Warum werden die Ein-Euro-Jobs wirklich gestrichen?

Nach aktuellen Medienberichten werden deutschlandweit die Ein-Euro-Jobs drastisch zurückgefahren. Sozialverbände, Kirchen und Kommunen beklagen den Verlust von Arbeitskräften zum „Null-Tarif“. Die Jobcenter sind in Erklärungszwang.

Hintergrund der politischen Neuausrichtung ist der flächendeckende Missbrauch von Steuermitteln durch die Träger und der zumeist rechtsmissbräuchliche Einsatz von Erwerbslosen. Jahrelang ignorierte die Bundesagentur für Arbeit die Kritik des Bundesrechnungshofes und der Innenrevision. Diese hatten immer wieder gemahnt, dass der falsche Einsatz der Ein-Euro-Jobber versicherungspflichtige Arbeit vernichte. Pflichtaufgaben der Träger und sogar versicherungspflichtige Tätigkeiten wurden auf Ein-Euro-Jobber abgewälzt und der Wettbewerb vor Ort verzerrt. Für die Integrationsverbesserung der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt erwiesen sie die Ein-Euro-Jobs nach Aussage des Bundesrechnungshofes eher als unnütz bis hinderlich.

In der Berichterstattung des Iserlohner Kreisanzeigers vom 24.02.2012 (Hemer) heißt es in dem Artikel „Sozialkaufhaus und Werkstatt schließen“:
http://www.derwesten.de/staedte/hemer/sozialkaufhaus-und-werkstatt-schliessen-id6397141.html

„Das Sozialkaufhaus schließt, die Holzwerkstatt stellt ihre Arbeit ein, die Stadtbildpflege wird radikal reduziert: Der Wegfall der Ein-Euro-Jobber wird die Hemeraner sicht- und spürbar treffen.
Durch die Reform der Arbeitsmarktpolitik werden die durch das Jobcenter MK vermittelten Arbeitsgelegenheiten (AGH) radikal reduziert. „Sie sind politisch ungewollt", sagt Sozialamtsleiter Klaus Erdmann. Für Hemer bedeutet das, dass die gesamte Abteilung Beschäftigungsförderung Ende März geschlossen wird.
Bislang gibt es 68 Ein-Euro-Jobs vornehmlich im Sozialkaufhaus, in der Möbelaufbereitung und im Team Stadtbild- und Grünpflege. Ab 1. April werden es nur noch 12 bis 15 Jobs sein, die nach den Kriterien zusätzlich, gemeinnützig und wettbewerbsneutral sein müssen.
[…]
Ohne Fördermittel will die Stadt das Sozialkaufhaus für Empfänger von Hartz IV komplett schließen. Auch die Caritas möchte es im Rahmen von „carichic“ nicht fortführen.“

Beinahe ungewollt weist der Verfasser in die richtige Richtung: es sind weniger die Erwerbslosen, die die Profiteure der Arbeitsgelegenheiten sind, sondern die Träger. Verantwortlich für die Stadtbildpflege ist die Kommune, die ausreichend Mitarbeiter vorhalten muss, um ihre regulären Pflichtaufgaben zu erfüllen. Wohlgemerkt, normale Arbeiter mit angemessenem Lohn.

Die gesetzlichen Kriterien der Arbeitsgelegenheiten „zusätzlich“, gemeinnützig“ und „wettbewerbsneutral“ sind übrigens keine neuere Präzisierung des Gesetzgebers, sondern galten bereits seit Einführung der Ein-Euro-Jobs. Allerdings fehlte die freiwillige Selbstkontrolle.

Was in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt ist, ist die Tatsache, zum Einen, dass die Ein-Euro-Jobber in der Arbeitslosenstatistik nicht mitgezählt werden und zum Anderen, dass die Träger neben den kostenlosen „Zwangsarbeitern“ auch noch zusätzliche Fördergelder einsteckten. Eine angemessene Gegenleistung im Sinne von Wertschöpfung für die Erwerbslosen wurde meist nicht erbracht.

Damit nicht genug, im Gegenzug wurden kritische Stimmen als Arbeitsverweigerer regelmäßig sanktioniert.
In einem solchen Sanktionsbescheid vom 02.10.2010 heißt es in der Begründung des Jobcenter Märkischer Kreis:

"Zur Begründung bzw. Erklärung des Verhaltens wurde von Ihnen dargelegt, dass durch die Arbeitsgelegenheit eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle wegrationalisiert werde. Diese Gründe konnten jedoch bei der Abwägung der persönlichen Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit nicht als wichtig im Sinne des § 31 Absatz I Satz 2 SGB anerkannt werden."

Mit dieser Begründung wurde ein „Bußgeld“ von 107,70 € für drei Monate verhängt. Das entspricht 30% des angeblich soziokulturellen Existenzminimums.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zu „Rechtswidrigen Ein-Euro-Jobs“ vom 18.01.2012 geht hervor, dass im Jahr 2010 rund 829 000 Sanktionen gegen Erwerbslose verhängt wurden. 137 000 Sanktionen wurden mit der Verweigerung begründet, die Erwerbslosen hätten die Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme abgelehnt. Davon wiederum waren Ein-Euro-Jobs Auslöser für insgesamt 30 000 Sanktionen.

Die Frage 11, in wie vielen Fällen die Sanktionen nach Widerspruch- und Klageverfahren zurückgenommen werden, blieb in Ermangelung von statistischem Material unbeantwortet.

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/083/1708374.pdf

Auch wie viele der Sanktionen auf rechtswidrigen Arbeitsgelegenheiten aufgebaut sind, ist nicht einfach nachweisbar. Als sicher gelten darf allerdings, dass die einschlägig betroffenen Ein-Euro-Jobber keinerlei Beratung oder Hilfe durch die Jobcenter erwarten können. Das zumindest ist der Antwort 32 der Bundesregierung eindeutig zu entnehmen.
Anstelle einer Hilfegarantie heißt es in der Antwort nur:

„Nach der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland kann der Einzelne seine Rechte selbst durch die zuständigen Gerichte feststellen und durchsetzen.“

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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