Glücksspiel wandert in die Gaststätten

Der erste Schritt gegen die Abhängigkeit vom Glücksspiel kann der Weg zum Arbeitskreis gegen Spielsucht sein.
5Bilder
  • Der erste Schritt gegen die Abhängigkeit vom Glücksspiel kann der Weg zum Arbeitskreis gegen Spielsucht sein.
  • hochgeladen von Stefan Reimet

Zwar ist die weitere Ausbreitung der Spielhallen zum Stillstand gekommen, dafür werden vermehrt Glücksspielgeräte in Gasthäusern und Schankwirtschaften installiert und stärker frequentiert. Die Bilanz der Erhebung des Arbeitskreis gegen Spielsucht e.V. enthält wenig wirklich gute Nachrichten.

Das bundesweite Angebot an Glücksspielautomaten analysiert der Arbeitskreis alle zwei Jahre in 1.645 Städten und Gemeinden mit über 10 Tsd. Einwohnern. Die Ergebnisse legt die Beratungsstelle Unna des Arbeitskreis gegen Spielsucht jetzt vor. Demnach wurden im Zeitraum 2014/2016 bundesweit 165 Spielhallen geschlossen und über 250 Konzessionen weniger erteilt. In Unna sind an zehn Standorten 190 Geldspielgeräte aufgestellt, jedes zehnte in einer Wirtschaft. Für Deutschland folgt
daraus ein Abbau an Geldspielgeräten in Spielhallen um über 3800 auf immer noch 153.174 Automaten. Als Grund nennt der Arbeitskreis das Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungs-Staatsvertrages. Er regelt Mindestabstände zu Schulen und Jugendeinrichtungen sowie die Neukonzessionierung von Spielhallenstandorten. Was an Angeboten in Spielhallen verschwindet, taucht neuerdings aber in der Gastronomie wieder auf. Die Krise im Gaststättengewerbe ließ die Zahl der Geräte schmelzen, seit 2008 ist hier aber wieder ein Anstieg zu verzeichnen.

Spiel-Bistros

Obwohl rund 7000 Kneipen schließen mussten stieg die Aufstellung von Geräten um über 6500 auf aktuell fast 54 Tsd. Geräte an (plus 14,2%). Spielcafés und sog. Sport-Bistros zielen auf die Klientel ab. Die Kasseninhalte der Geräte steigt stetig, von 2011 bis 2014 um 54% auf über 1.200 Euro in der Gastronomie, während Spielhallen mit etwa 2.400 Euro konstant blieben. Erschreckend die Zahlen für die Stadt Unna. Hier stieg der Kasseninhalt der Geräte in der Gastronomie um über 70Tsd. Euro (2016: über 252Tsd. Euro), während der in Spielhallen um über 110Tsd. Euro (2016: 5,04 Mio. Euro) abnahm. Die Einnahmen durch Glücksspiele werden oft flankiert durch illegale Sportwetten und sog. Fungames. Der neue Trend führt die Bemühungen, suchtgefährdete Spieler abzuhalten ad absurdum, ist der Arbeitskreis überzeugt. Problematische Spieler wechselten einfach von der Spielhalle in die Gastronomie, für rund 50 Tsd. Glücksspielsüchtige in NRW ein Schlupfloch. Jürgen Trümper, Geschäftsführer des Arbeitskreis gegen Spielsucht, sieht nur einen Weg: „Das gänzliche Verbot von niedrigschwelligen Geldspielgeräten in der Gastronomie.“ Die bisher geltende Reduzierung von drei auf zwei Geräte sei nur ein erster, richtiger Schritt.
In der Beratungsstelle des Arbeitskreis gegen Spielsucht wurden im vergangenen Jahr 144 Spieler beraten und 62 Angehörige von Spielern. Die Klientel kommt aus dem Bereich der Glücksspiele, Spielbanken und vor allem der Sportwetten. Hier sind die höchsten Zuwachsraten zu verzeichnen. "Jung, dynamisch, selbst Sport treibend im Alter zwischen 18 und Mitte 20 Jahren", weiß Frances Trümper von der Fachberatungsstelle Pathologisches Glücksspiel und Medienabhängigkeit. Unter den Spielern befinden sich auch solche, die nach einmaligem Besuch keine weitere Beratung wünschen. Frances Trümper. "Manchmal ist die Veränderungsmotivation noch nicht groß genug." Wer ein Suchtproblem hat kommt meist zurück und suche längerfistige Unterstützung. In der Motivationsgruppe werden Wege zum spielfreien Leben aufgezeigt und auch erlernt mit Angehörigen umzugehen. Nach rund sechs Wochen findet ein Planungsgespräch statt, in dem der Ablauf einer Therapie erörtert wird. Oft geht es dann um ambulante oder stationäre Therapien. Eine ambulante Stelle bietet sogar die Möglichkeit, während des Lebensalltags eine Therapie zu machen. Drei Gesprächsgruppen und Einzelgespräche finden statt.
Die Angebote für Betroffene sind auch im Umland größer geworden. "Insgesamt ist die Zahl der Betroffenen gestiegen, verteilt sich aber auf die umliegenden Stellen", so Frances Trümper. Die Rückfallquote ist abhängig von der eigenen Suchteinsicht und Sensibilität. Wer nach der Therapie deutlich achtsamer mit sich umgehe sei weniger rückfallgefährdet.

Info:

Den Reiz des Glücksspiels hat mindestens jeder zweite Jugendlich schon erlebt. Der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag beschränkt Lage und Ausbreitung von Spielhallen, trotzdem weist die Statistik für NRW etwa 50Tsd. Glücksspielsüchtige aus. Auch im Kreis Unna verlagert sich das Glücksspiel von der Spielhalle in Gastronomiebetriebe neuen Formats. Indikator sind die Kasseninhalte der dortigen Geräte: Bergkamen plus 40% (2016: rd. 816Tsd. Euro), Unna plus 45%, Holzwickede plus 140%. Viele aktuelle Geldspiele erscheinen verdeckt, etwa Sportwetten. Jürgen Trümper, Leiter des Arbeitskreis Gegen Spielesucht Unna: „Viele Menschen glauben, es ist kein Glücksspiel. Der Übergang verschwimmt zunehmend.“ Mit niederschwelligen Beratungsangeboten, die bereits in Schulen und Berufskollegs ansetzen, steuert der Arbeitskreis dem Trend entgegen und fordert die Politik auf, den Kommunen mehr Instrumente etwa zur Begrenzung der Standorte und Konzessionierungen an die Hand zu geben.
Erste Informationen erhalten von Glücksspielsucht Betroffene oder Angehörige unter der kostenlosen Info-Telefonnummer 0800 077661.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.