100 Tage: Interview mit dem Hattinger Bürgermeister Dirk Glaser

Bürgermeister Dirk Glaser an seinem Arbeitsplatz. Die Einrichtung des Amtszimmers vom neuen Hattinger Bürgermeister stammt noch von seiner Vorgängerin Dr. Dagmar Goch. Nur der Wandschmuck ist „neu“, stammt aus alten Beständen der Stadt. Foto: Römer
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  • Bürgermeister Dirk Glaser an seinem Arbeitsplatz. Die Einrichtung des Amtszimmers vom neuen Hattinger Bürgermeister stammt noch von seiner Vorgängerin Dr. Dagmar Goch. Nur der Wandschmuck ist „neu“, stammt aus alten Beständen der Stadt. Foto: Römer
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Säße am Schreibtisch nicht ein Mann, ein Besucher könnte sich in die Amtszeit der früheren Bürgermeisterin Dr. Dagmar Goch zurückversetzt fühlen. Verändert hat sich die Einrichtung nämlich nicht, seit Dirk Glaser neuer Bürgermeister der Stadt Hattingen wurde.

Gespart wird eben auch hier. Die einzige sichtbare Veränderung im Büro von Dirk Glaser sind die großformatigen Bilder an der Wand. Sie stammen aus dem Bestand der Stadt Hattingen, kosten den Steuerzahler also keinen Cent, erläutert Dirk Glaser sichtlich gut gelaunt.
Da auch dem neuen ersten Mann der Stadt keine echte Einarbeitungszeit vergönnt war, er gleich die Probleme Flüchtlinge und Finanzen aufgebürdet bekam, steigen wir hier gleich ins Interview ein zu den berühmten 100 Tagen Einarbeitungszeit, die jedem „Neuen“ im Amt gegönnt werden und sich bei Dirk Glaser genau am 28. Januar runden.

Herr Glaser, haben Sie schon alle Fachbereiche und alle Mitarbeiter der Verwaltung kennengelernt?
Dirk Glaser: Ich bin tatsächlich inzwischen mit den Fachbereichen komplett durch, war nicht nur bei den Fachbereichsleitern, sondern auch an der Basis. Die erste Erkenntnis: Man weiß in der Bevölkerung viel zu wenig über die vielfältige Arbeit in der Verwaltung. Diesen Kenntnisstand müssen wir verbessern.

Haben sich Ihre Erwartungen, mit denen Sie das Bürgermeisteramt angetreten sind, bestätigt?
Jedenfalls bin ich sehr herzlich aufgenommen worden. Die Bereitschaft auf konstruktive Zusammenarbeit scheint mir groß zu sein. Ich muss ständig offen sein für Neues und weiter Erfahrung sammeln. Momentan habe ich einen Arbeitstag von oft bis zu 14 Stunden. Hinzu kommen Termine an den Wochenenden. Aber das kannte ich ja schon von meiner vorherigen Tätigkeit als Geschäftsführer der Südwestfalen-Agentur.

Was war für Sie ein besonderes Erlebnis in den ersten 100 Tagen im Amt?
Die erste Ratsitzung mit meiner Vereidigung, das war schon eine große, tolle Sache in einer schönen Atmosphäre. Natürlich gehört auch zu den Höhepunkten, dass es wie versprochen gelungen ist, der Hattinger Tafel zu helfen und auch „Kick“. Darin sehe ich nach wie vor meine Aufgabe: Fäden zu knüpfen und Menschen zusammen zu bringen. Was diesmal zweimal gut geklappt hat, gibt mir Hoffnung für die Zukunft.

Gab es auch einen negativen Höhepunkt für Sie bislang?
Die Veranstaltung zur Belegung der Turnhalle in Bredenscheid mit Flüchtlingen. Da graust es mich noch heute vor einigen Äußerungen, die dabei durch Bürger gefallen sind. Natürlich haben viele Menschen im Zusammenhang mit den Flüchtlingen Sorgen oder Ängste, die ich zum Teil auch nachvollziehen kann. Aber man darf sich nicht bange machen lassen. Turnhallen sind keine Dauerlösung. Wir haben kurz nach meinem Amtsantritt eine neue Arbeitsgruppe, die ich zum Teil sogar nachvollziehen kann. Aber man darf sich nicht bange machen lassen. Wir haben kurz nach meinem Amtsantritt eine neue Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich um Wohnraum für Flüchtlinge kümmert, auch nach gewerblichen Räumen sucht, um die Menschen unterzubringen. Denn wir müssen einfach denen helfen, die in großer Not zu uns kommen, um hier Schutz und Sicherheit zu finden. Wir brauchen das Ehrenamt dafür und auch weiterhin eine große Willkommenskultur. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung von ganz vielen Hattingern.

Mit den Sie unterstützenden Parteien CDU, Die Grünen und FDP haben Sie für den Wahlkampf gemeinsame Positionen aufgestellt. Beispiele dazu: Service-Optimierung bei der Stadtverwaltung, einen Ansprechpartner Ökologie, Dialog mit dem Mittelstand, Arbeitszeitmodelle, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie steht es damit?
All diese Punkte sind in Arbeit, aber nicht alle von heute auf morgen umsetzbar. Ab dem Frühjahr wird es einen Runden Tisch Umwelt geben, und wir arbeiten am elektronischen Bürgerbüro. Am Mittelstand, dem Rückgrat unserer Stadt als Arbeitgeber und mehr, bin ich durch monatliche Besuche ganz dicht dran, auch mit der IHK, und werbe für Ausbildungsplätze. Nicht so schnell umzusetzen sind in unserer Verwaltung neue Arbeitszeitmodelle, die aber auch im Hinblick auf unsere Attraktivität für Nachwuchs kommen müssen. Zu einem guten Arbeitsklima gehören flexible Arbeitszeiten und auch Arbeitsplätze zu Hause. Wir möchten wie in der Industrie üblich ein Vorschlagswesen einrichten und gute Ideen von Mitarbeitern auch honorieren.

„Solide Finanzen durch zielgerichtete Haushaltsführung“ war ein weiterer Punkt auf Ihrem Thesenpapier im Wahlkampf. Lässt sich dieses Ziel angesichts der großen finanziellen Belastungen durch den Flüchtlingsbereich überhaupt noch umsetzen?
Auch im Austausch mit anderen Städten arbeiten wir daran, aus dieser Misere herauszukommen. Wir müssen gemeinsam Bund und Land vermitteln, dass wir schon unter normalen Bedingungen unsere Schulden werden nie zurückzahlen können. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht für Aufgaben, die uns von außen verordnet werden, ohne dass wir finanzielle Unterstützung zur Erfüllung dieser Aufgaben erhalten. Wir benötigen Zusagen für die Erstattung von Kosten für die Flüchtlinge. Momentan wird nur ein Teil erstattet. Aber nicht die Flüchtlinge sind es, die uns arm machen. Auch ohne die steckten wir genau wie die anderen Gemeinden in der Misere. Daher pflegen wir eine interkommunale Zusammenarbeit, besonders mit Sprockhövel, um für unsere Verwaltungen Sparmöglichkeiten effektiv auszuschöpfen, die uns finanziell entlasten.

Können Sie bei der schlimmen finanziellen Lage an Ihrem Versprechen festhalten, den seinerzeit aus Kostengründen gestrichenen Neujahrsempfang der Stadtverwaltung wieder einzuführen?
Ja, das werden wir, und es gibt sogar schon einen Termin. Die Einladungen für Samstag, 20. Februar, 11 Uhr, in der Gebläsehalle gehen gerade raus. Die Veranstaltung wird dank einer Reihe von Sponsoren die Stadt keinen Cent kosten. Eingeladen werden nicht nur Honoratioren, sondern auch Ehrenamtler. Ich halte es für sehr wichtig, untereinander ins Gespräch zu kommen.

Wegen der städtischen Finanzen vermuteten Sie in einem früheren Interview mit dem STADTSPIEGEL, dass Sie öfter mit Kämmerer Frank Mielke zusammen sitzen würden. Wie häufig ist es denn nun geworden?
Tatsächlich treffen wir uns täglich. Um als Stadt weiterhin handlungsfähig zu bleiben, muss man als Bürgermeister auch einmal querdenken. Das heißt, manche Projekte wie „Kick“ müssen durch Sponsoren unterstützt werden. Ansonsten haben wir durch die Haushaltslage wenig Spielraum.

Ihr drittwichtigstes Thema, das Sie in Ihrer Antrittsrede vor dem Stadtrat formulierten, ist die Schulentwicklung. Werden Sie alle Grundschulstandorte erhalten, wie Sie es versprochen haben?
Ich habe mir in den letzten Wochen alle Schulen angesehen. Es ist aber keine Entscheidung des Bürgermeisters, sondern der Rat hat über die Standorte zu entscheiden. Gemessen an den alten Schülerzahlen hat sich ja inzwischen durch die schulpflichtigen Flüchtlingskinder die Ausgangslage verändert. Ich werde mich an der Standort-Diskussion beteiligen und als Verwaltung werden wir entsprechende Vorschläge unterbreiten. Sollten Schulen – beispielsweise die Grundschule Holthausen, die meiner Meinung nach ins Schulzentrum umziehen sollte – leer stehen, könnten die Schulen vermarktet werden und so zur Verbesserung unserer Haushaltslage beisteuern.

Wie ist eigentlich der Stand der Dinge: Wird es auf dem früheren Gelände von O&K an der Nierenhofer Straße wie angestrebt eine zentrale Unterbringungseinrichtung des Landes für rund 800 Flüchtlinge geben?
Nein, wird es nicht, das Land zieht sich hier zurück. Daher stehen wir vor der Aufgabe, das Gebäude jetzt als Stadt für Flüchtlinge zu nutzen. Verhandlungen laufen da. Insgesamt können wir hier bald schon 500 Flüchtlinge unterbringen. In der Werksstraße könnten wir noch einmal genau so viele Container aufstellen, wie dort bereits stehen. Ob wir dadurch Turnhallen leerziehen können, hängt von den weiteren Zuweisungen für Hattingen ab. Falls es wieder so viele wie in 2015 werden, dann werden wir in Hattingen Probleme bekommen.

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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