Du hast zwar Recht, aber meine Meinung gefällt mir besser!

Dieser Spruch auf einer Postkarte ist mir kürzlich gewissermaßen ins Auge gesprungen. Nun fällt er mir manchmal ein, wenn ich Diskussionen hier im LK und auch anderswo verfolge. Nicht selten wird da nämlich mehr darüber diskutiert, wer was und wie äußern darf - oder gerade nicht -, als über den ursprünglichen Beitrag selbst. Erinnert mich irgendwie an die Schlägereien zwischen jungen Männern: Zwei fangen an, ein paar andere mischen tüchtig mit, und am Schluss gibt's lauter Verletzte, aber kaum einer weiß noch, worum es eigentlich ging.

Bevor es jedoch überhaupt zu solchen Diskussionen (oder verbalen Schlägereien) kommt, könnte doch einer, der sich argumentativ in die Ecke gedrängt fühlt, seinen "Gegner" kurzerhand mit obigem Spruch den Wind aus den Segeln nehmen. Denn mal angenommen, es geht gar nicht darum, Recht zu behalten, sondern einfach um die Sache selbst (was vielleicht nicht immer zutrifft), dann würde man mit diesen Worten humorvoll und ganz ungezwungen sein Recht auf freie Meinungsäußerung betonen, ohne gleich für sich zu beanspruchen, (allein) im Recht zu sein.

"Beleidigungen sind die Argumente derer, die Unrecht haben."
(Jean-Jacques Rousseau)

Natürlich erlebe ich auch bei mir selbst hin und wieder das große Bedürfnis, jemanden anderen, der uneinsichtig wirkt, endlich von meiner eigenen Meinung zu überzeugen. Das werde ich allerdings nicht schaffen, wenn ich ihm die Fähigkeit abspreche, vernünftig zu denken, oder gar das Recht, sich zu meinem Standpunkt zu äußern. Meinungsfreiheit ist in der praktischen Umsetzung eben nicht immer bequem.

Das missverstandene Recht auf freie Meinungsäußerung

Der Begriff der Meinungsfreiheit wird in Communities wie dieser allerdings manchmal etwas inflationär verwendet und missverstanden, nämlich als Freibrief für Beleidigungen, Unterstellungen, Verbreitung von Vorurteilen und dergleichen mehr. Das entspricht aber sicher nicht der Absicht, mit der die Mütter und Väter des Grundgesetzes dieses Recht in unserer Verfassung verankert haben. Vielmehr sollte doch wohl verhindert werden, dass Menschen mit großem Einfluss die Meinungsbildung der übrigen steuern und diese zugleich daran hindern können, ihre eigene Meinung dagegen zu setzen - ganz unabhängig davon, wer gerade im Recht ist. Diffamierung wäre gerade dafür ein geeignetes Mittel.

Was du nicht willst ... oder: Die Grenzen der Meinungsfreiheit

Wenn ich für mich selbst das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehme, dann geht das nur, wenn ich es im gleichen Maße auch meinem Kontrahenten zugestehe. Missbrauche ich diese Freiheit nun, um ihn zu beleidigen, darf ich mich nicht beschweren, wenn er den Spieß umdreht und mich ebenfalls schlecht dastehen lässt. Eine Diskussion bringt so etwas jedoch nicht weiter. Deshalb liegt mir gerade in solchen halb-anonymen Internetcommunities daran, auf Provokationen möglichst nicht mit persönlichen Angriffen zu reagieren, sondern die Diskussion auf das eigentliche Thema zurückzuführen. Könnte durchaus sein, dass ich das demnächst auch mal mit den Worten tue, unter denen dieser Beitrag steht.

Übrigens: Für die so genannte Meinungsfreiheit gibt es eine gute Maxime, die auf Rosa Luxemburg zurückgeht - auch wenn sie den Satz eigentlich in einem anderen Kontext formuliert hatte -: "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden." Ich wünschte mir, eine solche Freiheit überall zu erleben, wo im LK und anderen Foren kontrovers diskutiert wird. Denn hier wimmelt es (zum Glück!) nur so von Andersdenkenden.

Autor:

Torsten Richter-Arnoldi aus Hattingen

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