Lokalkompass-Sommerinterview: SPD-Gerdes zieht positive Bilanz

Tritt auch bei der Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis Gladbeck-Bottrop für die SPD an: Michael Gerdes.
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Gladbeck/Berlin. "Politische Sommerpause" herrscht derzeit - eigentlich - noch in der Bundeshauptstadt Berlin. Die Zeit nutzt Michael Gerdes, um in seinem Wahlbezirk Gladbeck/Bottrop unterwegs zu sein. Und der LOKALKOMPASS nutzte die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten.

LOKALKOMPASS: Michael Gerdes, die Sommerpause des Bundestages wird gerne dafür genutzt, Bilanz zu ziehen. Wie bewerten Sie das erste Halbjahr 2016 in politischer Hinsicht?
Michael Gerdes: Unser Handeln stand vor allem im Zeichen der Flüchtlingspolitik. Deutschland hat sich als Land der Extreme gezeigt: Willkommenskultur auf der einen, Ablehnung bis hin zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte auf der anderen Seite. Nachdem wir in den vergangenen Monaten eine große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen haben, geht es jetzt darum, diese Menschen bei uns zu integrieren. Das ist eine Mammutaufgabe. Um sie besser zu bewältigen, haben wir in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause das Integrationsgesetz verabschiedet. Wir verbessern damit die Angebote zur schnellen Integration in den Arbeitsmarkt und zum Spracherwerb nach dem Grundsatz des Förderns und Forderns. Das Gesetz trägt eine klar sozialdemokratische Handschrift: Es belohnt Anstrengungen bei der Integration, berücksichtigt aber gleichzeitig die besondere Situation von Flüchtlingen. Parallel arbeiten wir an einem Einwanderungsgesetz, um die Zuwanderung von Fachkräften besser steuern zu können. Dies ist auch im wirtschaftlichen Interesse unseres Landes, denn den Fachkräftemangel können wir nicht allein durch die Flüchtlinge beheben.
Ich möchte aber auch betonen: Wenn wir jetzt in Ausbildung und in den sozialen Wohnungsbau investieren, tragen wir damit zu einer sozial gerechten Modernisierung der Gesellschaft insgesamt bei. Wir machen damit ausdrücklich Politik für alle Menschen, die Verbesserungen in ihrem Alltag brauchen.

LOKALKOMPASS: Das war der Blick des Bundespolitikers. Was denken Sie über das Zusammenleben hier in Gladbeck?
Michael Gerdes: Die geflüchteten Menschen sind in Gladbeck gut aufgehoben. Hauptamtliche und Ehrenamtliche arbeiten eng zusammen. Bürgermeister Uli Roland und die gesamte Stadtverwaltung haben viel geleistet, als Eile geboten war, um ausreichend Unterkünfte bereit zu stellen. Seitens der Bürgerinnen und Bürger gab es eine enorme Spendenbereitschaft. Mein Eindruck ist, dass die Flüchtlingshilfe in Gladbeck funktioniert, wir haben ein großes Netzwerk.

LOKALKOMPASS: Nach den Gewalttaten in München, Würzburg oder Ansbach ist die Sorge, dass Integration misslingt, größer geworden. Oder?
Michael Gerdes: Diese Ereignisse haben mich sehr betroffen gemacht. Es zeigt, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt – insbesondere mit Blick auf radikale Einzeltäter, denen das eigene Leben nichts bedeutet. Wir müssen jetzt als Staat und Gesellschaft wachsam und besonnen zugleich sein. Nicht jeder Flüchtling ist ein Täter, nicht jeder, der an einer psychischen Erkrankung leidet, wird anderen gegenüber gewalttätig. Unser freiheitliches Leben dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Jede Tat muss genau analysiert werden. Ich bin froh, dass durch die gute Arbeit der Polizei und Sicherheitskräfte noch schlimmere Auswirkungen verhindert werden konnten.

LOKALKOMPASS: Sie sind Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales – Kernthema für einen Sozialdemokraten. Wie steht es um die soziale Gerechtigkeit in Deutschland? Was hat die SPD erreicht, was nicht?
Michael Gerdes: Wir haben in der großen Koalition einiges erreicht. Besonders stolz macht mich, dass es uns gelungen ist, den Mindestlohn einzuführen. Den Unterbietungswettbewerb bei den Löhnen haben wir damit endlich gestoppt. Mit den Reformen beim "BAföG" und "Meister-BAföG“ haben wir außerdem ein starkes Signal für mehr Bildungsgerechtigkeit und die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gesetzt. Mehr Menschen profitieren jetzt von der staatlichen Ausbildungsförderung. Das gilt für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende, aber auch für Berufstätige, die bei Auftstiegsfortbildungen – zum Beispiel zum Handwerksmeister, Techniker oder Fachwirt – unterstützt werden.
Fortschritte gibt es auch beim Kampf gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen. Wir haben es gegen den Widerstand der Union geschafft, mit Beharrlichkeit zu einem guten Ergebnis zu gelangen. Wir werden den Gesetzentwurf von Andrea Nahles nach der Sommerpause im Parlament behandeln und noch in diesem Jahr zum Abschluss bringen. Wir schieben damit dem Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen endlich einen Riegel vor und sorgen dafür, dass gute Arbeit auch fair bezahlt wird. Die Leiharbeit wird auch zukünftig die nötige Flexibilität für Auftragsspitzen oder Vertretungen bieten, der Verdrängung von Stammbelegschaften wird jedoch entgegengewirkt. Ebenso wird verhindert, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer dauerhaft zu niedrigeren Löhnen als die Stammbeschäftigten eingesetzt werden.
 
LOKALKOMPASS: Der Arbeitsmarkt in Deutschland scheint stabil. In den Ruhrgebietsstädten sieht es an manchen Stellen nicht ganz so rosig aus. Welche Perspektiven bieten sich zum Beispiel für junge Arbeitnehmer? Wie kann denen geholfen werden, die lange Zeit ohne Job sind?
Michael Gerdes: Die besten Perspektiven schafft Bildung. Die SPD hat in den 1960er Jahren den Grundstein dafür gelegt, dass Bildungschancen allen offen stehen – unabhängig vom Einkommen oder Bildungshintergrund der Eltern. Durch den Bau der Hochschulen haben wir viel erreicht; mittlerweile haben wir im Ruhrgebiet eine der dichtesten Hochschullandschaften Europas. Trotzdem sind die Chancen junger Menschen immer noch ungleich verteilt. Unser Anspruch bleibt die kostenfreie Bildung von der Kita bis zum Hochschulabschluss oder Meister. Menschen, die lange ohne Job sind, müssen wir Teilhabechancen eröffnen. Der hohe Anteil an Langzeitarbeitslosen ist ein Kernproblem im Ruhrgebiet. Wir wollen ihnen mit der Schaffung eines „sozialen Arbeitsmarktes“ eine Perspektive bieten. Das Prinzip ist ganz einfach: Statt Arbeitslosigkeit möchten wir Beschäftigung finanzieren. Jeder Mensch hat Stärken und Potenziale, die er zum Wohle der Gemeinschaft einbringen kann. Gerade erst ist das Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungs-Stärkungsgesetz (AWStG) in Kraft getreten, von dem insbesondere Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte profitieren, die einen Berufsabschluss nachholen wollen. Um die Arbeitsmarktsituation im Ruhrgebiet insgesamt zu verbessern, müssen wir die Attraktivität der Region erhöhen, die Innovationskraft der hier ansässigen Unternehmen stärken und die Gründung neuer Unternehmen unterstützen. Die SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet haben sich zusammengeschlossen, um sich genau dafür stark zu machen.

LOKALKOMPASS: Die großen Themen im Koalitionsvertrag scheinen abgearbeitet. Was bleibt für das letzte Jahr in der Koalition?
Michael Gerdes: Wir sind für vier Jahre gewählt und in die Bundesregierung eingetreten. Die Bürgerinnen und Bürger hätten kein Verständnis dafür, wenn wir bereits jetzt die Arbeit einstellen und uns dem vorgezogenen Wahlkampf widmen würden. Es gibt auch noch einiges zu tun. Zum Beispiel muss noch das neue Bundesteilhabegesetz vom Bundestag beschlossen werden. Es ist eines der großen sozialpolitischen Reformprojekte in dieser Legislaturperiode und bringt Menschen mit Behinderung mehr Gleichberechtigung, Teilhabe und Selbstbestimmung. Das sind konkrete Verbesserungen, auf die Behinderte und ihre Angehörigen seit vielen Jahren gewartet haben. Zu den Fragen, die die Menschen am meisten beschäftigen, gehört die Zukunft der Rente. Bundessozialministerin Andrea Nahles wird hierzu im Herbst ein Gesamtkonzept vorlegen. Viele haben über Jahrzehnte Beiträge eingezahlt und landen mit ihren Renten trotzdem nicht über der Armutsschwelle. Das kann uns nicht kalt lassen. Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag eine solidarische Lebensleistungsrente vereinbart. Dies muss ebenfalls noch umgesetzt werden. Die Verbesserung wird vor allem Geringverdienern und Menschen zugutekommen, die Angehörige gepflegt und Kinder erzogen haben.

LOKALKOMPASS: Sie möchten den Wahlkreis Bottrop, Gladbeck, Dorsten bei der kommenden BTW 2017 erneut vertreten und sind von der örtlichen SPD bereits nominiert. Welche Themen werden die Agenda bestimmen? Welche Ideen bieten Sie als Sozialdemokrat an?
Michael Gerdes: Soziale Gerechtigkeit ist und bleibt unser Kernanliegen. Die Ungleichheit wächst; viele Menschen fühlen sich im Wettbewerb um gute Arbeit abgehängt oder machen die Erfahrung, trotz harter Arbeit nicht voran zu kommen.
Wir haben dieses Kernanliegen nicht aus dem Blick verloren, wie oftmals behauptet. Die SPD ist aber nun einmal Partnerin in einer Koalitionsregierung, in der sie Kompromisse eingehen muss. Viele unserer Ziele sind mit der CDU/CSU nicht umsetzbar. Wer eine Politik für mehr soziale Gerechtigkeit will, muss SPD wählen. Klar muss aber auch sein: In der Opposition hätten wir keines unserer Ziele erreicht.
Auf der kommunalen Ebene brauchen wir gesunde Stadtfinanzen, um Maßnahmen umsetzen zu können, die die soziale Gerechtigkeit erhöhen und das Wohnumfeld für alle lebenswert machen. Eine zentrale Aufgabe besteht daher darin, den Kommunen stärker unter die Arme zu greifen. Erreicht haben wir immerhin schon, dass Gladbeck ab dem Jahr 2018 mit knapp 1,5 Millionen Euro durch den Bund entlastet wird. In den Jahren 2016 bis 2018 übernimmt der Bund auch die Mehrkosten, die bei der Unterbringung von Flüchtlingen entstanden sind. Die Beharrlichkeit vor allem der nordrhein-westfälischen SPD hat sich bei diesem Thema ausgezahlt.

LOKALKOMPASS: Zum Abschluss ein Wort zum Gladbecker Dauerthema A 52?
Michael Gerdes: Meine Position ist doch bekannt: Ich bin für den Ausbau und die Tunnellösung. Die Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur in unserer Region darf nicht unterschätzt werden. Ohne gute Straßen haben Pendler und Güterverkehr schlechte Karten. Ich würde lieber heute als morgen bauen.

LOKALKOMPASS: Wir danken für das Gespräch.

Autor:

Uwe Rath aus Gladbeck

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