Mord, Freiheit, Industriehistorie

Stadtarchivar Dr. Dietrich Thier am Aussichtspunkt der Burgruine:
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Kaum ist man mit Dr. Dietrich Thier vom Rathaus Wetter aus zu einem Spaziergang durch die Freiheit aufgebrochen, ist auch schon von Mord die Rede.
Im Jahr 1225 wurde in einem Hohlweg bei Gevelsberg der Kölner Erzbischof Engelbert I. ermordet. Auftraggeber war der auf einer Burg bei Hattingen residierende Graf Friedrich von Isenberg. Das Motiv war der Kampf um die Vorherrschaft im Ruhrtal. Bereits sei Jahrzehnten tobte im Deutschen Reich ein Kampf zwischen Kirche und Kaiser um die weltliche Vorherrschaft im Reich.
Der offene Konflikt nach der Ermordung des Erzbischofs prägte in den folgenden Jahrzehnten die Machtverhältnisse an der mittleren Ruhr. Mit dem Bau der Burg Wetter, um die herum die Freiheit entstand, wurde vermutlich um 1250 (1274 erstmalige Erwähnung der Burg) begonnen.
Graf Engelbert I. von der Mark wollte an diesem strategisch günstigen Platz seine Machtposition gegenüber dem Kölner Erzbischof festigen. Dessen Einfluss reichte in dieser Zeit bis zur Burg Volmarstein.
„Während der Besiedlung der Ruhrschleife bildeten sich zwei Siedlungskerne heraus, das Dorf Wetter als bäuerliches und die Freiheit Wetter als bürgerliches Zentrum“, erklärt Dr. Dietrich Thier. Bevor wir nun unseren kleinen Rundgang durch die Freiheit starten, muss noch eine kleine Frage geklärt werden: Was bedeutet eigentlich dieser Name? „Das ist ein mittelalterlicher Verwaltungsbegriff. Freiheit ist nichts anderes als eine Form der Stadt.“
Ihre besondere Rechtsstellung erhielt die Freiheit Wetter durch das Freiheitsprivileg 1355. „Dadurch erlangten die Bewohner Freiheit vom landesherrlichen Recht, das heißt die Ratsherren sprachen Recht für die Bürger und es gab einen eigenen Richter. Es war im Grunde die Vorstufe einer demokratischen Verwaltung.“ Als Verwaltungssitz besaß Wetter eine hohe Bedeutung, hier wurden die Abgaben eingenommen, die die Bauern aus der Umgebung entrichten mussten. Diese Güter wurden in der Renteischeune gelagert. Am Ende des 14. Jahrhunderts standen in der Freiheit gut 40 Bürgerhäuser, in denen rund 200 Menschen lebten.
Dr. Thier bittet mich nun nach links und erklärt schmunzelnd: „Wir sehen hier die Hauptschlagader der Freiheit, rund 150 bis 200 Meter lang. Links die Bauern, rechts das Handwerk. Die wohnten nicht nebeneinander, sondern in benachbarten Vierteln.“ Man merkt dem Stadtarchivar und Fachbereichsleiter für Schulen, Kultur und Sport mit jedem Schritt an, wie sehr ihn die Geschichte allgemein und die Historie der Stadt Wetter im speziellen fasziniert. „Eigentlich wollte ich ja Lehrer werden, das klappte dann mit meiner Fächerkombination nicht. Aber das Archiv war schon während meines Studiums eine Option.“
Nach gut 100 Metern stehen wir bereits vor dem „Fünfgiebeleck“, das vermutlich meist fotografierte Motiv der Freiheit. „Sie können klar die bäuerliche Form erkennen, im Hintergrund sehen sie noch die Scheune“, erzählt Dr. Thier und winkt mich schon zur Seitenfassade. Dieses Haus steht auf der alten Außenmauer, hier kann man noch einen kleinen Rest erkennen.“
Links neben dem Scheunentor sieht man einen kleinen Schmiedeanbau, unten war die Werkstatt, oben der Wohnbereich. Ach ja, die Schmiede: nach den Zerstörungen des 30-jährigen Krieges lag die Freiheit wirtschaftlich am Boden. Auf Anweisung des Großen Kurfürsten siedelten sich Messerschmiede aus dem Raum Velbert in der Freiheit an. „Das war eine Ansiedlung aus rein wirtschaftlichen Gründen“, so Thier. Die wirtschaftliche Lage blieb aber unbefriedigend. Die Verlegung des Oberbergamtes nach Wetter war ein weiterer Versuch, diese Lage zu bessern. Als Oberbergamtsdirektor hat übrigens Freiherr vom und zum Stein einige Tage in der Freiheit gewohnt.
Wir wenden uns vom Fünfgiebeleck der Burgstraße zu. „Der gesamte Bereich von der heutigen Eisdiele bis zur Burg war damals landwirtschaftlicher Bereich“, erklärt Thier. „Hier war eine wunderbare Ackerfläche“. Apropos Eisdiele: „Sozusagen mitten durch die heutige Eisdiele ging damals ein Stadttor, das einzige, wo man mit einem Erntewagen oder einer Kutsche durchkam. Da war früher auch eine kleine Ratsstube und eine Arrestzelle.“
Wir spazieren weiter zur Burg. „Der Burgturm ist berühmt geworden, weil Harkort hier seinen Hochofen reingestellt hat. Neben dem Turm hat seine Dampfmaschine gestanden, die bekam Wasser aus einem Brunnen in der Nähe, der heute aber zugeschüttet ist.“ Im Jahr 1819 kaufte der damals 26-jährige Friedrich Harkort die Burg Wetter mit dem ehemaligen Bergamtsgebäude und errichte dort, zusammen mit seinem Geldgeber Johann Heinrich Daniel Kamp, die Mechanischen Werkstätten, eine der ersten Maschinenfabriken Deutschlands, „die Keimzelle der späteren Demag.“ Es geht nun über ein paar Stufen hinab in Richtung „Schindanger“, unter Harkort das Keimstück der Werkstätten. Wir biegen nach rechts ab und schlendern entlang der Außenmauer der Burg in Richtung des Aussichtspunktes: „Auf diesem Turm wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges den Amerikanern die Stadt Wetter übergeben“, so Thier. „Das war ein symbolträchtiger Punkt mit dem weiten Blick über die Ruhr und den Harkortsee. Thier beugt sich weit über das Mauerwerk, grinst und deutet auf die grüne Wiese: „Das ist nichts anderes als eine alte Schlackehalde aus Harkorts Zeiten.“

Autor:

Jens Holsteg aus Herdecke

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