Leibzuchtvertrag 1745
Ein junges Schwein und ein Viertel Rind: Leibzucht-Vereinbarung auf dem Schultenhof in Hagen-Halden 1745

Der Schultenhof in (Hagen-)Halden, Aufnahme von ca. 1920.  | Foto: Hofarchiv des Schultenhofs in Halden
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  • Der Schultenhof in (Hagen-)Halden, Aufnahme von ca. 1920.
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Von Gerhard E. Sollbach

Altersversorgung

Am 12. Dezember 1745, einem Samstag, wurde im Beisein von dazu gebetenen Zeugen auf dem Schultenhof in (Hagen-)Halden ein Leibzucht-Vertrag aufgesetzt. Der 1214 erstmals bezeugte und immer noch vorhandene Schultenhof war ein ehemaliger Fron- oder Oberhof und damaliger Pachthof des adligen Damenstifts in Herdecke und mit 87 Morgen (1705) der weitaus größte Hof im Dorf. Als Leibzucht oder Leibgedinge bezeichnet man das Altenteil beziehungsweise die lebenslange Versorgung einer Person mit dem für ihren Lebensunterhalt Notwendigen einschließlich der Pflege. Im ländlichen Bereich wurde die Leibzucht im Fall der Übergabe des Hofs durch den bisherigen Hofbesitzer oder -eigentümer an seinen Nachfolger geregelt und in einem Vertrag festgehalten.

Verwandtschaft

Eine solche Leibzucht-Vereinbarung war in der Zeit ohne eine sozialstaatlich abgesicherte Altersversorgung aber auch dringend notwendig. In dem Leibzucht-Vertrag vom 12. Dezember 1745 übergaben die Eheleute Conrad Johann Schulte und Anne Elisabeth Wehberg gen. Schulte den Schultenhof an ihren ältesten Sohn Johann Caspar Schulte und dessen Ehefrau Anna Elisabeth von Berge gen. Schulte. Conrad Johann war übrigens der zweite Ehemann von Anne Elisabeth. Er hatte 1732 in den Schultenhof eingeheiratet und den Sohn Johann Caspar mit in die Ehe gebracht. Die Ehefrau von Johann Caspar stammte von dem heute noch existierenden Berge-Hof in (Gevelsberg-)Berge, auf dem ein Zweig der Familie Wehberg ansässig war und auch noch ist. Anne Elisabeth Wehberg kam sehr wahrscheinlich von dem Wehberg-Hof in Halden, der dem Schultenhof unmittelbar benachbart war. Sie hatte laut Ausweis des Ehevertrags vom 21. August 1709 damals in den Schultenhof eingeheiratet. Demnach haben bäuerliche Familien nicht nur vorwiegend innerhalb ihrer Kreise, sondern auch innerhalb der weiteren Verwandtschaft sowie in der Nachbarschaft geheiratet. Die Eheleute Conrad Johann und Anne Elisabeth hatten insgesamt sechs Kinder, zwei Jungen und vier Mädchen.

Naturalien und Geld

Die in dem Leibzuchtvertrag vereinbarte Regelung der Versorgung des alten Hofbesitzer-Ehepaars sah vor, dass ihnen gewisse Ländereien des Hofs zur alleinigen Nutzung überlassen wurden. Dazu gehörten drei Morgen Ackerland, zwei Gartenstücke, die „Wörden“-Wiese und die „Übelgönne“ (vermutlich ebenfalls eine Wiese oder eine Weide) sowie „hinreichend“ Obstbäume. Hinsichtlich der „Übelgönne“ wurde noch bestimmt, dass diese nach dem Tod der beiden Leibzüchter nur unter der Bedingung an den Hof zurückfallen könne, wenn der Hofbesitzer dafür 50 Reichstaler zur gleichmäßigen Verteilung unter seinen fünf Geschwistern hergeben würde. Der Hoferbe musste das den Leibzüchtern überlassene Ackerland ohne Zutun der alten Eheleute bearbeiten, einsäen, abernten und die Ernte auch einfahren. Weiterhin hatten die Leibzüchter Anspruch auf ein ihnen jährlich vom Hof zu lieferndes „mittelmäßiges“ junges Schwein und ein Viertel Rind. Außerdem durften sie die von einem Gesamtkapital in Höhe von 800 Reichstalern jährlich einkommenden Zinsen lebenslang beziehen.

Leibzüchter-Haus

Da die Übergabe der Haushaltung an das neue Hofbesitzerpaar erst zum Beginn des Jahres 1747 erfolgen sollte, musste der Hoferbe sich verpflichten, innerhalb des kommenden Jahres 1746 auf seine Kosten für die Eltern ein eigenes Leibzüchter-Haus auf dem Hof zu erbauen. Was dafür an Mobiliar und Haushaltsgegenständen vom Hof zu liefern war, sollte aber noch in einer besonderen Liste zusammengestellt werden, die sich jedoch nicht erhalten hat. Das für die neue Haushaltung der Leibzüchter erforderliche Brennholz musste ebenfalls vom Hof zur Verfügung gestellt werden. Aber auch für den Fall, dass die Erträge des den Leibzüchtern überlassenen Lands einmal nicht ausreichen würden, ist in dem Leibzucht-Vertrag Vorsorge getroffen worden. Dann durfte die Leibzüchter noch weiteres Land von dem Hof abnehmen.

Geschwister

Aber auch die Geschwister des Hoferben sind in dem Leibzucht-Vertrag berücksichtigt worden. Der neue Hofbesitzer und seine Ehefrau mussten sich nämlich verpflichten, nach Übernahme des Hofs die beträchtliche Summe von 1.200 Reichstalern zur gleichmäßigen Verteilung an die fünf verbleibenden Kinder herzugeben. Außerdem hatten sie den vier noch unverheirateten Geschwistern des Hoferben bei deren Hochzeit dieselbe Ausstattung zu liefern, wie sie die bereits verheiratete älteste Tochter Anne Elisabeth erhalten hatte. Die jüngste, aus der zweite Ehe der Anne Elisabeth Wehberg stammende Tochter Anne Catherine, sollte zudem den von ihrem Vater in die Ehe eingebrachten Hof im Amt Schwerte als erblichen Besitz erhalten. Dagegen war der auf 300 Reichstaler berechnete Wert des ebenfalls zum Besitz des Schultenhofs gehörenden Bredemanns-Hofs in (Hagen-)Fley unter den fünf Geschwistern des Hoferben zu gleichen Teilen zu verteilen. In den Leibzucht-Verträgen ließen sich Leibzüchter häufig von dem neuen Hofbesitzerpaar noch zusichern, dass diese sie im Fall von Altersschwachheit und Krankheit auch pflegen würden. Eine derartige Verpflichtung fehlt aber in dem hier vorliegenden Vertrag, vielleicht, weil man eine solche Pflicht der Kinder für selbstverständlich hielt.
Der Leibzuchtvertrag vom 12. Dezember 1745 und auch der Ehevertrag vom 21. August 1709 befinden sich im Hofarchiv des Schultenhofs in Hagen-Halden.

Der Schultenhof in (Hagen-)Halden, Aufnahme von ca. 1920.  | Foto: Hofarchiv des Schultenhofs in Halden
Letzte Seite des am 12. Dezember 1745 auf dem Schultenhof in (Hagen-)Halden vereinbarten Leibzucht-Vertrags mit den Namen der beteiligten Eheleute und der Zeugen. | Foto: Hofarchiv des Schultenhofs in Halden
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Lokalkompass Hagen aus Hagen

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