Im Gespräch mit Geflüchteten aus der Ukraine
Borschtsch und Bombenalarm

Viktoriia, Anatoli, Mila, Olga, Katerina und Miroslawa (v.l.) sind vor wenigen Tagen aus der Ukraine geflohen und in Hattingen untergekommen. Beim Essen mit Gastgeberin Irina Herari (M.) - es gibt Borschtsch - erzählen sie Funke-Reporterin Sara Drees vom Krieg in ihrer Heimat. Über die vielen Menschen in Deutschland, die ihnen mit Unterkünften und Spenden helfen, sind sie extrem dankbar. Foto: Sara Drees
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Familie Herari aus Hattingen hat mich zum Essen eingeladen. Es gibt Borschtsch, eine traditionell in Osteuropa verbreitete Suppe mit Roter Beete. Die anderen Gäste am Tisch sind kurz zuvor aus der Ukraine geflüchtet.

Von Sara Drees

Hattingen. Schon während ich so meine Suppe löffele, wird mir klar: Das wird kein Interview wie jedes andere. Wie alle bin ich von der täglichen Kriegsberichtserstattung im Fernsehen tief betroffen. Die ukrainischen Gäste um mich herum essen, trinken, diskutieren. Obwohl ich kein Wort verstehe, wirkt die Stimmung fast heiter. Wo soll ich da anfangen?

Auch Irina Herari, die hier in Hattingen mit ihrer Familie lebt und einen Teil der Flüchtlinge in ihr Haus aufgenommen hat, muss drei Mal ansetzen, bevor sie aus den letzten Tagen berichten kann. Sie hat Tränen in den Augen. "Das schlimmste für mich sind nicht einmal die Bilder, sondern die persönlichen Geschichten und wenn eines der Kinder fragt: Wo ist Papa?", erzählt sie.

Seit Anfang März leben drei Frauen und vier Kinder im Haushalt der Heraris. Alle sprechen fließend russisch, so können sie sich gut untereinander verstehen. "Es sind Bekannte von uns, die uns in ihrer Verzweiflung kontaktiert haben: Sie wussten nicht wohin", erklärt Irina. Die Eheleute mussten nicht lange nachdenken. "Wir helfen überall, wo wir können." Knapp 1.400 Kilometer seien sie fast ohne Pause bis zur polnischen Grenze durchgefahren. "Er war dunkel, es war kalt, die Familien schon tagelang unterwegs und wir wussten nicht, was wir machen sollen, wenn eines der Kinder zum Beispiel krank ist und zum Arzt muss."

Heute sitzen alle im Warmen beisammen, in Sicherheit. Sie sind offiziell bei der Stadt angemeldet, selbst die fünf neuen Leute, die erst an diesem Tag mit dem Zug in Dortmund angekommen sind und ebenfalls in Hattingen, bei einem Bruder, leben werden. Ihre Augen ruhen aber immer auf dem Handy. Sie warten auf den nächsten Anruf. Auf die nächsten Nachrichten.

"Schau, vor ein paar Minuten ist eine Bombe in eine Geburtsklinik eingeschlagen!" Olga schiebt ihren Teller beiseite und zeigt uns ein Video aus dem Netz. Jetzt muss ich doch wissen, ob sie das, den Krieg, überhaupt fassen können. "Also ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass sowas möglich ist, in dieser Zeit", erzählt Miroslawa. "Warum ausgerechnet wir?", fragen sich die Frauen.

Als die erste Bombe einschlug, da war es fünf Uhr morgens, rechnete niemand damit. Sie dachten an ein Gewitter. Zehn Minuten spätert kam die nächste. "Das erste, was wir bei Kriegsbeginn gemacht haben, war, das Auto voll zu tanken, um notfalls schnell wegzukommen", erinnert sich Olga. Einen Tag später habe es kein Benzin mehr in der Gegend gegeben. Heute steht man dort an jeder Tankstelle drei Stunden in der Schlange, jedes Auto darf maximal 20 Liter tanken.

In ihrem Familien- und Freundeskreis gibt es bisher keine Kriegsopfer, zum Glück. Tote haben sie selbst nur in den Nachrichten und auf Videos gesehen. Doch die Zerstörung ist auch in ihrem Heimatort bereits zu sehen. "Wir haben Kaffee getrunken", erzählt Anatoli. "Dann kam der Fliegeralarm, alle sind in die Badewanne. Dann gab es Kuchen. Und wieder Fliegeralarm." Er winkt ab. Sie hätten sogar mit der ganzen Familie in der Badewanne geschlafen. Miroslawa hat im Bus gehört, wie Zivilisten, die vor einer Apotheke warteten, einfach von Fliegern abgeschossen wurden. Langsam begreife ich, dass ihre Heiterkeit eher ein Schockzustand sein muss. Nur deshalb können sie trotz allem noch lachen.

Wie es nun weiter geht? Wie lange der Kriegszustand dauert? Wann sie nach Hause zurückkehren können? Sie wissen es nicht. "Die Hoffnung auf ein schnelles Kriegsende ist da, aber ich glaube nicht wirklich daran, denn Putin kann nicht mehr zurück", ist Miroslawa sich sicher. Vielleicht sei Kiew verloren, aber nicht die ganze Ukraine. Die Heraris haben ihren geplanten Spanien-Urlaub jedenfalls erst einmal gestrichen. Den Menschen zu helfen, ist ihnen jetzt wichtiger.

Erst auf dem Heimweg fange ich an, die ganzen Informationen zu verarbeiten. Die Heraris hatten das sicher geahnt, als sie mir ein Bier für zu Hause mitgegeben haben.

Autor:

Sara Drees aus Dortmund

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