Oliver Ruhnert erklärt das Geheimnis der Schalker "Knappenschmiede"

Oliver Ruhnert | Foto: firosportphoto

Von Heiko Buschmann

Manchmal könnte ein Tag für Oliver Ruhnert 36 Stunden haben. Der 41-Jährige ist als Direktor Nachwuchs und Chefscout des FC Schalke 04 praktisch rund um die Uhr für den Fußball unterwegs. Gestern Japan, heute Gelsenkirchen, morgen Malta: Auf der Suche nach dem nächsten großen Talent für den Klub aus dem Revier muss Ruhnert weite Wege gehen.

Dass er dabei sogar noch Zeit findet, als Schieds- oder Linienrichter das Spiel von einer anderen Seite zu leiten und sich als Fraktionsvorsitzender der Partie „Die Linke“ um die Lokalpolitik in seiner Heimatstadt Iserlohn zu kümmern, ist fast schon ein organisatorisches Wunder. „Ich mache das gerne, weil ich hier in der Sportpolitik etwas bewegen will“, sagt Ruhnert zu seinem Engagement in Iserlohn.
Nach seinem Lehramtsstudium in den Fächern Sport und Geschichte arbeitete Ruhnert zunächst als Lehrer an der Hauptschule Dortmund-Kley, ehe er beim FC Gütersloh seine Trainerkarriere startete. Nach über fünf Jahren bei den Sportfreunden Oestrich schloss er sich im Jahr 2008 dem FC Schalke an und stieg dort vom Trainer der zweiten Mannschaft inzwischen zum Leiter der Nachwuchsabteilung, der „Knappenschmiede“, auf.

Wer in Europas Fußball einen Vorzeigeverein für gelungene Jugendarbeit suchte, ist bis vor ein paar Jahren am ehesten in Spanien, den Niederlanden und Belgien fündig geworden. „La Masia“ natürlich, die berühmte Schule des FC Barcelona, Ajax Amsterdam und der RSC Anderlecht galten gemeinhin als die Talentschuppen schlechthin. Während die Katalanen vor allem die eigene Profimannschaft fütterte, bedienten die Holländer und Belgier Klubs in ganz Europa mit Jungstars. Eine der meistbeachtesten Kaderschulen steht inzwischen auf Schalke. Die „Knappenschmiede“ führt den S04-Bundesligaprofis Jahr für Jahr neue Spieler zu, die, wie Julian Draxler oder Max Meyer, bereits das Interesse der ganz großen Klubs auf sich ziehen.

Im folgenden Interview erklärt Ruhnert, wie Schalke es immer wieder schafft, Talente aus dem eigenen Stall in die Bundesliga zu führen.

Oliver Ruhnert, was ist das Geheimnis des Erfolges der Knappenschmiede?
Ein Geheimnis gibt es sicher nicht, sondern es ist in erster Linie das Ergebnis sehr guter, professioneller Arbeit. Schalke 04 hat auch schon früher viele gute Spieler aus dem Nachwuchs hervorgebracht, die den Sprung in die Bundesliga geschafft haben und sogar Nationalspieler wurden. In den letzten Jahren ist die Entwicklung allerdings besonders erfreulich, das liegt auch daran, dass der Verein der Nachwuchsarbeit einen ganz anderen, viel höheren Stellenwert beigemessen hat.

Es ist noch nicht lange her, als die Agentur Foot Pass, die im Auftrag der DFL die Nachwuchsleistungszentren der Profivereine zertifiziert, Schalke ein miserables Zeugnis ausgestellt hat. War das der Stein der Anstoßes, mehr auf die Jugendarbeit zu setzen?
Auch! Wir haben ein Ergebnis erhalten, das eines deutschen Topklubs, der im Schnitt alle zwei Jahre in der Champions League mitspielt, nicht würdig war. Nach einem Wechsel im Vorstand hat Schalke an vielen Stellschrauben gedreht und in Personal für die Nachwuchsabteilung investiert. Das ist in erster Linie ein Verdienst von Horst Heldt, der in seiner Stuttgarter Zeit erkannt hat, wie wichtig die Nachwuchsförderung ist, und dies hier auf Schalke zur Priorität gemacht hat.

Welche Maßnahmen wurden getroffen?
In allen Altersklassen wurden, sofern noch nicht vorhanden, Top-Trainer verpflichtet und zusätzlich Pädagogen, Psychologen sowie Athletikcoaches dazugeholt. So sind wir heute von der U 9 bis zur letzten Ausbildungsstufe in der U 23 bestens aufgestellt.

Was dazu führt, dass die Konkurrenten im Revier, vor allem Borussia Dortmund, ein wenig neidisch auf Schalke schauen...
Natürlich nehmen wir zur Kenntnis, dass die Nachbarn mit der Vormachtstellung des FC Schalke unglücklich sind, aber das ist nicht unser Leitmotiv. Uns geht es auch nicht in erster Linie um Titel wie die Deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal oder gar bei der Youth League, sondern das oberste Ziel ist es, so viele Spieler wie möglich aus dem Nachwuchs- an den Profibereich heranzuführen.

Acht Spieler der Knappenschmiede gehören dem aktuellen S04-Profikader an, zuletzt standen sieben regelmäßig in der Startaufstellung. Warum ist auf Schalke die Durchlässigkeit von den Junioren zu den Lizenzspielern größer als woanders?
Das liegt daran, dass sich unser Cheftrainer Jens Keller traut, die Jungs oben reinzuschmeißen. Das macht er auch aus Überzeugung und nicht nur, weil durch Verletzte der Bedarf da ist. Die Jungs spüren den Rückhalt durch die Verantwortlichen und können sich so früh auf höchstem Niveau entwickeln.

Welche Rolle spielt denn die Herkunft, wenn Sie Spieler für Schalke beobachten? Sie sind ja neben Ihrer Tätigkeit als Direktor der Knappenschmiede auch der Chefscout der Nachwuchsabteilung.
Bis zur U15 kommen die Spieler ausschließlich aus der Region, viele darunter aus Gelsenkirchen. Die früheren Schalker Manuel Neuer, Mesut Özil und die Altintop-Zwillingen sind ja nur einen Steinwurf von der Arena groß geworden, und in Kaan Ayhan haben wir aktuell wieder einen gebürtigen Gelsenkirchener im Profikader. Julian Draxler, Benedikt Höwedes, Max Meyer und Tim Hoogland kommen aus dem unmittelbaren Umkreis. Da ist es klar, dass sie eine hohe Identifikation mit dem Verein mitbringen, womit wir unser Leitbild ‚Schalke, wir leben dich‘ mit Inhalt füllen.

Der FC Barcelona, vor knapp einem Monat Schalkes Gegner im Halbfinale der Youth League, ist gerade mit einem Transferstopp belegt worden, weil er wegen ‚Kinderhandels‘ gegen UEFA-Statuten verstößt. Wie soll Schalke da auf Dauer mithalten, wenn der Verein nicht über den Tellerrand schaut?
So ist es ja nicht, auch wir schauen europa- und sogar weltweit nach Spielern für unseren Verein. Wir spielen in der Champions League, da brauchst du die besten Spieler. Daher können wir für den Leistungsbereich im Nachwuchs, also ab der U15 aufwärts, nicht nur Spieler aus Gelsenkirchen oder dem Revier verpflichten. In der U19 etwa spielt Sebastian Starke Hedlund, den wir aus Schweden zu uns geholt haben. NRW ist allerdings ein Bundesland mit über 16 Millionen Einwohnern, da gibt es genügend richtig gute Spieler, die für Schalke in Frage kommen.

Wann erkennt man, dass es einer in die Bundesliga packen kann?
Da gibt es kein Muster. Bei Max Meyer war zum Beispiel früh erkennbar, dass er spielerisch sehr weit ist und er vom Fußballerischen her die Voraussetzungen für ganz oben mitbringt. Anders war es bei Kaan Ayhan, der eher ein Spätzünder ist. Bei ihm war vor wenigen Jahren noch nicht zu erwarten, dass er so durchstarten würde. Umso schöner ist es dann zu sehen, wenn auch einer wie er es packt.

Was ist denn wichtiger für den Durchbruch in die Bundesliga, Talent oder andere Eigenschaften wie ein starker Charakter oder die richtige Mentalität?
Talent haben alle Jungs, die in der Knappenschmiede spielen, sonst würden sie nicht zum FC Schalke kommen. Aber um es in den Profibereich zu schaffen, müssen sie die Mentalität mitbringen, alles dafür tun zu wollen, dem großen Ziel alles unterzuordnen. Dazu gehört Geduld und Durchsetzungsvermögen. Wenn einer meint, schon früh alles erreicht zu haben, weil er bei Schalke in der Jugend Stammspieler ist und vielleicht auch noch Jugendnationalspieler, dann schafft er es nicht. Er muss die Gier behalten und das große Ziel vor Augen sehen: mit den Profis in der Arena zu spielen.

Jungstars wie Draxler, Meyer und Donis Avdijaj, der noch in der U19 spielt, tragen inzwischen sehr hohe Preisschilder auf dem Rücken. Sind sie, auch angesichts des nach wie vor hohen Schuldenstands des Vereins, so etwas wie eine Lebensversicherung für Schalke?
Das kann man ruhig so ausdrücken. Wir haben ja die Talente und, Gott sei Dank, bindet Schalke seine jungen Spieler inzwischen wieder an den Verein. Dazu gehören die von Ihnen aufgezählten Spieler, aber auch weitere wie U19-Kapitän Pascal Itter, Leroy Sané oder Marvin Friedrich, die ebenfalls bereits einen Profivertrag haben. Natürlich ist es dann umso schöner, wenn diese Jungs das Interesse von noch größeren Klubs auf sich ziehen.

Wer ist der nächste Überflieger, der demnächst bei den Profis durchstarten wird?
Das ist eine schöne Fangfrage, aber das seriös vorherzusagen, ist auch ein wenig Glückssache, Ich denke aber, dass wir noch einige der Jungs in unserer Bundesliga-Mannschaft sehen werden.

Macht es Sie persönlich stolz, wenn einer wie Max Meyer oder Kaan Ayhan plötzlich vor 60.000 Zuschauer aufläuft?
Das gibt mir schon ein sehr gutes Gefühl, aber ich bin auch immer sehr nervös, wenn die Jungs da in der Arena spielen.

Autor:

Christoph Schulte aus Hemer

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