Prinz Jörg I. und die drei Gesichter des Karnevals

Jörg Winterscheid an seinem Schreibtisch. Im richtigen Leben ist Karnevalsprinz Jörg I. selbstständig, Erzieher und staatlich anerkannter Heilpädagoge sowie Geschäftsführer der Heilpädagogischen Ambulanz Jörg Winterscheid „Fit for Kids“ im Ludwigstal.  Foto: Römer
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  • Jörg Winterscheid an seinem Schreibtisch. Im richtigen Leben ist Karnevalsprinz Jörg I. selbstständig, Erzieher und staatlich anerkannter Heilpädagoge sowie Geschäftsführer der Heilpädagogischen Ambulanz Jörg Winterscheid „Fit for Kids“ im Ludwigstal. Foto: Römer
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Gesichter – sie spielen (nicht nur) im Leben von Jörg Winterscheid in all ihrer Unterschiedlichkeit eine große Rolle. Im Privatleben ist er Chef, Vater, Ehemann, Freund, Nachbar, um nur einige seiner „Gesichter“ zu nennen. Und Karnevalsprinz. Zum zweiten Mal bereits. Auch der Karneval selbst, so der Erzieher und staatlich anerkannte Heilpädagoge, habe drei Gesichter.

Und schon sind wir mitten im Thema – und wieder zeigen sich dabei unterschiedliche Gesichter. Oder eigentlich doch nicht: Denn genauso leidenschaftlich, wie der 48jährige sich als Karnevalsprinz gibt, mindestens genauso engagiert zeigt er sich in seiner heilpädagogischen Ambulanz im Ludwigstal als Chef von immerhin 13 fest angestellten Mitarbeitern.
Kinder, Jugendliche – Menschen überhaupt: sein Ding. „Ich stehe gern vorne, genieße in gewissen Momenten schon, durch meine exponierte Stellung von gewissen Dingen ,befreit‘ zu sein“, sagt Jörg Winterscheid. „Aber ich werde kein anderer Mensch, wenn ich mir mein Gewand überstreife, nein, und das ist mir sehr wichtig. Ich bin ein bürgerlicher Prinz, einer mit Bodenhaftung. Ich verbiege mich nicht.“
Kein Wunder also, dass es ihm anfangs sehr schwer fiel, sich an das strenge Protokoll bei Karnevalsveranstaltungen zu gewöhnen, das nicht von ungefähr „höfisches Protokoll“ heißt.
Darüber hatte er sich keine Gedanken gemacht, als er gefragt wurde, ob er den Karnevalsprinzen machen würde – zusammen übrigens mit seiner Nachbarin Karin Kemper. Die wiederum wollte nur mit Jörg Winterscheid antreten oder gar nicht. Durch sie sei der Prinz überhaupt zum Karneval gekommen, mit dem „Virus Carnevalis“ infiziert worden, lacht er:
„Bei unserer ersten Session stand der Aktivenkreis Holthauser Rosenmontagszug sechs Wochen vor dem Start plötzlich wieder ohne Prinzenpaar da. Weil ich als Moderator des Kinderkarnevals, als ,Brutus der Pirat‘, schon einige Erfahrung gesammelt hatte, bin ich so freiwillig gezwungen zum Prinzen geworden.“
Nicht immer sei alles eitel Sonnenschein beim Prinzenpaar. Da gebe es schon Reibungspunkte. Deshalb existiere auch der weise närrische Rat, dass ein Prinzenpaar nicht miteinander verheiratet sein solle. Es wäre nicht das erste Mal, dass am Aschermittwoch mehr als nur die Session vorbei wäre...
Und noch eine karnevalistische Weisheit für ein Prinzenpaar: „Die erste Session ist zum Üben, die zweite zum Genießen!“ Auch das sieht Jörg Winterscheid genauso.
Jörg I. und Karin I. sind aber bereits in ihrer ersten Session überall so gut angekommen, dass sie jetzt den Preis dafür zahlen müssen: „Insgesamt haben wir so 60 bis 70 Termine zu absolvieren und wöchentlich kommen noch zwei bis drei Anfragen dazu. Der Hattinger Karneval ist schön im Kommen und findet eine hohe Akzeptanz bei den umliegenden Vereinen und Verbänden. Mir gefällt das Feedback sehr.“
Aber so richtig warm ums Herz wird Jörg Winterscheid erst, wenn er mit seiner Prinzessin und dem Hofstaat soziale Einrichtungen besucht wie die Lebenshilfe oder die Essenausgabe bei der Hattinger Tafel übernimmt oder im Familienzentrum Welper (geplant). Mit der Reha-Klinik Holthausen laufen noch Verhandlungen.
Hier kommen die drei Gesichter des Karnevals zum Tragen, die für Jörg Winterscheid wichtig sind: „Das Gesicht, das im Bewusstsein der meisten Menschen steht, ist das lachende. Frohsinn, Ausgelassenheit und Heiterkeit werden mit dem Karneval verbunden und das ist auch gut so, denn Lachen ist bekanntlich die beste Medizin. Das ernste Gesicht steht für mich für die sozialen und politischen Traditionen des Karnevals. Es steht etwa für die symbolische Bedeutung der Zahl 11, also für die Gleichheit aller Menschen unter der Narrenkappe – unabhängig von Wirken und Stand. Das Gesicht steht auch für die Aufdeckung von Missständen, denn nur der Narr durfte schon am Hofe dem König ungestraft die Wahrheit sagen. Es heißt also nicht umsonst ,Kinder und Narren sagen die Wahrheit!‘ Das traurige Gesicht steht für mich für den wohltätigen Gedanken des Karnevals. Bei aller Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, vergessen wir Karnevalisten die Menschen nicht, die unsere Hilfe benötigen. Letztes Jahr sind für Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, 700 Euro zusammengekommen. Diesmal hoffen wir wieder auf eine ähnlich hohe Summe.“
Für dieses Gesicht hat Jörg Winterscheid auch gleich ein rührendes Beispiel parat: „Als wir einen Termin in der onkologischen Abteilung eines Krankenhauses hatten, gingen einer älteren Frau regelrecht die Augen über – ein echtes Prinzenpaar im Krankenzimmer! ,Dass ich das noch einmal erleben darf!‘, meinte die Frau und fing an zu weinen. Da kamen auch nicht nur mir die Tränen. Noch heute habe ich Gänsehaut und bin gerührt, wenn ich nur daran denke. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich allein mit diesem bunten Gewand Menschen fünf Minuten lang Glück schenken kann. Wir wissen auch durch Angehörige von Kranken und Behinderten, dass diese noch lange nach unserem Besuch jedem davon erzählen, dass sie einen Orden und eine Autogrammkarte bekommen haben.“
Trotz solcher Momente, gesteht Jörg Winterscheid, schlügen zwei Herzen in seiner Brust, wenn er auf eine weitere Session angesprochen würde: „Das Amt geht schon sehr zu Lasten von Familie und Firma, Prinz und Praxis überein zu bringen kostet Kraft. Zwischen Januar und März sind wir praktisch jedes Wochenende unterwegs, teilweise – wie beim Besuch im Landtag – sogar unter der Woche. Diese Seite sagt Nein zu einer möglichen weiteren Session. Andererseits gibt es den sozialen Charakter, das Kennenlernen vieler Leute. Daher stehe ich einer weiteren Session momentan 50:50 gegenüber. Nach Aschermittwoch würde ich eine stille Stunde nutzen und darüber nachdenken, ob ich noch eine weitere Session gestemmt bekomme.“

Jörg Winterscheid an seinem Schreibtisch. Im richtigen Leben ist Karnevalsprinz Jörg I. selbstständig, Erzieher und staatlich anerkannter Heilpädagoge sowie Geschäftsführer der Heilpädagogischen Ambulanz Jörg Winterscheid „Fit for Kids“ im Ludwigstal.  Foto: Römer
Jörg Winterscheid und die drei Gesichter von Karneval: (von oben) traurig, ernst und lachen.   Foto: Römer
Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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