | Foto: Röken
2Bilder
  • Jens Dornheim brillierte in der Rolle des größenwahnsinnigen Walter Kranz.
  • Foto: Röken
  • hochgeladen von Annette Robenek

Hin und wieder gibt es in der Neuen Galerie etwas anderes zu bestaunen als Gemälde und Skulpturen. Der schroffe Rundraum eignet sich nämlich nicht bloß für Ausstellungen, sondern auch exzellent für Theateraufführungen. Erkannt hat dies Mime Jens Dornheim. Der in Oberhausen und Gladbeck beheimatete Ausstellungsorganisator produziert als Leiter der freien Theatergruppe „glassbooth“ in der Regel einmal jährlich ein neues Stück.

Mit ihrem neuen Werk hatte sich „glassbooth“ etwas ganz Besonderes vorgenommen. Kein Geringerer als der große Rainer Werner Fassbinder wurde als Vorlagengeber zum neuesten Projekt ausgesucht.

Das selten gespielte Stück „Satansbraten“ steht auf dem Programm, eine bitterböse, kultur- und gesellschaftskritische, in alle politischen Richtungen auskeilende und daher nicht unumstrittene Farce. Satansbraten“ ist ein Stück ohne schwache Rollen, dasneunköpfige „glassbooth“-Ensemble eine Truppe voller bärenstarker Akteure und Aktricen. Selbst der kleinste Nebenpart hat eine wichtige Funktion und etwas zu sagen. Jeder einzelne Auftritt entwickelt sich zu einer Personality Show, zur Präsentation einer wahren Persönlichkeit.

Die Hauptattraktion ist natürlich der Hauptdarsteller. Jens Dornheim tobt über die Bühne wie ein angestochener Derwisch, allein das Minenspiel des „glassbooth“-Leiters ist das Eintrittgeld wert. Sein in hitlereskem Größenwahn schwelgender Walter Kranz, ein abgehalfterter Starschriftsteller mit Schreibblockade, Geldproblemen und Hang zum Narzissmus ist die tragende Säule des wüsten Lustspiels um Geld, Sex, Ruhm, Gier, Erniedrigung, Irrsinn und Schmeißfliegen.
Beeindruckend bewältigt Dornheim den schmalen Grad zwischen Unsympath und tragikomischer Heldenfigur („Still, Sie Mensch, Sie!!“). Man stellt sich unwillkürlich die Frage, wie viel von Walter Kranz in Jens Dornheim steckt.

Seine Bühnenpartner stehen dem umtriebigen Theaterpädagogen aber in nichts nach. Wie schon im Vorgängerstück „Das kalte Kind“ hat der Gladbecker Allroundkünstler Marlon Bösherz einen Part als Geistesgestörter inne. Der Fluch der guten Tat? Bösherz spielt diese Rollen dermaßen hinreißend, dass er Gefahr läuft, in eine Schublade zu geraten. In seiner Körperkomik oft an Stan Laurel erinnernd, liefert er als stubenfliegenfixierter Debiler eine denkwürdige Darbietung ab.

Wiederkehrende Highlights sind die Auftritte von Frank Tengler, der wie auch diverse andere Darsteller gleich mehrere Rollen übernahm. Speziell sein Part als Kripokommissar Lauf (eine Kreuzung zwischen Colombo und Clouseau mit Sneakers) sorgte für Heiterkeitsstürme.Sandra Wickenburg ist als unzufriedene, unbefriedigte und ewig nörgelnde Ehefrau Luise Kranz schlichtweg brillant.

Kristina Rickal treibt in einer Opferrolle als devotes Landei den Zuschauern gleichermaßen die Tränen der Rührung ins Gesicht und die Schadenfreude ins Gehirn.Tanja Brügger ist als blonde Bombe ein echter Hingucker, gleiches gilt für Meike Angermann als bauernschlaue Dirne.
Angelo Enghausen-Micaela und Thorsten Eisentraut agieren in größeren und kleineren Nebenrollen und vollbringen das Kunststück, in jeder einzelnen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Chapeau!

Das von „glassbooth“-Stammregisseurin Eva Zitta inszenierte Inferno beinhaltet bei einer Spieldauer von circa eindreiviertel Stunden wirklich keine Sekunde Leerlauf.Die über 100 Gäste in der Neuen Galerie bedachten das anlässlich des 30. Todestages von Rainer Werner Fassbinder aufgeführte Stück mit großem Applaus.
Man benötigt kein Geistermedium mit guten Kontakten ins Jenseits, um zu wissen, dass Fassbinder diese Aufführung seines Werkes teuflisch gut gefallen hätte.
(Harry Michael Liedtke)

Jens Dornheim brillierte in der Rolle des größenwahnsinnigen Walter Kranz. | Foto: Röken
Auch Tanja Brügger wusste die Zuschauer zu begeistern. | Foto: Röken
Autor:

Annette Robenek aus Gladbeck

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.