Augen zu und da. Mit dem City Night Line von Haltern am See nach Kopenhagen

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Von Sina Ferraro

18:30 Uhr Haltern, jetzt Haltern am See. Hier bin ich aufgewachsen, unzählige Male habe ich hier gestanden und Reisen in alle Himmelsrichtungen unternommen. Aber noch nie hat mich ein Zug in den Norden über die Grenze gebracht. Zum ersten Mal werde ich eine Nacht auf Schienen verbringen, Städte passieren, ohne auch nur Eine davon zu sehen, denn meine Augen werden die meiste Zeit geschlossen sein. „Augen zu und da.“- Mit diesem Claim wirbt die Deutsche Bahn für Reisen mit dem City Night Line.
„Augen zu und da“- das klingt nach Science Fiction, nach Beamen und Zukunftsmusik. Ich stelle mir vor, wie wir in Lichtgeschwindigkeit durch die Nacht heizen und im nächsten Moment, als wäre nichts gesche¬hen, plötzlich im 700 km entfernten Kopenhagen am Bahnhof stehen. Der einfahrende Regionalexpress reißt mich aus meiner Phantasie.
Erstmal einsteigen und auf nach Dortmund, Umstieg in Wanne-Eickel. Okay, das hatte jetzt nicht viel mit Science-Fiction zu tun aber bei der Einfahrt in den Bahnhof werde ich schon hibbelig, denn dort erwartet mich der aufregende Teil der Reise.
22:00 Uhr, Dortmund Hauptbahnhof. Schnell noch eindecken mit den wichtigsten Sachen im Bahnhofssu¬permarkt. Thermostrumpfhose? Check. Kopenhagen ist Dänemark, Dänemark ist im Norden, im Norden ist es kalt. Sekt? Zigaretten? Check. Kopenhagen ist Dänemark, Dänemark ist teuer. Nun noch fix bei Mc Do¬nalds den Winterspeck auffüllen, wer weiß, wann es wieder etwas zu Essen gibt.
Eine halbe Stunde später fährt er endlich ein, der City Night Line mit dem vielversprechenden Namen Borea¬lis. Nordwind. Sehr schön, lassen wir uns tragen, mitreißen in den kühlen Norden.
Schnell finden wir unseren Wagen, ein Schlafabteil für zwei Personen, welch unerwarteter Luxus. Kuschelige Klappbetten, frisch bezogen und ein eigenes Waschbecken mit fließendem warmen Wasser gibt es in unse¬rem kleinen Gemach. Sogar extra Zahnputzwasser erwartet uns, verpackt und versiegelt in kleinen Behältern, die aussehen wie Joghurtbecher mit Astronautenkost. Ha! Das kommt doch schon eher an meine Vorstellung von Zukunftsfiktion heran.
23:15 Uhr, wir haben es uns gerade gemütlich gemacht, da klopft auch schon das Zugpersonal an die Tür. Ein lustiger, netter Herr mit Zwirbelbart à la Salvador Dali erklärt uns, wie wir unser kleines Reich mit Hilfe der futuristischen Schlüsselkarte öffnen und schließen können, und fragt, wann wir geweckt werden möchten. „Am liebsten gar nicht!“ denke ich, denn mir fallen tatsächlich schon fast die Augen zu. Aber die Aussicht auf persönlichen Weckdienst und Frühstück ans Bett finde ich dann doch äußerst verlockend.
23:48 Uhr, ich liege im „Bett“, schaue aus dem riesigen Fenster, das den Blick direkt vom
Kopfkissen auf die vorbeirauschende Landschaft freilegt und denke mir: „Eigentlich viel zu
schade um zu schlafen.“ Lichter funkeln, blitzen auf, während der Nordwind uns ans ersehnte Ziel trägt. Nordwind - Borealis. Und während ich so darüber sinniere, fallen mir doch tatsächlich die Augen zu. Zwei Minuten und ich bin weg. Und gefühlte zwei Minuten später bin ich auch schon da, im hohen Norden, in Dänemark. In Wirklichkeit sind neun Stunden vergangen, als Herr Zwirbelbart an meine Tür klopft, mit Croissants und dampfendem Kaffee... Zum Duschen ist es jetzt zu knapp.
Ich schaue aus dem Fenster, die Landschaft hat sich stark verändert und ich denke mir: Diese Fahrt war im Endeffekt eine Mischung aus Allem. Science-Fiction und ein bisschen Märchen, Romantik und Abenteuer. Und tatsächlich, um Punkt zehn Uhr stehen wir am Bahnsteig in Kopenhagen. Die Sonne scheint, Thermos¬trumpfhose überflüssig.
Ich reibe mir den letzten Schlaf aus den Augen, schaue mich um und bin plötzlich voll und ganz da.

Autor:

Lokalkompass Haltern am See aus Haltern

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