Nachgefragt : Asylbewerber aus Hattingen, der den Richter niederschlug

Der Angeklagte (unten re.) mit seinem Pflichtverteidiger im Gericht bei der Hauptverhandlung.
  • Der Angeklagte (unten re.) mit seinem Pflichtverteidiger im Gericht bei der Hauptverhandlung.
  • hochgeladen von Hans-Georg Höffken

Überregional große Aufmerksamkeit erhielt im Oktober 2016 die Berichterstattung über einen schweren Zwischenfall beim Landgericht in Essen. Der STADTSPIEGEL erkundigte sich jetzt nach dem Aufenthaltsort und dem Behandlungserfolg des früher in Hattingen untergebrachten Asylbewerbers, der damals den Vorsitzenden Richter der Großen Strafkammer direkt nach der Urteilsverkündung niedergeschlagen hatte.

Bereits die öffentliche Hauptverhandlung gegen den Asylbewerber beim Amtsgericht in Hattingen nahm Ende April 2016 eine unerwartete Wende. Während der Gerichtsverhandlung wegen Körperverletzung gestand der aus Eritrea stammende Mann plötzlich auch eine Brandstiftung im Asylbewerberheim in Hattingen, in dem es im April 2016 in kurzer Zeit zweimal hintereinander gebrannt hatte. Durch seinen Dolmetscher ließ der Angeklagte damals übersetzen, dass er in sein Heimatland Eritrea zurück möchte. Durch das Anzünden von Bettwäsche habe er auch versucht, sich umzubringen.

Gutachter empfiehlt Unterbringung in der Forensik
Der Angeklagte ergriff dann im Oktober 2016 im Gerichtssaal des Landgerichtes in Essen plötzlich einen Papierkorb und schlug diesen nach der Urteilsverkündung so schnell auf den Kopf des Vorsitzenden Richters der 16. Großen Strafkammer, dass die beiden anwesenden Justizwachtmeister nicht mehr rechtzeitig eingreifen konnten. Durch den Angriff stürzte der verletzte Richter zu Boden. Beim Landgericht wurde Alarm ausgelöst. Mehrere Justizwachtmeister kamen ihren Kollegen zu Hilfe und brachten den verurteilten Angeklagten in ihre Gewalt. Der verletzte Richter konnte nach Erstversorgung und Behandlung in einer Klinik am gleichen Tag abends diese wieder verlassen.

Das Landgericht war vorher in seinem Urteilsspruch der Empfehlung des Sachverständigen gefolgt und hatte eine unbefristete Unterbringung des Asylbewerbers in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung angeordnet.

Überprüfung einmal im Jahr
Dort ist der Asylbewerber seit Herbst 2016 untergebracht. Einmal jährlich, so erfuhr es der STADTSPIEGEL auf Nachfrage von dem Pflichtverteidiger des Asylbewerbers, Dr. Gregor Hanisch, findet durch die Strafvollstreckungskammer des derzeit zuständigen Landgerichtes in Paderborn eine Überprüfung hinsichtlich der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung statt.

Unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen für Richter und Patienten beraten dann drei Berufsrichter darüber, ob der Patient weiter in der Forensik bleibt, in einen Strafvollzug verlegt oder in sein Heimatland abgeschoben werden kann.

Die Pressesprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft in Essen, Oberstaatsanwältin Anette Milk teilte dem STADTSPIEGEL auf Nachfrage mit, dass das zuständige Ausländeramt die Voraussetzungen klären muss, bevor in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft eine Abschiebung vollzogen wird.

Eine Abschiebung könnte bisher daher nicht erfolgt sein, da die Behandlung aktuell nur unter Kontrolle und Begleitung der Mitarbeiter der geschlossenen Einrichtung gesichert ist. Außerdem bestehe derzeit noch eine Wahrscheinlichkeit von Suizidversuchen des früher in Hattingen untergebrachten Asylbewerbers.

Ausländeramt im EN-Kreis gibt keine Auskunft
Eine Anfrage des STADTSPIEGEL bei der Pressestelle des örtlich zuständigen Ausländeramtes in Lippstadt ergab, dass gemäß der Verordnung über Zuständigkeit im Ausländerwesen die Ausländerbehörde des EN-Kreises weiterhin für den früher in Hattingen lebenden Asylbewerber zuständig ist. Die Ausländerbehörde des EN-Kreises hat danach das Auskunftsersuchen des STADTSPIEGEL auf bereits untersuchte bzw. geplante Maßnahmen der Rückführung in das Heimatland des Verurteilten unter Verweis auf den Datenschutz abgelehnt.

Land NRW trägt bisherige Kosten von 159.600 Euro für den Asylbewerber
Das Land NRW kommt gemäß Maßregelvollzugsgesetz für alle Kosten der Patienten im Maßregelvollzug, so auch für die des Asylbewerbers, auf. Der Tagessatz für den Patienten beträgt laut Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) etwa 280 Euro, monatlich sind über 8.400 Euro aufzubringen. Im Zeitraum November 2016 bis Mai 2018 sind damit rund 159.600 Euro Kosten entstanden, die vom LWL als Träger der Einrichtung aufgebracht und diesem vom Land NRW erstattet werden.

„Der Maßregelvollzug ist eine Landesaufgabe, so dass das Land in vollem Umfange für die notwendigen Kosten aufkommen muss. Daher verwendet der LWL auch nur die vom Land bereit gestellten Mittel für die Durchführung des Maßregelvollzuges. Wir betonen, dass der LWL für den Maßregelvollzug keine kommunalen Mittel, die der LWL über die Landschaftsumlage erhält, einsetzt. Somit bezahlen nicht die Mitgliedsstädte und –kreise des LWL die Kosten für den Maßregelvollzug und damit auch nicht die Unterbringung eines bestimmten Forensik-Patienten“, sagte Pressesprecher Thorsten Fechtner auf Nachfrage zum STADTSPIEGEL und ergänzt, „dass es übrigens völlig irrelevant ist, welchen Status ein Patient im Maßregelvollzug hat, d.h. ob er z.B. Asylbewerber ist oder nicht. Maßgeblich für den Vollzug der Maßregel ist ein diesbezügliches Urteil eines zuständigen Gerichtes“.

Ein Behandlungsende des früher in Hattingen untergebrachten Asylbewerbers ist derzeit nicht abzusehen.

Autor:

Hans-Georg Höffken aus Hattingen

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