Lebensgefährliche Flucht endet in Haltern

Walid (57 Jahre) ist schon lange Witwer, seine drei Söhne zieht er allein auf. Foto: Fotostudio Augenblick 

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Gesicht einer Flucht: Walid aus Aleppo zieht seine Kinder alleine auf

Haltern. Viele Mitbürger kennen Geflüchtete nur als "die Flüchtlinge", fremd und anonym. Für den Asylkreis Haltern am See hat die Flucht inzwischen viele sehr unterschiedliche Gesichter bekommen. In dieser Serie stellen wir einige von ihnen vor. Walid (57 Jahre) ist schon lange Witwer, seine drei Söhne zieht er allein auf. Auf der lebensgefährlichen Flucht hat Walid seinen 23jährigen Sohn Abdalla weite Strecken getragen.

"In Aleppo sind viele Bomben gefallen. Es gab viele Verletzte und sehr viele Tote. Im Nachbarhaus sind auch Reporter, die Fotos machen wollten, gestorben. Ich hatte nur noch Angst um mein Leben und das Leben meiner Kinder. Deshalb bin ich mit meinen Söhnen Abdalla und Omar (23 und 14 Jahre) geflohen. 2002 ist meine Frau gestorben. seitdem bin ich für meine Kinder Mutter und Vater gleichzeitig.
Wir haben einen Kleinbus gefunden, der uns am 15.01.2016 gegen Bezahlung in Richtung Türkei mitgenommen hat. Über die Berge habe ich Abdalla, meinen schwerstbehinderten Sohn, mit einem Tragetuch getragen und Omar mit meiner Hand festgehalten. Wir mussten oft rennen. Der IS (Islamische Staat) war überall. Einmal bin ich gestürzt, Abdalla fiel auf mich und Omar daneben. Meine rechte Kniescheibe ist dabei gebrochen.
45 Tage waren wir in der Türkei und irgendwann am Mittelmeer. Gegen Bezahlung konnten wir um ein Uhr nachts in ein Schlauchboot steigen, das uns auf eine griechische Insel gebracht hat. Den Namen weiß ich nicht mehr. Es hat stark geregnet und gestürmt. Das Rote Kreuz hat uns aufgenommen. Sie brachten uns mit einer Fähre nach Athen in eine Unterkunft und gaben uns einen Rollstuhl für Abdalla.
Eine Zeitlang haben wir in Athen gelebt. Dann bekamen wir die Genehmigung, nach Deutschland gehen zu dürfen. Die IOM (Internationale Organisation für Migration) hat den Flug nach München organisiert. Die Regierung hat gewusst, dass wir nach Deutschland kommen. Wir sind legal eingereist. Am 07.09.2016 kamen wir in ein Camp und gaben unsere Fingerabdrücke ab. Über Unna-Massen und Hamm kamen wir nach einigen Monaten nach Haltern.
Ich hatte sofort das Gefühl, dass es eine schöne Stadt ist. Mir gefallen kleine Städte besser als große, weil die Leute netter sind und mich anlächeln. Die Menschen In Haltern sind sehr freundlich. Omar geht zur Schule. Deutsch lerne ich in den Kursen des Asylkreises am Lorenkamp und neuerdings auch im Integrationskurs. Den kann ich nur besuchen, weil Abdalla seit kurzem morgens ins Ernst-Lossa-Haus gehen darf. Darüber freue ich mich sehr. Er kann nicht laufen und es muss immer jemand bei ihm sein.
Mir und meiner Familie geht es gut hier. In Mannheim lebt mein älterer Sohn Hamed, der vor uns geflohen ist. Er möchte nach Haltern kommen, damit wir als Familie zusammen sein können. Große Sorge habe ich um meine Tochter, die in Aleppo geblieben ist, weil sie heiraten wollte. Wegen des Krieges wurde daraus nichts. Jetzt ist sie allein und ohne Hilfe. Ich vermisse sie sehr. Über den Krieg kann ich nicht sprechen. Meine Erinnerungen sind gestorben. Nach Deutschland bin ich wegen der Zukunft meiner Kinder gekommen. Ich möchte, dass meine Kinder hier aufwachsen und alles vergessen, was sie erlebt haben. Ich will diesem Land, das uns beschützt, alles zurückgeben."
Ihre Erlebnisse schreiben die Geflüchteten selbst auf, unterstützt von der freien Journalistin Gerburgis Sommer. Die beiden Ausstellungen mit 19 Gesichtern einer Flucht werden vom 04. – 20.10. von der KAB in der Volksbank Heiden und vom 04.10. bis 04.11. in der VHS Castrop-Rauxel gezeigt. Alle Portraits und Termine auf www.gesichter-einer-flucht.de.

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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