Olympische Spiele 1936
Willy Kaiser aus Gladbeck: Boxen für die Nazis

Wilhelm "Willy" Gustav Kaiser in seiner Sportleruniform: Bei den Olympischen Spielen 1936 errang der Gladbecker Boxer seinen größten Sieg. Auf solchen Zigarettenkarten wurde sein Bild in der Öffentlichkeit bekannt. Foto (Public Domain): University of Regina Archives & Special Collections (Theodore Allen Heinrich fonds)
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  • Wilhelm "Willy" Gustav Kaiser in seiner Sportleruniform: Bei den Olympischen Spielen 1936 errang der Gladbecker Boxer seinen größten Sieg. Auf solchen Zigarettenkarten wurde sein Bild in der Öffentlichkeit bekannt. Foto (Public Domain): University of Regina Archives & Special Collections (Theodore Allen Heinrich fonds)
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Am 15. August jährt sich ein legendäres sportliches Ereignis: Der Gladbecker Wilhelm "Willy" Kaiser trat vor 82 Jahren zu seinem wichtigsten Kampf an. Bei den Olympischen Spielen 1936 besiegte der drahtige, aber zierliche Boxer seinen Gegner im Finalkampf und wurde mit der Goldmedaille im Fliegengewicht belohnt. Auf seinem strahlenden Sieg lag aber immer ein düsterer Schatten.

von Oliver Borgwardt

Nervös dürfte Willy Kaiser schon gewesen sein, als er zum Ring gerufen wurde. Alle Augen richteten sich auf den kleinen, 51 Kilo leichten Mann in der gigantischen Deutschlandhalle. Der Berliner Nazi-Protzbau galt 1936 als größte Mehrzweckhalle der Welt, in der rund 16.000 Menschen Platz hatten. Hier hatte Adolf Hitler zur Eröffnung ein Jahr zuvor seine Parteigenossen aufmarschieren lassen, hinter sich ein monströser Reichsadler und riesige Hakenkreuzfahnen.

Nun, im Sommer 1936, wollte das Regime auch seine Überlegenheit in der Sportwelt präsentieren. Mit immensen Aufwand hatte das Reich in seiner Hauptstadt die Olympischen Spiele inszeniert. Ausschließlich deutsche Fotografen sollten das gewünschte Bild von dem mächtigen NS-Staat in die Welt tragen. Willy Kaiser, eine jungenhafte Erscheinung in dunklem Hemd und weißer Hose, wurde - ob freiwillig oder nicht - eines der Instrumente in dieser gigantischen Propagandashow für den Nazistaat.

"Hart wie Kruppstahl"

Die Uhr zeigt halb neun Uhr abends, als Willy Kaiser seinem Gegner, dem Italiener Gavino Matta, gegenübersteht. Auf den beiden kleinen Männern lastet eine gewaltige Erwartung: Es ist der erste Finalkampf an diesem Tag, dem 15. August, und die "Fliegengewichtler" müssen sich als erstes messen. Hier steht nicht nur der Sport im Vordergrund, sondern auch Politik: Als "Arier" betrachten die Nazis den deutschen Mann als überlegenen Kämpfer, als Ergebnis eines neuen Menschenbildes: "Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" sollte die deutsche Jugend sein, klaglos und tapfer dienen, und im Sport wie im Kampf allen anderen "Rassen" überlegen sein.

Die sportliche Leistung des jungen Gladbeckers jedenfalls erfüllt diesen Anspruch: Er ist schnell, er ist treffsicher, und wie in einem Tanz bewegt sich Willy Kaiser im Ring mit seinem italienischen Gegner. Aber auch Gavino Matta ist kein Anfänger. Gespannt zählen die Ringrichter die Punkte. Am Nachmittag hatten die Italiener den olympischen Sieg im Fußball errungen, während die deutsche Olympiafreude durch eine krachende Niederlage im Hockey-Finale gegen Indien einen Dämpfer bekommen hatte.

Für welches Land würde der Abend mit Gold ausgehen?

Am Ende jubeln die Deutschen: Kaiser gewinnt den Kampf nach Punkten, strahlend empfängt er den goldenen Lorbeerkranz. Für die Kamera legt er mit ehrlicher Freude den Arm um seinen Finalgegner, dessen enttäuschte Miene gegen das jungenhafte Lächeln des Deutschen verblasst.

Mit seinem Sieg hat Willy Kaiser die lastende Spannung gebrochen: Nach ihm treten auch noch die anderen deutschen Boxer in den Ring, holen fünf Medaillen. Neben Willy Kaiser gewinnt auch noch der Elberfelder Herbert Runge Gold im Weltergewicht, dazu gibt es zwei Silber- und eine Bronzemedaille. Deutschland ist damit das erfolgreichste Land im Boxen bei diesen Olympischen Spielen.

In Gladbeck gefeiert wie ein Held

Artig heben die Athleten am nächsten Tag auf dem Siegerpodest den Arm zum "Deutschen Gruß". Als Willy Kaiser seine Medaille empfängt, ist nicht nur in Berlin der Jubel groß: Auch in seiner Heimatstadt Gladbeck, in der der Sohn Posener Einwanderer seit seinem ersten Lebensjahr wohnt, platzt man fast vor Stolz auf "unseren Jungen". Kein Wunder, denn noch kein anderer Westfale, geschweige denn Gladbecker, hatte je zuvor eine olympische Goldmedaille gewonnen.

Bürgermeister Hackenberg, der seine SS-Uniform auch gerne als Amtskleidung trägt, und eine mächtige Schar jubelnder Bürger warten schon auf Kaiser, als er aus Berlin nach Hause kommt. Die folgenden Fotos stammen aus dem Nachlass des Fotografen Wilhelm Schmidt Junior und wurden nun dem Stadtspiegel zur Verfügung gestellt. Foto: Archiv
  • Bürgermeister Hackenberg, der seine SS-Uniform auch gerne als Amtskleidung trägt, und eine mächtige Schar jubelnder Bürger warten schon auf Kaiser, als er aus Berlin nach Hause kommt. Die folgenden Fotos stammen aus dem Nachlass des Fotografen Wilhelm Schmidt Junior und wurden nun dem Stadtspiegel zur Verfügung gestellt. Foto: Archiv
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Bürgermeister Hackenberg, der seine SS-Uniform auch gerne als Amtskleidung trägt, und eine mächtige Schar jubelnder Bürger warten schon auf Kaiser, als er aus Berlin nach Hause kommt. Aus dem Lachen und Winken kommt Willy Kaiser kaum noch heraus, als er in seiner weißen Sportleruniform auf Schultern durch die Innenstadt getragen wird.  

Aus dem Lachen und Winken kommt Willy Kaiser kaum noch heraus, als er in seiner weißen Sportleruniform auf Schultern durch die Innenstadt getragen wird.  Foto: Archiv
  • Aus dem Lachen und Winken kommt Willy Kaiser kaum noch heraus, als er in seiner weißen Sportleruniform auf Schultern durch die Innenstadt getragen wird. Foto: Archiv
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Der junge Boxer hat aus der Hauptstadt nicht nur die Goldmedaille, und damit auch den Titel des Welt- und Europameisters, nach Hause gebracht, sondern auch einen frischen Setzling: Nach einer Idee eines Berliner Gärtners bekam jeder Olympiasieger eine einjährige Eiche geschenkt.

Und dann kam der Krieg

Das Hakenkreuz auf der Brust begleitet Willy Kaiser auch noch weitere Jahre. 1937 kämpft er sich in Bremen zum Titel des Deutschen Meisters im Fliegengewicht. Seine 51 Kilo sind im Ring gefürchtet - von den insgesamt 118 Kämpfen seiner Karriere gewinnt der Gladbecker 80, nur 14 verliert er.

Doch der Staat, dessen Vorzeigesportler Kaiser ist, rüstet längst zum Krieg. 1939 überfällt die Wehrmacht Polen, und der Zweite Weltkrieg beendet die Boxerlaufbahn von Willy Kaiser.

Dem Jubel der Boxarenen folgt nun die Hölle des Krieges. Einsatz an der Ostfront, Kampf und Gefangenschaft. Erst 1949 kommt der mittlerweile 35-jährige zurück nach Gladbeck. Aus Dankbarkeit pflanzt er am Stadion einen Baum, jenen Setzling, den er einst für seinen Olympiasieg erhalten hat. Kämpfen will er nun nicht mehr. Er heiratet, bekommt vier Söhne, und arbeitet als städtischer Angestellter. Liebevoll kümmert er sich nun um seine Tauben, mit denen er in Gladbeck mehrere Pokale gewinnt. Kurz vor dem 50. Jubiläum seines legendären Olympiasieges stirbt Willy Kaiser am 24. Juli 1986 in seiner Heimatstadt.

Schwieriges Erbe

Die Spuren von Willy Kaiser sind auch heute noch in Gladbeck sichtbar. So steht die "Kaiser-Eiche" immer noch am Stadion. Vor dem kräftigen Baum, den Kaiser bis zu seinem Tod persönlich gepflegt hatte, erinnert seit 1993 eine Gedenktafel an den einstigen Sporthelden. Zudem spielen die Hallenfußballer jedes Jahr um den „Willi-Kaiser-Gedächtnis-Pokal“. 

Eine noch größere Ehre blieb dem Olympiasieger aber verwehrt: Als vor wenigen Jahren die neue Sportanlage am Nordpark gebaut wurde, hatte sich sein Sohn Kurt Kaiser vergeblich dafür eingesetzt, die neue Einrichtung nach Willy Kaiser zu benennen. Der Schatten der Geschichte verhinderte dies aber: Ein Sportler aus der Zeit des Nationalsozialismus als Namenspatron war der Stadtführung offenbar doch ein zu heißes Eisen.

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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