Ex-Nationalspieler und Ex-Alkoholiker

„Jeder Tag, den ich trocken bin, ist wichtiger als jede Meisterschaft“ - Uli Borowka erzählt seine Geschichte in Hilden in der Aula. Foto: Stephan Köhlen.
  • „Jeder Tag, den ich trocken bin, ist wichtiger als jede Meisterschaft“ - Uli Borowka erzählt seine Geschichte in Hilden in der Aula. Foto: Stephan Köhlen.
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Er war Deutscher Meister, Pokalsieger, Europapokalsieger und Nationalspieler. Gegner wie Jürgen Klinsmann hatten Angst vor ihm. Er trug seinen Spitznamen „Die Axt“ mit Stolz – und legte die Axt an sich selbst an. Fast hätte Uli Borowka dafür mit seinem Leben bezahlt und sich zu Tode getrunken.

Doch Uli Borowka schaffte die Wende. Nach Jahren des Schweigens aus Scham entschloss er sich, seine Erfahrungen zum Nutzen anderer einzusetzen. So auch am Mittwoch in der Aula der Graf Recke Stiftung in Hilden vor rund 50 Jugendlichen aus dem Geschäftsbereich Erziehung & Bildung.

Den 17. Juni hatte der Geschäftsbereich zum „Tag der Alkoholprävention“ ernannt und dazu den prominenten Gast eingeladen. Borowka laß aus seinem Buch „Volle Pulle“ und diskutiert mit Jugendlichen über seien Karriere – als Fußballprofi und inzwischen trockener Alkoholiker.

Alkohol ist – nicht nur hier – eine Alltagserscheinung. Damit halten viele Jugendliche auch nicht hinterm Berg, erklärt Borowski.:„Die Jungs rauchen und trinken, doch lustig sollte man auch ohne Alkohol sein können.“

Das hätte jemand „der Axt“ mal vor zwanzig Jahren nahe legen sollen. „Ich hab mich immer für den Größten gehalten und mir von niemandem was sagen lassen.“ Dass Borowka von seinen Profianfängen an unter Versagensängsten litt, hätte er damals nicht im Ansatz zugegeben. „Über Gefühle redet ein Mann nicht, ein Fußballprofi gleich zehnmal nicht.“ Borowka galt als der härteste Abwehrspieler der Liga und pflegte sein Image. „Bevor es auf den Platz ging, habe ich zu Spielern wie Jürgen Klinsmann gesagt: Wenn du heute über die Mittellinie kommst, ist das Bein ab.“ Dass er zu viel tränke, das habe er sich von niemandem sagen lassen. „Wenn ein Mitspieler mir am Abend vorher damit kam, dass ich nicht so viel trinken soll, habe ich ihn am nächsten Tag im Training umgetreten.“ Nur wenn der Trainer mal warnte dann habe er schon mal ein bisschen ein schlechtes Gewissen gehabt. „Dann habe ich nicht in meiner Stammkneipe getrunken – sondern zuhause.“

„Wenn ein Mitspieler meinte, dass ich nicht so viel trinken soll, habe ich ihn im nächsten Training umgetreten.“

„Der Trainer“, das war damals Otto Rehhagel. „Der Trainer hat es gewusst“, betont Borowka. Mehr noch: „Er hat mich geschützt. Wenn ich nicht zum Training kam, weil ich irgendwo besoffen rumlag, dann hat er mir ein Alibi gegeben.“ Am Samstag bin ich im Spiel abgegangen wie ein Flitzebogen, damit war alles okay. Er nehme Rehhagel das nicht übel, so Borowka heute. „Das ist nicht Böses, das ist eine Co-Abhängigkeit.“ Otto Rehhagel dagegen sehe das nicht so entspannt, berichtet Borowka. „Der spricht nicht mehr mit mir.“

Das Buch heißt „Volle Pulle“, und aus dem liest Borowka den Jugendlichen das erste Kapitel vor. Es schlägt einen Bogen vom größten sportlichen Erfolg zum großen Elend, vier Jahre später: 1992 – Uli Borowka gewinnt mit Werder Bremen in Lissabon im „Estadio da luz“, dem Stadion des Lichts, durch einen 2:0-Erfolg über den AS Monaco den Europapokal der Pokalsieger. 1996: Borowka liegt volltrunken auf einer dreckigen Matratze in seiner leeren Villa in einem noblen Bremer Vorort. Er hat eine Kiste Bier, zwei Flaschen Wein und eine Flasche Whisky getrunken. Seine Frau und seine Kinder sind weg. Er ist pleite. Vom Europapokal im Stadion des Lichts auf die dreckige Matratze, in vier Jahren. „Ich war dermaßen tief in der Sucht und habe auf niemanden gehört. Wenn man so weit ist wie ich damals, dann erreicht einen keiner mehr. Einer meiner besten Freunde ist am Alkohol gestorben; ich hatte keine Chance, ihn zu retten.“ Damit es bei anderen gar nicht so weit kommt, engagiert sich Borowka für Aufklärung und für Kinder aus Familien mit Suchtproblemen. „Erwachsene sind Vorbilder, das fängt in den Sportvereinen an. Wenn die Kinder Sonntagmorgen Fußball spielen, steht die Hälfte der Eltern mit der Pulle Bier am Rand.“ Seit Oktober 2012 ist er unterwegs in Deutschland, um aufzuklären. „Über die Jahre haben wir gesehen, dass wir etwas bewegen können. Viele, mit denen wir gesprochen haben, sind in Suchtgruppen oder sogar in die Therapie gegangen.“ Auch für Sportler, die in die Sucht abrutschen, ist Borowkas Verein ansprechbar. „Hochleistungssportler können sich nicht outen, ich rate ihnen davon ab, denn dann werden sie gekündigt“, meint Borowka. „Wenn du als Profi Leistung bringst, ist alles okay. Aber das Menschliche bleibt auf der Strecke.“

Borowkas Botschaft: „Flatrate- oder Komasaufen – das ist aus meiner Sicht nicht hip, sondern schwach. Nein sagen ist stark.“ Aber es müssten auch die Trainer diejenigen stärken, die Nein sagen. „Es ist nicht in Ordnung, wenn nach dem Training die Kiste Bier in die Kabine geschleppt wird – das ist Kinder- und Jugendfußball, nicht Kinder- und Jugendsaufen.“

Was hat die Wende für den desolaten Borowka eingeleitet? Nach der Nacht in der Bremer Villa habe er noch vier Jahre „in einem Loch in Mönchengladbach-Rheydt vor sich hinvegetiert“, erzählt Borowka. Eines Tages wollte der heute 53-Jährige in der Geschäftsstelle seines Ex-Vereins Borussia Mönchengladbach seinen alten Mitspieler Christian Hochstätter besuchen, zu dem Zeitpunkt Sportdirektor. „Ich sah aus wie ein Lump, ich hatte keine Zähne mehr im Mund.“ Hochstätter und der Vereinspräsident reagierten: „Die beiden haben einen Platz in einer Suchtklinik für mich klar gemacht. Ich habe das mitgemacht, meine Idee war: Ich habe erst mal ein Dach überm Kopf und danach kann ich weiter kontrolliert trinken.“ Pustekuchen: Borowka musste durch die harte Entziehungskur. Er hat seitdem nie wieder einen Tropfen angerührt. „Und jeder Tag, den ich trocken bin, ist wichtiger als jede Meisterschaft, die ich gewonnen habe.“

Beim Kampf gegen die Sucht ist er wie früher auf dem Fußballplatz: hart gegen sich – und hart gegen andere. Zum Beispiel dem Deutschen Fußballbund (DFB): Borowka ist enttäuscht, findet DFB-Kampagnen wie „Keine Macht den Drogen“ unglaubwürdig: „Warum nimmt man Alkoholprävention nicht in die Trainer C-Ausbildung auf? Weil es nicht als wichtig angesehen wird.“

Den Jugendlichen gefällt Borowkas Art, sie stellen Fragen, wie es bei ihm mit dem Trinken angefangen habe, ob sie schon süchtig seien, wenn sie am Wochenende mal angeheitert sind. Borowka gibt ausführlich Antwort, aber verweist auch an die Experten im Raum: „Die Pädagogen sind die Fachleute. Mein Ziel ist es, mit euch darüber zu reden. Wenn ihr einfach über das Thema nachdenkt, dann habe ich schon viel erreicht.“

Autor:

Ralf Paarmann aus Langenfeld (Rheinland)

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