Inge Hannemann in Wuppertal

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Am 16.10.2013 referierte Inge Hannemann in die Alten Feuerwache zum Thema “Gewollte Armut? Die Sanktionspraxis des Hartz IV-Systems”. Eingeladen hatte des Kreisverbandes Wuppertal der Partei DIE LINKE. Zu der Veranstaltung hatten sich etwa 55 Personen eingefunden, Betroffene, Interessierte, Vertreter aus verschiedenen Erwerbslosenverbänden und erfreulicherweise auch einige Mitarbeiter aus Jobcentern.

Sanktionen

In der Einleitung bestätigte Frau Hannemann die Vermutung vieler, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern geradezu angetrieben würden, Erwerbslose regelmäßig zu sanktionieren. Begründet würde dies stets mit den Zielvorgaben der Einsparung. Sie befand, dass die Sanktionen des SGB II die Erwerbslosen erpressbar machten und die 100%-Sanktionen besonders junge Erwerbslose in Not und Verzweiflung stürzten. Anstelle konstruktiver Hilfen, würden so Hilfebedürftige übermäßig beschwert. Den Leistungseinstellungen folgten Energiesperren, Mietschulden, Obdachlosigkeit und nicht selten Beschaffungskriminalität.

Das „System der Angst“

Das „System der Angst“ wirkt aber nicht nur direkt bei den Erwerbslosen, sondern auch bei vielen „Noch-Erwerbstätigen“ und abhängig-befristeten Jobcenter-Mitarbeitern. Dabei wies sie auf die Insolvenzen bei Praktiker und Max Bahr, aber auch die Entwicklung bei Opel hin

In einem weiteren Punkt kritisierte Frau Hannemann die häufig Rechtsgrundlose Zurückweisung von Antragstellern. Immer wieder erhalte sie Rückmeldungen, dass die Annahme von Anträgen ohne tatsächliche Prüfung der Anspruchsgrundlagen verweigert wurden und die Unwissenden ohne Hilfe gestellt würden.

Alles nur, um „Zielvereinbarungen“ über das Elend von Hilfebedürftigen zu erfüllen und Erfolgsprämien für die Geschäftsführer sicher zu stellen?

Zeitarbeit

Dann wandte sich Frau Hannemann dem Thema der Zeitarbeit zu. Sie zeigte auf, auf welche Weise die Zeitarbeitsbranche der Statistikfälschung der Bundesagentur für Arbeit zuarbeiten. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse eigneten sich wunderbar die gleichen Erwerbslosen binnen weniger Monate gleich mehrfach als „Vermittlungserfolg“ zu präsentieren. Im Gegenzug profitierten die Firmen von den Niedriglöhnern, von immensen Einsparungen durch minimale Sozialabgaben und durch staatliche zusätzliche Eingliederungszuschüsse von 20-50 % subventioniert die Regierung den Niedriglohn. An die Stelle der Förderung der Erwerbslosen ist die planmäßige Begünstigung der „Sklaventreiber“ getreten.

Die Erwerbslosen werden nachhaltig geschädigt. Der Niedriglohn macht jede Familienplanung zunichte und legt die Grundlagen für unabwendbare Altersarmut. Rückerstattungen aus Einkommenssteuererklärungen fordert das Jobcenter als Einkommen wieder ein. Zeitarbeit und Sanktionsdrohungen gehen ebenfalls zusammen. Die Existenzbedrohung schwebt täglich als Damoklesschwert über den Lohnsklaven.

Zusätzliche Verelendung für langjährig Beschäftigte wird über den Versuch vorzeitiger Zwangsverrentung ausgeübt, da diese stets mit hohen finanziellen Einbußen einhergehe.

Sorge um Erwerbslose und Kollegen

Aber Frau Hannemann ist nicht die bösartige Systemkritikerin, die die BA ihr gerne andichten möchte. Bei aller sachlichen Kritik verlor sie kein böses Wort über ihre Kollegen. Statt dessen ergriff sie immer wieder das Wort für sie. Die überproportionale Fluktuation bei den Jobcentermitarbeitern und die unverhältnismäßig hohen und langfristigen Krankenstände seien dem enormen internen Leistungsdruck geschuldet. Psychische Erkrankungen der Mitarbeiter würden im rücksichtslosen Ranking der Jobcenter in Kauf genommen.

nur schlecht ausgebildet

Für viele überraschend schienen die Hinweise auf die erheblichen Schulungsdefizite der Jobcenter-Mitarbeiter zu sein. Frau Hannemann reflektierte, dass die Basisschulungen zwar thematisieren würden, wie man richtig sanktioniert und die Erwerbslosen zu Eingliederungsvereinbarungen drängt; qualitativ hochwertige Schulung im SGB II B. den Beratungspflichten des SGB I dürfe regelmäßig nicht erwartet werden. Als besonders erschreckend war zu hören, dass die Rechtsentwicklung der Sozialgerichte und des Bundessozialgerichts vielerorts nicht an die Basis weitergegeben würde, so dass die Beratung im Ergebnis nur veraltet und falsch sein könne. In einigen Jobcentern sollen die Mitarbeiter direkt aufgefordert worden sein, die Entscheidungen der Sozialgerichte in der Alltagsarbeit zu ignorieren.

Die Regelsätze sind zu gering bemessen

Frau Hannemann schließt sich auch der unqualifizierten Neiddiskusion in den Medien nicht an: nicht nur, dass der Regelsatz nach ihrer Meinung eindeutig unzureichend ist, die Regelsatzdiskussion belegt gerade, dass auch etliche Löhne zu niedrig sind. Als konkretes Beispiel griff sie nur die Entwicklung der Strompreis heraus. Diese findet keine echte Anpassung in den neuen Regelsätzen.

Niemand geht allein zum Amt

Besonderen Nachdruck legte die Referentin auch auf die Möglichkeit Beistände mit zum Amt zu nehmen. Dieses Thema fand besondere Zustimmung bei den Zuhörern. Wer mit einem Zeugen zum Amt geht, mit Stift und Papier bewaffnet Gesprächsnotizen macht und ohne Rückfragen bei Anwalt oder Beratungsstelle nichts sofort unterschreibt, schützt sich selbst bestmöglich.

Eingliederungsvereinbarungen sollten nie unterschrieben werden

Wer leichtfertig eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) unterschreibt, bindet sich durch einen wirksamen Vertrag. Frau Hannemann machte darauf aufmerksam, dass die meisten EGVs bereits aus dem Grund rechtswidrig seien, weil keine Ausgewogenheit in den Rechten und Pflichten erkennbar seien. Wer aber braucht einen Vertrag, der nur unnötiges Risiko darstellt, aber keinerlei Nutzen bietet?

Die Verleumdungskampagne der BA

In der anschließenden Diskussion wurden noch weitere Fragen zu verschiedenen Themen vertieft.
So hatte z.B. die Bundesagentur für Arbeit in einer anonymen Pressemitteilung vom 14.06.2013 „Presse Info 035“ verlauten lassen, „Inge Hannemann gefährdet tausende Mitarbeiter der Jobcenter“.

Diese Verleumdung wurde durch keine Fakten erhärtet.

Auf Rückfrage teilte Frau Hannemann unmissverständlich mit, dass sie unter Ihren Kollegen weitaus mehr Unterstützer hätte, als Gegner. Zwar räumte sie ein, dass zwei Jobcentermitarbeiter sie und ihre Familie telefonisch bedroht hätten, aber beide Anrufe konnten ins Jobcenter zurück verfolgt werden und die Mitarbeiter seien ihr nunmehr persönlich bekannt.
Sie äußerte sehr viel Verständnis dafür, dass sich die Mehrzahl der Kollegen nicht öffentlich zu ihr bekennen könnte, weil sie Repressalien befürchten müssten. Die Zahl ihrer anonymen Unterstützer gab sie mit ca. 60 Personen an, einige sogar aus höchsten Führungspositionen.

Eine weitere anwesende Jobcentermitarbeiterin gab sich unter den Zuhörern zu erkennen, und berichtete von Vorwürfen Ihres Vorgesetzen: "Sie sind zu sozial. Sie sanktionieren zu wenig.“ und „Im Sinne der Gerechtigkeit müssen sie genau so viel sanktionieren, wie ihre Kollegen.“
Was für ein Unsinn!

Die Veranstalter schlossen die Versammlung kurz nach 21:00 Uhr ab, das Gehörte wird noch lange nachhallen.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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