Sea Watch-Aktivistin Ruby Hartbrich berichtet von Einsätzen im Mittelmeer
Jeder Mensch verdient zu leben

Ruby Hartbrich berichtete von ihren Einsätzen als Aktivistin und Ärztin auf dem Seenotrettungsschiff Sea Watch. Die Schilderungen vom Leid der Flüchtlinge waren für viele schwer zu ertragen. | Foto: Antje Bücker
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Bis auf den letzten Platz voll war der Saal im Alten Rathaus am Sonntagmittag bei der Informationsveranstaltung über die Seenotrettung der „Sea Watch“. Das Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt hatte interessierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen. Mit Ruby Hartbrich hatte man für diese Thematik eine fachkompetente und erfahrene Referentin gewonnen. Die Firma Soft Consult, die Kolpingfamilie und die Stadt Haltern unterstützen die Veranstaltung.

Die in Haltern aufgewachsene Ruby Hartbrich ist als Ärztin am Universitätsklinikum Marburg tätig und hat selbst mehrfach als Aktivistin an den Einsätzen des Seenotrettungsschiffes Sea Watch 3 teilgenommen. Was sie den Gästen zu berichten hatte, war selbst für Hartgesottene schwer zu ertragen. Zum Einstieg in das Thema zeigte sie Filme, die ein Kamerateam an Bord aufgenommen hatte. Thematisch ging es auch um rechtliche Angelegenheiten rund um die Seenotrettung im Mittelmeer und in diesem Zusammenhang um den Fall der Kapitänin Carola Rackete, deren Geschichte einer wochenlangen Irrfahrt unlängst weltweit in den Medien war.

Elend und Unsicherheit auch nach der Rettung

Frau Hartbrich berichtete von Geflüchteten, die in provisorisch zusammengezimmerten Booten tagelang in einem Gemisch aus Urin, Erbrochenem und Benzin ausharrten und zeigte erschütternde Bilder von gekenterten Personen, die im Wasser ums Überleben kämpften. "Die Flüchtlingsroute von Libyen nach Lampedusa ist die gefährlichste der Welt. Jeder elfte Flüchtling kommt hier zu Tode." In ihren acht, jeweils drei Wochen dauernden Einsätzen an Bord verarztete Hartbrich zahlreiche Verbrennungen, Schusswunden, Knochenbrüche und Krankheiten.

An Bord dümpelten die Geretteten oft Tage und Wochen wartend im Mittelmeer, bevor ein sicherer Hafen angelaufen werden könne. Nach den traumatischen Erlebnissen dieser Menschen sei der Zustand der Untätigkeit eine zusätzliche, schwere psychische Belastung. „Das Warten und die ablehnenden Bescheide vermitteln unweigerlich das Gefühl, in Europa nicht willkommen zu sein.“ Viele Afrikaner halten allein ihre Hautfarbe als Grund dafür, verhaftet zu werden.

Europäische Häfen weigern sich die Flüchtlinge an Land zu lassen: “Das Boot ist voll“

Die Probleme, die Carola Rackete hatte, um die Flüchtlinge in Italien an Land zu lassen, sind bekannt. Die Weltpresse hatte ausführlich über legale und möglicherweise illegale Vorgehensweisen der Kapitänin berichtet. Hartbrichs Dokumentation zeigten Bilder, die die wenigsten bislang in solch drastischer Weise in den Medien zu Gesicht bekommen haben. In den Videos kamen auch Flüchtlinge selbst zu Wort, die von untragbaren Zuständen in libyschen Lagern erzählten, bevor sie sich aus Verzweiflung auf die gefährliche Reise in nicht hochseetauglichen Booten über das Meer begaben. Es seien nicht nur die hygienischen Verhältnisse, die mangelhafte Unterbringung und Verpflegung, es käme zudem zu schwersten Misshandlungen durch libysche Aufsichtspersonen, Vergewaltigungen bis hin zu Folter. Selbst das Verkaufen der Gefangen als Sklaven sei an der Tagesordnung. Weder Libyen noch Tunesien gelten als "Ports of safety", sichere Zielhäfen; daher würden Geflüchtete auf keinen Fall in diese Länder zurück gebracht.

Einer der Geretteten auf der Sea Watch teilte seine Erinnerung mit: “Beim kleinsten Anlass wurden wir mit Wasserschläuchen nass gespritzt. Es war Winter und im Winter ist es auch in Libyen sehr kalt. Als der ganze Raum unter Wasser stand, wurde der Boden mit Kabeln unter Strom gesetzt - immer wieder...“ Eine 20-jährige berichtet von ihrem Verkauf als Sklavin. Ein unbegleitetes Kleinkind wird an Bord gezogen; auf seinem Arm unleserliche Nummern - vermutlich Telefonnummern von Angehörigen, die auf diese Weise auf die Nachricht der Rettung des kleinen Mädchens hoffen. Die tragische Geschichte und die Verzweiflung dahinter kann man unschwer erahnen.

"Ich hatte die Möglichkeit behütet und ohne Mangel aufzuwachsen und die Möglichkeit zur Bildung ohne selbst etwas dafür getan zu haben. Es ist mir ein Anliegen, Menschen, die all dies nicht haben, die aus Leid, Elend und Unrecht fliehen, etwas davon zu geben. Jeder Mensch verdient zu leben."

Wer diese Bilder gesehen, diese Berichte gehört hat, den machen Äußerungen “besorgter“ Mitbürger angesichts einer angeblich drohenden Überschwemmung des Landes mit Geflüchteten wie “Das Boot ist voll“ nur noch sprachlos! Im Anschluss an die Dokumentation gab es für die Gäste Gelegenheit in eine Diskussion einzusteigen. Auf die Frage was ihr persönlicher Antrieb sei, sich in der Seenotrettung zu engagieren, antwortete die aus Hullern stammende Aktivistin: „Ich hatte die Möglichkeit behütet und ohne Mangel aufzuwachsen und die Möglichkeit zur Bildung ohne selbst etwas dafür getan zu haben. Es ist mir ein Anliegen, Menschen, die all dies nicht haben, die aus Leid, Elend und Unrecht fliehen, etwas davon zu geben. Jeder Mensch verdient zu leben.“

Ruby Hartbrich hat zusammen mit der Ärztin Kristina Hänel im Juli dieses Jahres den Preis „Marburger Leuchtfeuer für soziale Bürgerrechte“ für soziales Engagement erhalten.

Ruby Hartbrich berichtete von ihren Einsätzen als Aktivistin und Ärztin auf dem Seenotrettungsschiff Sea Watch. Die Schilderungen vom Leid der Flüchtlinge waren für viele schwer zu ertragen. | Foto: Antje Bücker
Autor:

Antje Clara Bücker aus Haltern

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