Stationenweg von Samstag bis Dienstag
9 Stationen zum Gedenken: Erinnerung an die Pogrome in Hagen 1938

Auf neuen Plakaten sind Orte jüdischen Lebens in Hagen oder Orte, die in der Pogromnacht 1938 eine besondere Rolle gespielt haben, zu sehen.  | Foto: privat
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  • Auf neuen Plakaten sind Orte jüdischen Lebens in Hagen oder Orte, die in der Pogromnacht 1938 eine besondere Rolle gespielt haben, zu sehen.
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Die Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit in Hagen und Umgebung lädt zum persönlichen Gedenken an die Pogromnacht 1938 ein.

Die jüdische Vorsitzender Natalja Chupova und der christliche Vorsitzende Frank Fischer bitten die Bürger Hagens und Umgebung, aufgrund der Corona Einschränkungen, in diesem Jahr um ein persönliches Gedenken.
Auf neuen Plakaten sind Orte jüdischen Lebens in Hagen oder Orte, die in der Pogromnacht 1938 eine besondere Rolle gespielt haben, zu sehen.
Die folgenden Erklärungen zu den einzelnen Stationen sollen dazu beitragen, das persönliche Gedenken zu praktizieren, um sich vor Augen zu führen, was Hagener Bürger in der Zeit des Nationalsozialismus zu erleiden hatten, wenn sie oder ihre Familien in jüdischer Tradition lebten, zur Jüdischen Gemeinde Hagens zählten oder jüdische Vorfahren hatten.
Die Gemeinde möchte zum Nachdenken über das Geschehene anregen.
Der Stationenweg wird von Samstag 7. November bis Dienstag 11. November zu sehen sein.

1. Schaufenster der Commerzbank, Elberfelder Straße 47

Hier war das älteste Kaufhaus Hagens. 1875 gründeten die Brüder Alsberg ein Textilgeschäft in der Elberfelder Straße 55.
1911 entstand der Neubau vor dem wir hier stehen. Die jetzige Fassade erinnert an den ursprünglichen Bau. Inhaber war zu diesem Zeitpunkt Wilhelm Leeser. Ihn zeichnete sein Engagement für öffentliche Angelegenheiten aus. So war er, für einen jüdischen Bürger dieser Zeit ungewöhnlich, Mitglied der Demokratischen Partei. Er wurde 1924 in den Stadtrat gewählt. Mit der Wahl der Nationalsozialisten begann die Staatliche Hetze gegen jüdische Bürger, auch in Hagen. In seinem Kaufhaus beschäftigte Willhelm Leeser im Jahr 1925 300 Mitarbeitende. Sein „Modernes Spezialhaus“ wurde 1934 von der Firma Neugebauer übernommen.
Der Verkauf von Firmen und Geschäften jüdischer Bürger fand unter Zwang statt. Das wurde damals Arisierung genannt. Hierbei wurde die politische Nähe oder Zugehörigkeit zur NSDAP der neuen Besitzer bevorzugt berücksichtigt.
Der damalige NSDAP Bürgermeister Vetter veranlasste die Überwachung der „Ausschaltung jüdischer Einflüsse“ durch die Geschäftsverkäufe.
(Diese Informationen stammen aus: Hagen unterm Hakenkreuz, Jochen Becker/Hermann Zabel (HG) 1995 und: Wo unsere Großeltern einkauften, Liselotte Funke/Petra Holtmann (HG) 2012, 2.Auflage)
Es geht weiter zur zweiten Station: Schaufenster von Salamander, Marienstraße 1/Ecke Mittelstraße 23

2. Schaufenster von Salamander, Marienstraße 1/Ecke Mittelstraße 23

Hier war in dem ehemaligen Textilgeschäft Sally Schlesinger seit Anfang der 1920er Jahre ein Schuhgeschäft, in dem der Inhaber B.D. Rosenbaum, Schuhe der Marke Salamander verkaufte. Dieses Geschäft wurde Anfang der 30er Jahre von Siegmund Hesse „übernommen“. Nach der Arisierung war der Name Rosenbaum verschwunden.
(Diese Informationen stammen aus: Hagen unterm Hakenkreuz, Jochen Becker/Hermann Zabel (HG) 1995 und: Wo unsere Großeltern einkauften, Liselotte Funke/Petra Holtmann (HG) 2012, 2.Auflage)
Es geht weiter zur dritten Station: Schaufenster der Buchhandlung am Rathaus, Marienstraße 5-7

3. Schaufenster der Buchhandlung am Rathaus, Marienstraße 5-7

Hier sieht man im hinteren Teil des Bildes das damalige Polizei Gefängnis der heutigen Prentzel Straße.
Im Rundgang zur Stadtgeschichte Hagens 1931-1945 „...dann ist es vorbei mit Kultur und Menschenwürde“ beschreibt Rainer Stöcker, wie das Polizeigefängnis nicht nur für jüdische Bürger ein Ort des Schreckens und der Brutalität wurde:
„Hier waren Hunderte von Hitlergegnern und Widerstandskämpfern eingesperrt, bevor sie in andere Haftanstalten oder Konzentrationslager verlegt wurden. Emil vom Lehn, der 1935 in einem Koffer kommunistische Schriften transportiert hatte, berichtet: „Im Keller der Prentzelstraße haben sie mich mit Stühlen zusammengeschlagen. Sie wollten von mir die Personen wissen, von denen ich den Auftrag bekommen hatte. Am zweiten Tag führten sie mich zur Tür einer anderen Zelle. Dort hatten sie meine Eltern eingesperrt, um mich gefügig zu machen.“ In den Kriegsjahren waren im Polizeigefängnis zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter inhaftiert. Für viele Gefangene war es die letzte Station vor ihrer Ermordung und Hinrichtung.“ Siehe: http://www.historisches-centrum.de/fileadmin/geschichtsverein/Hagener_Rundgang.pdf
Es geht weiter zur vierten Station: Schaufenster Stadtbäckerei Kamp, RATHAUS GALERIE HAGEN, Mittelstraße 20

4. Schaufenster Stadtbäckerei Kamp, Rathaus Galerie Hagen, Mittelstraße 20

Hier ist die Mittelstaße, beflaggt mit Hakenkreuzfahnen zu sehen. Am Ende steht die Johanniskirche.
Das Bild verdeutlicht, wie die NSDAP Propaganda ins Stadtbild getragen hat. Einkaufen unterm Hakenkreuz.
Zu diesem Zeitpunkt wird es keine Geschäfte von jüdischen Inhaber*innen mehr in Hagen gegeben haben.
In der Johanniskirche hatten die „Deutschen Christen“ das sagen. Gauobman der Deutschen Christen Reinhold Krause (Berlin) forderte am 13.11.1938 im Berliner Sportpalast „die Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst und im Bekenntnis mäßigen, Befreiung vom alten Testament mit seiner jüdischen Lehrmoral, von diesem Viehhändler- und Zuhältergeschichten… judenblütige Menschen gehören nicht in die deutsche Volkskirche , weder in die Kanzel, noch unter die Kanzel“. (Zitat aus: Hagen unterm Hakenkreuz, Jochen Becker/Hermann Zabel (HG) 1995, S.211)
Es geht weiter zur fünften Station: BEU:com Telekomunikation , Mittelstraße 1

5. BEU:com Telekomunikation , Mittelstraße 1

Hier war das Porzellangeschäft Moritz Bachrach, das er 1853 gründete. „Eine Anzeige von 1910 beschreibt das Angebot das Porzellangeschäftes: Porzellan, Glas, Kristall, Luxuswaren Galanterartikel, Leder- und Spielwaren, Kronleuchter, Lampen und Kunstgegenstände. Besonders beliebt waren Brautausstattungen. Im Adressbuch von 1932 wurden noch Klara Bachrach und Hans Bachach als Inhaber angegeben, doch im Zuge des Verkaufs jüdischer Geschäfte ging das Haus an die Druckerei Tyhhaar und Co. Vermutlich haben Hans und seine Frau Stefanie in Südafrika überlebt. Ihre Mutter Klara wurde nach Polen verschleppt und ermordet “ (aus: Wo unsere Großeltern einkauften, Liselotte Funke/Petra Holtmann (HG) 2012, 2.Auflage, S.162
Es geht weiter zur sechsten und siebten Station: Anbau der Ev. Johanniskirche am Markt

6 & 7. Anbau der Ev. Johanniskirche Am Markt

Hier sind 2 Bilder zu sehen. Das rechte Bild zeigt den Aufmarsch der Hitlerjugend HJ vor der Johanneskirche. Die HJ war die Jugendorganisation der NSDAP. 1933/34 wurde das Ziel formuliert, alle deutschen Jugendlichen in dieser Organisation zusammenzufassen. In der Durchsetzung des Ziels wurde das Verbot fast aller Jugendverbände angeordnet Ende 1936 war die Mitgliedschaft in der HJ gesetzlich verankerte Pflicht.
Der heutige Marktplatz war auch das Aufmarschgelände der NSDAP Punkt. In der Pogromnacht trafen sich hier die Schlägertrupps der NSDAP um jüdische Geschäfte und Wohnungen zu demolieren und zerstören. Ihre Gewalt richtete sich auch gegen die Bewohnerinnen und Bewohner. In den Erinnerungen an seine Heimatstadt Hagen schreibt Hermann Rosenthal: „Ich träume von den Aufmärschen der SA mit ihren aufreizenden Marschliedern, von den Maßnahmen der Regierung, die systematische Rechtlosmachung, Erniedrigung und Verarmung der jüdischen Bevölkerung. Von der Pogromnacht des 10. November 1938, infolgedessen meine Frau und ich wie gehetztes Wild von einer Stadt zur anderen flüchteten um einer Verhaftung und Verschleppung in ein KZ Lager zu entgehen.“ (Zitat aus: Hagen unterm Hakenkreuz, Jochen Becker/Hermann Zabel (HG) 1995, S.179/180)
Das zweite Bild zeigt das alte Kaufhaus Kornblum. Ein Teil der schönen Fassade ist noch zu sehen. Vom kleinen Handarbeitsgeschäft entwickelte Herrmann Kornblum zum großen Kaufhaus mit 13.000 qm Verkaufsfläche und 35 Schaufenstern. Er eröffnete Filialen in Altenhagen Wehringhausen, Iserlohn, Hohenlimburg, Schalksmühle, Essen und Altena. Kornblum gehört er zu den größten Warenhäusern in Westfalen. Nach dem Tod des Vaters übernahm der Sohn Walter Kornblum das Geschäft.
Die Besitzverhältnisse in der Zeit des Nationalsozialismus sind uns unklar. Nach dem Krieg baute Walter Kornblum die Häuser wieder auf. (aus: Wo unsere Großeltern einkauften, Liselotte Funke/Petra Holtmann (HG) 2012, 2.Auflage)
Es geht weiter zur achten Station: Rathaus an der Volme

8. Rathaus an der Volme

Im Fenster des Foyers steht ein Bild vom alten Rathaus. Der Turm steht noch am Friedrich Ebert Platz mit neuer Turmspitze.
Die Turmspitze auf dem Foto zeigt deutlich das Hakenkreuz.
„Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 wurde die NSAP mit 36,8% der Stimmen stärkste Partei in Hagen. Trotz eines Bündnispartners, der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, kam die NSDAP in Hagen nur auf 44% der Stimmen. Das heißt, sie hatte in der Bevölkerung Hagens, im Gegensatz zum Deutschen Reich, keine Mehrheit. Trotzdem machten sich die Nationalsozialisten noch vor der Kommunalwahl daran, den amtierenden Oberbürgermeister abzusetzen. Nach einem Bericht der Hagener Zeit vom 9.3.1931 erschien eine Abordnung von Nationalsozialisten aus Hagen, unter anderem Stadtverordneter Vetter und Rechtsanwalt Doktor Römer beim Regierungspräsidenten in Arnsberg und verlangten die sofortige Amtsenthebung des Oberbürgermeisters Doktor Rabe….. Auch der zur Stellvertretung gesetzlich vorgesehene SPD Bürgermeister Weisser wurde aus dem Amt gedrängt. Als kommissarischen Oberbürgermeister setzte der Regierungspräsident Stadtrat Dönneweg ein, der nach einem Bericht der „Roten Erde“ vom 10.3.1933 bei allen wichtigen Entscheidungen den Nationalsozialisten Vetter zu Rate zu ziehen hatte und bereit war, alle Forderungen der Nationalsozialisten zu erfüllen. Damit waren die Nationalsozialisten bereits vor der Kommunalwahl die eigentlichen Herrn der Stadt. Die Stadtverordneten Wahl am 12.3.1933 waren somit nur noch Formsache. Sie erbrachten folgendes Ergebnis:
SPD 10,9%
KPD 17,4%
Deutsche Staatspartei 1,2%
Zentrum 19,3%
DVP 1,5%
Kampffront Schwarz-Weisss-Rot 7,4%
NSDAP 38,4%
Evangelischer Volksdienst 3,9%
Nach diesem Wahlresultat verfügte das Bündnis aus NSDAP und Kampffront weder prozentual noch nach der Mandatsverteilung über eine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung. Dieser fehlende Mehrheit verschafften sich die Nationalsozialisten durch die Annullierung der KPD Mandate. Mit dieser künstlichen Mehrheit wählte die Stadtverordnetenversammlung den Nationalsozialisten Vetter am 26.4.1933 zunächst zum kommissarischen Oberbürgermeister. Nach dem Erlaß des neuen Gemeindeverfassungsgesetzes von Dezember 1933 wurde er am 6.2.1934 als Oberbürgermeister der Stadt vereidigt.
Auszüge aus: Hagen unterm Hakenkreuz, Jochen Becker/Hermann Zabel (HG) 1995, S.62-66
Es geht weiter zur neunten Station: Synagoge Hagen

9. Synagoge Hagen, Potthofstraße

Das Foto zeigt die alte Hagener Synagoge die hier an dieser Stelle neben der heutigen Synagoge stand . Sie wurde bei den Pogromen In der Nacht vom 9. auf den 10.11. ebenso angegriffen wie jüdische Häuser und Wohnungen.
Die Fotos von den zerstörten Türen verdeutlichen die Gewalt gegen die Synagoge.
In der Stadtchronik wurde am 19. Nov. 1938 der folgende Eintrag vorgenommen:
„ An vielen Orten, so auch in Hagen, kam es infolgedessen in der Nacht vom 9. auf den 10. Nov. zu Gewaltaktionen ... drang in ihre Wohnungen ein, zertrümmerte die Schaufenster und warf die Auslagen auf den Bürgersteig. So geschah es bei den Firmen S. Münzer, S. Cohen, Sally Stern, Necha Wagner. Auch brach man in die Synagoge ein und steckte das Innere in Brand und zertrümmerte auch die Utensilien der Schulklasse und die Möbel des Predigers und Lehrers Abt. Drei Juden, Münzer, Dr. David u. Dr. Melchiker, die sich zur Wehr gesetzt hatten, wurden schwer mißhandelt und mußten ins Marienhospital geschafft werden, wo sie sich heute, den 19. noch befinden. Schon 14 Tage vor dem 9. waren alle Ostjuden in einem Sammeltransport an die polnische Grenze geschafft worden. …“

Auf neuen Plakaten sind Orte jüdischen Lebens in Hagen oder Orte, die in der Pogromnacht 1938 eine besondere Rolle gespielt haben, zu sehen.  | Foto: privat
Der Stationenweg wird von Samstag 7. bis Dienstag 11. November zu sehen sein. | Foto: Archiv
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Lokalkompass Hagen aus Hagen

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