Schwierige Inklusion: Ehepaar muss mit behindertem Sohn Café verlassen

Ursula und Kurt Zimmer wünschen sich, dass ihr behinderter Sohn einfach ein normaler Teil der Gesellschaft sein kann. Foto: Pielorz
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(von Dr. Anja Pielorz) Inklusion ist ein Menschenrecht und meint: Jeder Mensch hat das Recht darauf, dabei zu sein. In der UN-Behindertenrechtskonvention ist das Recht auf Inklusion festgeschrieben. Es ist normal, verschieden zu sein. Im Alltag gibt es allerdings viele Hürden. Das mussten Ursula und Kurt Zimmer mit ihrem behinderten Sohn erleben - sie mussten ein Café verlassen. Manchmal hilft es, die Geschichte zu kennen, um Schwierigkeiten zu verstehen. Die Geschichte von Benedikt.

Benedikt ist 32 Jahre alt und seit seiner Geburt mehrfach schwerstbehindert. Heute lebt der Hattinger im Tom-Mutters-Haus der Lebenshilfe in der Schulstraße. Die ersten 23 Jahre seines Lebens wohnte er bei seinen Eltern, Ursula und Kurt Zimmer. Die Schulleiterin und der Arzt, emeritierter Professor der Sportmedizin an der Ruhr-Universität Bochum, kümmern sich bis heute liebevoll um ihren Sohn. „Als er noch sehr klein war und die Behinderung optisch noch nicht auffällig, gab es bei Besorgungen in der Stadt in der Bäckerei oder in der Fleischerei immer ein Plätzchen oder ein Stück Wurst. Das aber konnte er nicht essen, er hätte sich sofort verschluckt. Das war immer alles lieb gemeint, aber als Mutter war ich permanent mit Erklärungen beschäftigt. Oder ich habe es einfach entgegengenommen und es draußen selbst gegessen“, erinnert sich Ursula Zimmer heute. „Wir haben uns mit unserem Sohn nie versteckt“, ergänzt ihr Mann. „Wir sind mit ihm durch ganz Deutschland gereist, haben Urlaub an unterschiedlichsten Orten gemacht. Benedikt besuchte einen integrativen Kindergarten und später in Sprockhövel die Förderschule des EN-Kreises für geistige Entwicklung. Einmal haben wir in einem Hotel in den Niederlanden eine Beschwerde über ihn erlebt. Da hat der Hotelbesitzer zu dem Gast gesagt, wenn es ihn störe, dann könne er ja ausziehen.“
Benedikt sitzt im Rollstuhl und kann nicht sprechen. Aber er lautiert und diese unkontrollierten Laute haben eine gewisse Lautstärke. Er hat ruhige und weniger ruhige Phasen – abhängig von den Reizen in seiner Umgebung. Dazu zählen Umwelteinflüsse ebenso wie die vertrauten Stimmen der Eltern oder anderer Personen.
„Ich laufe mit ihm viele Kilometer an der Ruhr entlang“, sagt Kurt Zimmer. Benedikt sitzt im Rollstuhl, Vater und Mutter begleiten ihn zu Fuß – manchmal zehn, zwölf Kilometer weit. Beide berichten von den baulichen Schwierigkeiten, mit einem Rollstuhl in der Hattinger Altstadt einkehren zu können. „Aber wir bekommen oft Hilfe“, sagen sie. Und ja, man könne ja auch nicht die ganze Altstadt behindertengerecht umbauen.
Immer öfter könne man heute auch behinderte Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen im Stadtbild finden. Während eines sonntäglichen Spazierganges beschloss das Paar, mit ihrem Sohn in einem Café in der Bahnhofstraße einzukehren. „Das Café ist ebenerdig zu erreichen und wir kannten es. Wir haben Benedikt mit seinem Rollstuhl an einen Tisch geschoben und wollten Kuchen aussuchen.

„Wir erleben viel Hilfsbereitschaft, müssen uns aber auch oft erklären“

Benedikt lautierte wieder, da wurden wir aufgefordert, mit ihm das Café zu verlassen. Wir wollten noch erklären, dass er ruhiger würde, wenn wir uns gleich zu ihm setzen, aber dazu gab man uns keine Chance. Wir mussten das Café verlassen, standen draußen und sind nach Hause gefahren. Wir waren enttäuscht und auch fassungslos. Das haben wir noch nie erlebt“, erzählen die beiden.
Und sie beschlossen, den Rauswurf öffentlich zum Thema zu machen. „Wir meinen, so etwas geht nicht. Manchmal gehen wir essen und das auch in mehreren Gängen. Da ist Benedikt oft dabei. Wir sind noch nie aufgefordert worden, ein Restaurant zu verlassen.“
Café-Betreiber Richard Sodtke war an diesem Sonntag nicht vor Ort, kennt aber die Geschichte. „Ja, das war unglücklich“, sagt er und berichtet von Beschwerden anderer Gäste, die das Café hätten verlassen wollen. Seine Mitarbeiterin habe das Ehepaar daraufhin höflich aufgefordert, mit dem Jungen das Café zu verlassen. Von Beschwerden anderer Gäste weiß das Paar nichts und höflich sei das Verhalten der Mitarbeiterinnen auch nicht gewesen. „Bescherden sind zeitlich eigentlich kaum möglich gewesen. Wir waren doch nur wenige Minuten vor Ort“, so Kurt Zimmer, der zu der Stimme des Sohnes sagt: „Von der Lautstärke ist das so, wie wenn sich Schwerhörige unterhalten.“ Und er erklärt, dass es natürlich so sei, dass die Menschen gucken, wenn sie mit dem Sohn unterwegs seien. „Aber diese Laute kann er und können wir nicht beeinflussen.“
Ursula Zimmer ergänzt: „Wir erfahren viel Hilfsbereitschaft. Aber wir haben trotzdem oft das Gefühl, uns für ihn entschuldigen zu müssen. Doch weder er noch wir tragen eine Schuld. Es ist, wie es ist.“
Sodtke gegenüber dem STADTSPIEGEL: „Eine meiner Mitarbeiterinnen hat selbst ein behindertes Kind und wir versuchen immer, Verständnis aufzubringen. Aber wir müssen ja auch die anderen Gäste berücksichtigen. Man hat mir berichtet, dass der Junge sehr unruhig und laut war. Und das ist dann eine Situation, die für die anderen Besucher nicht akzeptabel ist.“
Auch Bürgermeister Dirk Glaser hat von dem Vorfall gehört. „Ich werbe dafür, dass wir Inklusion auch im Alltag ernst nehmen. Es liegt an uns, Menschen nicht auszuschließen, weil sie vielleicht etwas anders sind, denn im Grunde sind wir alle „anders“ und erwarten Respekt. Im selbstverständlichen Umgang mit allen Menschen, sollte es aber auch keine Bevorzugung oder Sonderstellungen geben. Jeder Mensch soll so akzeptiert werden, wie er oder sie ist“, sagt er.
Ursula und Kurt Zimmer wollen sich nicht verstecken und ihren Sohn auch nicht. „Wir sind in unseren Berufen immer nach eigenen Kindern gefragt worden und haben offen darauf geantwortet. Ich habe Benedikt sogar zu meinen Univeranstaltungen zum Thema Rehabilitation und Prävention durch Sport mitgenommen“, erzählt Kurt Zimmer.
„Wir wissen, dass es oft nur Ängste und Unsicherheiten bei anderen Menschen sind, weil sie nicht wissen, wie sie ihm begegnen können. Doch auf eine solche Reaktion waren wir nicht gefasst. Wir wünschen uns, dass man versteht, dass Menschen wie Benedikt ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind und eben dazu gehören.“

Ursula und Kurt Zimmer wünschen sich, dass ihr behinderter Sohn einfach ein normaler Teil der Gesellschaft sein kann. Foto: Pielorz
Benedikt Zimmer: Der 32jährige Hattinger lebt heute im Tom Mutters Haus der Lebenshilfe in der Schulstraße. Foto: privat
Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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