Staatsanwaltschaft Hagen: Vom Jobcenter Märkischer Kreis gegen Erwerbslosenaktivisten instrumentalisiert?

Wie das Nachrichtenportal DerWesten am 11.03.2012 berichtet hatte, wurde das Strafverfahren gegen den Iserlohner Erwerbslosenaktivisten Ulrich Wockelmann vorläufig eingestellt unter der Bedingung, bis zum 22.08.2012 einen Geldbetrag von 500 Euro an die Staatskasse zu leisten.

Nach den beiden spannenden Verhandlungstagen vor dem Amtsgericht Iserlohn ein überraschend plötzliches Ende für ein Verfahren, welches für die zahlreichen Prozessbeobachter weiterhin mehr neue Fragen aufwirft, als es beantwortet hat.
http://www.derwesten.de/staedte/iserlohn/wockelmann-bleibt-ohne-verurteilung-id6447729.html

Vielfach wurde von den ca. 40 Prozessbeobachtern und einer wachsenden Internetgemeinde über mögliches Behördenversagen spekuliert, und dass die Staatsanwaltschaft das zu erwartende größere Medieninteresse bei der Verhandlung vor dem Landgericht Hagen habe vermeiden wollen. Dementsprechend groß bleibt das bundesweite Interesse an einer immer noch ausstehenden Sachverhaltsaufklärung durch den Geschäftsführer des Jobcenters Märkischer Kreis, Volker Riecke, nachdem sich an den Verhandlungstagen gezeigt hatte, dass sämtliche zuvor als Zeugen geladenen Mitarbeiter des Jobcenters vor Gericht dieselbe „Erinnerungslücke“ zeigten. Allein der Leiter der Widerspruchs- und Klagestelle, René Kipp, vermochte sich vor Gericht zumindest daran zu erinnern, dass die von Wockelmann erhobenen Vorwürfe, das Jobcenter habe von einer Leistungsberechtigten die Summe von 198,98 Euro zu Unrecht zurückgefordert und dann einbehalten, in der Sache zutreffend gewesen waren.

Vorwerfbar blieb demnach höchstens noch, dass Wockelmann – so wie Richter Uetermeier dies bereits in seinem Einstellungsbeschluss vom 10.03.2011 ausgeführt hatte – „keine unwahren Tatsachen vorgetragen“, sondern „allenfalls rechtlich unzutreffende Bewertungen vorgenommen“ habe, so dass seiner Wortwahl lediglich eine „plakative Bedeutung“ zugekommen sei. Was aber genau ist hieran strafbar?

Zu Recht drängen sich daher zahlreiche Fragen an die beteiligten Behörden geradezu auf: Was veranlasste die Geschäftsführung des Jobcenters Märkischer Kreis dazu – nach diesem doch eindeutigen Einstellungsbeschluss vom 10.03.2011 –, nochmals eine Wiederbelebung des Prozesses anzustreben? Was motivierte die Geschäftsführung des Jobcenters Märkischer Kreis dazu, die erledigte Angelegenheit erneut in der Öffentlichkeit verhandeln zu lassen? Ging es möglicherweise nur darum, wie Wockelmanns Strafverteidiger Lars Schulte-Bräucker es jetzt nochmals unterstrich, an dem Erwerbslosenaktivisten „ein Exempel zu statuieren“? Geschah dies möglicherweise auch, wie die Wortwahl des Jobcenters in seiner Strafanzeige gegen den Erwerbslosenaktivisten vermuten lassen kann, aus persönlicher Verärgerung über Wockelmanns Öffentlichkeitsarbeit in der damaligen Iserlohner Montagsdemo und über seinen Internetauftritt www.beispielklagen.de ?

Und an die Adresse der Staatsanwalt Hagen gerichtet: Warum drängte Staatsanwalt Klaus Knierim auf eine Geldstrafe von zunächst 2.000 und zuletzt immerhin noch 500 Euro, wenn doch schon die allgemeine Lebenserfahrung zeigt, dass selbst heftigste, in der Öffentlichkeit ausgetragene verbale Schlagabtäusche – wie beispielsweise am jährlich wiederkehrenden „politischen Aschermittwoch“ – stets ohne strafrechtliche Folgen bleiben? Wurde hier möglicherweise die Staatsanwaltschaft Hagen nicht etwa wie behauptet von dem Erwerbslosenaktivisten, sondern vielmehr vom Jobcenter Märkischer Kreis instrumentalisiert? Und warum ging die Staatsanwaltschaft den eigentlichen (und insgesamt doch zutreffenden) Sachvorwürfen gegen das Jobcenter Märkischer Kreis allem Anschein nach nicht auf den Grund? Und warum bestand die Staatsanwaltschaft bis zuletzt auf einer Geldstrafe von 500 Euro und ließ noch nicht einmal die ersatzweise Ableistung von Sozialstunden zu, obwohl der Beschuldigte doch nach Aktenlage im Kern der Sache recht hatte?

Zahlreiche Prozessbeobachter zeigen sich daher nach wie vor enttäuscht, dass das Landgericht Hagen – gegen den Widerstand von Staatsanwalt Klaus Knierim – auf Einstellung des Verfahrens gedrängt hatte. Sie hatten gehofft, den Geschäftsführer des Jobcenters Märkischer Kreis, Volker Riecke, vor dem Landgericht im Zeugenstand zu den zahlreichen offen gebliebenen Fragen zu hören.

Wie aber sind die geschilderten Zusammenhänge insgesamt zu erklären? Diese Fragen können letztlich nur die beteiligten Behörden selbst aufklären. Trotz eindeutigem presserechtlichen Informationsanspruch nach dem Landespressegesetz Nordrhein-Westfalen wurden alle Presseanfragen zum Sachverhalt und zu möglichem Ermittlungs- und Behördenversagen von den zuständigen Pressesprechern bisher so gut wie nicht beantwortet.

Aus bisherigen Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft Hagen:

„Eine Beantwortung Ihrer Anfrage zu den Ziffern 1 und 2 ist mir nicht möglich, da die Akten z.Zt. dem Amtsgericht Iserlohn vorliegen. Im Übrigen steht § 7 Abs. 5 der Richtlinien für die Zusammenarbeit mit den Medien (vgl. auch Nr. 23 Abs. 2 RiStBV) einer Stellungnahme zu Ziffer 1 Ihrer Anfrage entgegen. Mit einem zumutbaren Zeitaufwand kann Frage 3 nicht beantwortet werden, da eine entsprechende automatisierte Abfragemöglichkeit für die von Ihnen angesprochenen Kriterien nicht zur Verfügung steht. Auf die Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 4 PresseG darf ich hinweisen.“

„Durch den Pressesprecher werden grundsätzlich weder Entscheidungen von Kollegen, noch gar solche des Gerichts kommentiert. Es ist mir daher leider nicht möglich, auf Ihre E-Mail vom 19.03.2012 näher einzugehen.“

Das Jobcenter Märkischer Kreis verweigerte gar auf Anfrage die Beantwortung weiterer Fragen, die sich auf die konkreten Aussagen seiner Mitarbeiter an den öffentlichen Verhandlungstagen im Zeugenstand bezogen. Ungeklärt bleibt daher beispielsweise, warum der stellvertretende Geschäftsführer des Jobcenters, Reinhold Quenkert, in seiner Zeugenaussage vor dem Amtsgericht Iserlohn nicht hatte definieren können, was er denn nun genau unter der „sozialadäquaten Toleranzschwelle“ verstanden wissen wolle, mit deren angeblichem „Überschreiten“ er die Jobcenter-Strafanzeige begründet hatte, obwohl er doch genau hierzu vor Gericht hatte Stellung nehmen sollen. Ungeklärt bleibt auch bis heute, ob das Jobcenter Märkischer Kreis den Geldbetrag von 198,98 Euro nun an die Leistungsberechtigte ausgekehrt hat.

Damit lässt das Verhalten des Jobcenters kaum eine andere Interpretation zu als die, dass die Behörde trotz eingestanden rechtswidriger Bescheide der Leistungsberechtigten die ihr zustehenden Leistungen bislang hartnäckig und systematisch versagt hat – und dies auch in Zukunft so beibehalten will. Man möchte die als Behörde zu Unrecht eingeforderten Leistungen in Höhe von 198,98 Euro einfach einbehalten, ohne über rechtswidriges Handeln Rechenschaft ablegen zu müssen.

Hierdurch untergräbt das Jobcenter Märkischer Kreis aber letztlich seine eigene Glaubwürdigkeit, zumal die Behörde in ihrer eigenen Fachöffentlichkeitsarbeit von sich selbst das Bild zeichnet, „vielen Menschen, die finanziell nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, eine kleine Freude bereiten“ zu wollen (vgl. Pressespiegel 2011 der Caritas Iserlohn, „Jobcenter spendet Freude zu Weihnachten“, Stadtspiegel Iserlohn vom 11.12.2011). Hierauf könnte entgegnet werden: Manche Leistungsberechtigte wären schon froh, wenn sie einfach nur rechtskonform die ihnen zustehenden Leistungen unverkürzt ausgezahlt bekämen.
http://www.caritas-iserlohn.de/caritas_iserlohn/pressespiegel/pressespiegel-2011/
http://www.lokalkompass.de/iserlohn/politik/kommentar-zum-artikel-jobcenter-spendet-freude-zu-weihnachten-d117275.html

Insgesamt lassen die äußerst knappen Reaktionen der beteiligten Behörden durchaus einen möglichen Schluss zu: Die Behörden werten ihr Handeln in der Strafsache Wockelmann im Nachhinein nicht wirklich als Erfolg. Man möchte sich den Vertretern der Presse hierfür auch nicht rechtfertigen. Man möchte zur Tagesordnung übergehen.

Dem steht jedoch entgegen, dass die beteiligten Behörden nach dem Landespressegesetz NRW grundsätzlich verpflichtet sind, „den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen.“ „Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe insbesondere dadurch, dass sie Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt“, heißt es weiter im Landespressegesetz. Durch die einschlägige Rechtsprechung im Presserecht ist dies dahingehend konkretisiert worden, dass diesem Anliegen „die Pflicht der staatlichen Behörden“ entspricht, „der Presse Auskunft zu erteilen und durch eine großzügige Informationspolitik eine genaue und gründliche Berichterstattung zu ermöglichen“. Die einschlägige Oberverwaltungsgerichts-Rechtsprechung spricht hier sogar von der „prinzipiellen Informationsfreundlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung“, die einzuhalten und zu gewährleisten ist.

Durch „eine großzügige Informationspolitik eine genaue und gründliche Berichterstattung zu ermöglichen“, dieser grundlegenden Behördenpflicht sind die beteiligten Behörden aber im vorliegenden Fall aus journalistischer Sicht nicht nachgekommen. Mehr denn je sind Journalisten daher gefordert, sich nicht auf das Abtippen vorgefertigter Presseerklärungen zu beschränken, sondern hartnäckig und kritisch nachzufragen, ob die offiziellen Erklärungen den Tatsachen entsprechen.

Autor:

Jörg Michael aus Iserlohn

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