Portajom

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„Da wo de Böll liescht?“
„Ja genau!“
Kurz muss die alte Dame überlegen. Doch dann erklärt sie mir den Weg.
Die Sonne wirft milde Strahlen auf mich herab, die meinen Nacken wärmen, während ich durch scheinbar endlos lange Rhabarberfelder wandere.
Die zierlichen Äste der Obstbäume sind blütenbedeckt.
Während ich mich den Hügel hinauf Richtung Bergfriedhof kämpfe, spüre ich den sauer-süßen Geschmack des Rhabarbers auf meinen Lippen.
Ich denke an den Tagelöhner, der in die Dienste des Messerwerfers tritt. An die sorgenerfüllte Hausfrau, die auf ihren Mann, den irischen Arzt, wartet, der wieder einmal zu einer Entbindung auf Land hinaus muss. Bin in Gedanken bei Katharina Blum, die von der ZEITUNG zu Grunde gerichtet wurde und schreibe zusammen mit dem arm- und beinlosen Jungen „Wanderer kommst du nach Spa…“ an die viel zu kleine Tafel seiner Schule.

Ich habe mein Ziel erreicht und passiere das buntbemalte Eingangsportal des Friedhofs. Ohne Feile und Beschreibung steuere ich direkt auf sein Grab zu, gerade so als ob ich es schon ewig kennen würde.
Als ich auf das Grab zutrete passiert nichts.
Der Grabstein ist klein, ja beinahe versteckt. Nur die bunte Skulptur lässt darauf schließen, dass hier einer der bedeutendsten Schriftsteller, der Nachkriegszeit seine letzte Ruhe gefunden hat.
Beim Gang zurück bin ich enttäuscht. Enttäuscht weil nichts magisch war an diesem Ort.
Noch drei Stunden Zugfahrt. Dann bin ich wieder zu Haus. Ich schlage mein Buch auf und lese ein paar Zeilen:
„…. und als ich traurig meinen Kopf durch die Mauerlücke steckte war sie schon verschwunden und ich sah nur die stille, russische Straße, düster und vollkommen leer . …“
Und mit einem mal wird mir klar, dass Böll nicht tot in einem Grab irgendwo in Merten liegt sondern lebt. Lebt in all seinen Worten und Zeilen und jeden Tag neu geboren wird in den Köpfen seiner Leser.

Autor:

Marco Meissner aus Gladbeck

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