„Sie haben Krebs!“ ... Drei Worte, die es in sich haben!!

Es lief gerade alles so toll. Vor wenigen Monaten war mein vorletztes Buch „Gefangen in der Psychiatrie“ in Amazons Kindle-Shop wochenlang Platz 1 in verschiedenen Fachbereichen und lief weiterhin wie ein Zäpfchen, und mein neues Buch „Totenfrucht“ hatte ich auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt und nahm so langsam Fahrt auf. Also alles im grünen Bereich, was die Perspektiven betraf, besser konnte es gar nicht laufen. Zudem war mit der „Buchhandlung am Markt“ eine Vorlesung geplant, bei der ich mein Buch „Totenfrucht“ vorstellen wollte. Wunderschöne Vorfreude und Aufregung umspülten mich bei diesen Gedanken, und dass mal etwas aus dem Ruder laufen könnte war so weit weg, wie ferne Galaxien!

Und dann war da diese jährliche Krebsvorsorge. Im Grunde eine habituelle Routine, die sich seit vielen Jahren wiederholt und ein stetiger Ablauf ist. Dass das Pipimachen bei mir in den letzten Jahren etwas schwerfälliger ablief, war für mich eine gewisse Normalität, die so ziemlich jedem Mann ab 60 betrifft.

Doch diesmal war es etwas anders. Zwar nicht von Beginn an, jedoch ein paar Tage später. Die Ermittlung des PSA-Wertes (Prostataspezifisches Antigen) hatte ich seit vielen Jahren immer mitbestimmen lassen. Da dies keine Kassenleistung ist, sind dann immer 20 Euro fällig. Geld, das man sich sparen kann, wenn man diese Bestimmung ablehnt. Und da dieser Wert in den vielen Jahren immer und immer wieder „im grünen Bereich“ lag, hatte ich diesmal wirklich überlegt, ihn einmal ausfallen zu lassen. Ein kleines Teufelchen in mir schien mir zuzuflüstern, dass dies „rausgeschmissenes Geld“ sei, das die Mediziner als IGEL-Leistung (Leistungen, die von der Kasse nicht übernommen werden) gerne einstreichen.

Ich setzte mich über das warnende Geschwätz des kleinen Teufelchens hinweg und stimmte der Blutuntersuchung mürrisch knurrend zu. Es ist möglich, dass mir diese Zustimmung mein Leben – vielleicht sogar erheblich – verlängert hat.

Und siehe da: Bei der Besprechung der Befunde eröffnete mir mein Hausarzt, dass jener PSA-Wert mäßig erhöht war und dieser Umstand eine nähere Ursachenforschung bedurfte. Er lag bei dem Wert 4,4 ng/ml, was nach der neueren Methode einem PCA-3-Testwert von 44 entspricht. Ein PCA-3-Wert, der über 35 liegt, ist mit einer größeren Wahrscheinlichkeit verbunden, dass bei einer Biopsie (Gewebeentnahme und dessen Untersuchung) Prostatakrebs festgestellt wird. Wie gesagt: Die Wahrscheinlichkeit ist größer, doch es muss nicht sein, dass dies der Fall ist. Bei Radsportlern etwa, die regelmäßig auf dem Rennrad unterwegs sind, sind diese Werte, aufgrund der fortdauernden Reize auf diese Vorsteherdrüse, fast immer erhöht!

Trotzdem war bei mir ein Dorn der Unruhe gesetzt und ich machte schleunigst einen Termin beim Urologen. Dieser stimmte meinem Hausarzt sofort zu und lobte meine regelmäßige Teilnahme der Vorsorgeuntersuchungen und insbesondere die PSA-Wert-Bestimmung. Bei 4,4 ng/ml hätte ich allerbeste Karten, sollte sich ein positiver Befund herausstellen. Er überwies mich zum Urologischen Zentrum nach Wesel, wo ich eine Nacht verbringen musste, nachdem die Biopsie vorgenommen war. Von der Untersuchung merkte ich überhaupt nichts, da ich kurzzeitig in Betäubung versetzt wurde. Und dass der Urin ein paar Tage etwas blutig war, war eine Folge des kleinen Eingriffs, der mich überhaupt nicht beunruhigte.

Eine Woche musste ich dann auf den Befund warten. Als ich im Wartezimmer des Urologen wartete, war ich noch immer fest davon überzeugt, dass ich in wenigen Minuten allenfalls ein paar Tablettchen verschrieben bekomme, die mir das Pipimachen erleichtern würden. Und ich war mir noch nicht einmal sicher, ob ich diese dann überhaupt nehmen würde, ...ich hatte ja nichts!!

Welch fataler Irrtum!! In meiner naiven Blauäugigkeit saß ich dem Urologen schließlich gegenüber und dieser eröffnete mit ernstem Gesicht:

„Sie haben Krebs!“

Diese drei Worte, mit denen ich überhaupt nicht gerechnet hatte, ließen mich innerlich zusammenfallen, wie ein Kartenhaus. Wie abwesend hörte ich nur noch die Worte des Arztes, als kämen sie aus weiter Ferne. Mein Kopfkino hatte mittlerweile die Regie übernommen. So bekam ich nur vage mit, welch gute Prognose in meinem Fall bestünde und dass man jenes Krebsgeschwür mit einem, mittlerweile routinierten Eingriff, entfernen könne.

Natürlich gebe es auch die Methode der Bestrahlung, wie sie in der Regel in den Niederlanden praktiziert wird. Doch die Erfahrungen des Urologen hatten bei der radikalen Entfernung der Prostata, den Samenleitern und allen umgebenen Lymphatischen Gewebsanteilen, die besten Ergebnisse gezeigt. Zudem bleibt bei der Bestrahlung jenes zerstörte Gewebe im Körper zurück.

Insofern stand für mich sofort fest: Ich wollte diesen verdammten Krebs aus meinem Körper haben, so schnell und radikal, wie möglich!!

Draußen dann vor der Arztpraxis stellte ich erstmal fest, dass ich gar keine Rauchwaren dabei hatte. Eigentlich wollte ich mir diese verflixte Pafferei abgewöhnen, doch jetzt ging ich schnurstracks zur Lotto-Annahmestelle nebenan und kaufte mir ein Paket Rote Hand samt Feuerzeug. Mit schlotternden Knien steckte ich mir eine Zigarette an und inhalierte so tief, dass mir schwindelig wurde. So paffte und verharrte ich voller Gedanken eine längere Zeit und zündete die Eine an der Anderen an. Die vorbeieilenden Leute hatten wohl gemeint, dass dort ein Betrunkener steht oder zumindest jemand, der eine kleine Klatsche weg hat. Doch das war mir in diesem Moment egal ...

Doch so richtig begriffen hatte ich das alles noch immer nicht. Auch, als meine geliebte Ehefrau am anderen Ende des Telefons bitterlich weinte, als ich sie auf der Arbeit anrief, begriff ich noch immer nicht, was überhaupt los war. Zu Hause taumelte ich gedankenfern durch das Haus und stolperte fast über unseren Hund, der mich freudig begrüßen wollte. Ich setzte mich erstmal hin und döste ..., wohl über eine Stunde lang.

Vier Wochen hatte ich „Galgenfrist“. Unseren gebuchten Urlaub in der Türkei, den wir in wenigen Tagen anzutreten gedachten, sollten wir erstmal „genießen“, um Kraft zu tanken, wie der Urologe meinte. Aber dann ...

Einen Vorgeschmack bekam ich gleich in den ersten Nächten. Stundenlanges Wachliegen und Grübeln wechselten stimmungsmäßig von Selbstmitleid (warum gerade ich...?), Zorn, Zuversicht (es wird schon wieder) und Angst. Angst wirklich nicht, weil ich Sorge um mein bisschen Leben hatte oder vor den bevorstehenden Schmerzen!!

Nein, es war die Angst vor die Zeit danach!!

Es war die Angst, nicht mehr ein richtiger Mann zu sein, der hilfsbedürftig ist und zum Bettnässer avanciert. Die Angst, mitleidig belächelt zu und anderen zur Last zu werden. Insbesondere dann, wenn sie sich lustig über mich machen würden, wenn ich mit feuchten Flecken in der Hose durch die Stadt laufe, weil mit ein Malheur passierte.

Bevor wir den Urlaub antraten kam erstmal so eine Art Spießrutenlauf, wie ich es empfand. Im Freundes-, Bekannten-, oder Kollegenkreis die Diagnose zu verschweigen, war mir zu blöd. Ich musste mich dem stellen, zumal es mir wichtiger war, sie alle hörten es von mir selbst, als über Dritte! Jene Mitleidsbekundungen und Zusprüche nervten fürchterlich, zumal ich ja so krank nun doch nicht war! Aber da musste ich durch und verstand plötzlich all jene, die Vergleichbaren durchmachen mussten und wesentlich kranker waren, als ich selbst.

Verglichen zu den wirklich schweren Krebsfällen war doch mein Problem doch einfach nur Kleinkram!!

Diese Gedankengänge und die hiermit realistische Einschätzung halfen mir ungemein, mit meinem Problem umzugehen. Trotzdem waren die zwei Wochen in der Türkei zwar wunderschön, aber trotzdem beschissen!! (sorry wegen dem Vokabular). Es waren immer jene Momente, in denen es am schönsten war, und mich die Fröhlichkeit erfasst hatte, dass mich der Krebs immer wieder herunterholte. Zudem war mit jedem vergangenen Tag wieder ein Tag näher an die bevorstehende Operation herangerückt. Und an den letzten zwei Tagen setzte die Schwermut ein und mir war nur noch schlecht!

Jetzt war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mir einfach nur wünschte, dass es schnell losgeht, und ich das Bevorstehende endlich hinter mir habe. Zumal ich im Hotel zwei Männer kennengelernt hatte, die das gesamte Prozedere bereits hinter sich hatten und mir Zuspruch gaben. Das war das Beste, was mir hatte passieren können!!

„Endlich“ war es soweit. Zwecks Voruntersuchungen musste ich schon einen Tag vor der Operation erscheinen. Am Vorabend der Operation lernte ich im Rauchpavillon des Krankenhauses zwei Männer kennen, die mit den Urinbeuteln in der Hand ihre OP bereits hinter sich hatten. Einer von ihnen war schon das zweite Mal dort, da eine Nachbehandlung erforderlich gewesen war. Nach der Operation vor einem halben Jahr bestand bei ihm noch immer Inkontinenz (Einnässen) und der Mann wirkte aufgrund dessen denkbar depressiv und verzweifelt. Ich war drauf und dran, das Weite zu suchen ...

Die ersten Tage nach der OP waren wirklich schmerzerfüllt, und diese Hilflosigkeit, mit allen diesen Schläuchen, die in und aus den Körpern führten ging mir mächtig „auf den Zwirn“. Doch alles das war überhaupt nichts gegen jenen Moment, als nach zehn Tagen endlich der Katheter gezogen wurde. Ich hatte daraufhin das unendliche Glück, keinerlei Beschwerden in Bezug auf Inkontinenz zu haben. Das war eigentlich meine größte Sorge: Nicht mehr „ganz dicht“ zu sein. Ich danke Gott und dem Chirurgen, der mich operierte (Dr. Garcia), für diese Zuwendung, die sie mir zuteil ließen. Denn es ist eine Tatsache, dass es auch am chirurgischen Geschick des Operateurs liegt, ob Folgeschäden zurückbleiben.

Mit „dem anderen“ werde ich mich überraschen lassen und Geduld üben müssen. Da werde ich mich in die vertrauten „Hände“ meiner Ehefrau begeben. Ich bin jedoch zuversichtlich.

Doch die alles überstrahlende Nachricht war die, dass mein Körper nach der Operation aller Voraussicht nach völlig Krebsfrei ist!!!
Zwar würde ich wohl in Bezug des Alters Johannes Heesters keine Konkurrenz machen können, er wurde 108, doch 80 plus dürften es schon werden. Und da bin ich sehr zuversichtlich!

Einen abschließenden Rat wollte ich an dieser Stelle an alle männlichen Kollegen weitergeben:

Leute, lasst regelmäßig euren PSA-Wert bestimmen!!
Ein möglicherweise verlängertes Leben sollte euch ein „Zwanni“ wert sein ...

Autor:

Kurt Nickel aus Goch

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