Jobcentermitarbeiter beabsichtigt die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes abzulehnen

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Die Inanspruchnahme kompetenter anwaltlicher Hilfe im Umgang mit meist unverständlichen Jobcenter-Bescheiden in der hochkomplexen und sich stets wandelnden Materie des Sozialrechts ist dringend angeraten. Zudem ist es für juristische Laien geradezu unmöglich der Rechtsentwicklung in der Sozialrechtsprechung hinreichend zu folgen.

Dies zeigt sich auch bereits in der politischen Willkür bei der Bemessung der aktuellen Regelsätze. Diese sind nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und der aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgeleiteten Gesetzesänderung im „Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (EGRBEG k.a.Abk.)“ regelmäßig aus der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) abzuleiten.

Im Gesetz heißt es:

§ 28 Ermittlung der Regelbedarfe

(1) Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor, wird die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz neu ermittelt.

(2) Bei der Ermittlung der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen nach § 27a Absatz 2 sind Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Grundlage hierfür sind die durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nachgewiesenen tatsächlichen Verbrauchsausgaben unterer Einkommensgruppen.

Bereits diesen selbst auferlegten Anspruch ignoriert die Regierung durch die Minimal-Anhebung des Regelsatzes zum Jahresbeginn um gerademal 5,00 €. Das Arbeitsministerium unter Federführung von Andrea Nahles verweigert seit Jahresbeginn mehr als 6 Millionen Leistungsberechtigten die Anpassung des Existenzminimums an die Preis- und Kostenentwicklung.
Der paritätische Wohlfahrtsverband hatte anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 in einer eigenen Expertise - Fortschreibung der Regelsätze zum 1. Januar 2016 eine Anhebung um 91,00 € errechnet, 87,00 € mehr als derzeit gezahlt wird.

Da kann es niemanden wundern, wenn Jobcentermitarbeiter sich lieber mit „hilflosen Widersprüchen Betroffener“ auseinandersetzen wollen, als mit sach- und fachkundigen Rechtsanwälten, bei denen selbst teilweise „strategisches Schweigen“ die Chancenverbesserung der Mandanten deutlich erhöht.

Ein Mitarbeiter der Widerspruchstelle Iserlohn brachte kürzlich einen netten Einwand vor. Er schreibt:

„Darüber hinaus beabsichtige ich, vorliegend die Notwendigkeit ihrer Hinzuziehung abzulehnen (§ 63 Abs. 2 SGB X).

Die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte geht übereinstimmend davon aus, dass es bei der Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten darauf ankommt, ob es den Beteiligten (hier: die Widerspruchsführerin) für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden. Abzustellen ist auf die Sicht eines verständigen Beteiligten, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Ist die Vertretung durch einen Bevollmächtigten rechtswidrig oder rechtsmissbräuchlich, ist sie nicht notwendig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Notwendigkeit der Zuziehung ist die förmliche Vollmachtserteilung.

Nach bisherigen Akteninhalt ist der Unterzeichner der Überzeugung, dass die individuellen Fähigkeiten der Widerspruchsführerin ausreichen, um das streitige Widerspruchsverfahren selbst zu führen. Ein strukturelles Ungleichgewicht, das durch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten hätte ausgeglichen werden müssen, ist nicht gegeben. Dabei ist zunächst herauszustellen, dass eine objektive Schwere der Sach- und Rechtslage nicht erkennbar ist und dass in den letzten 3 Verfahren in gleicher Angelegenheit lediglich mit einem Schriftsatz Widerspruch erhoben wurde und trotz Aufforderung eine Begründung nicht erfolgte.

Ich bitte daher um ausführliche Darlegung, inwieweit vorliegend die Hinzuziehung notwendig sein soll.“
Quelle

Die Berufung auf „die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte“ hatte er vorsorglich nicht durch Quellen belegt.

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Richtig ist nämlich, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchgängig anders lautet:

BVerfG 1 BvR 1517/08, 29.04.2008
"Es kann der Beschwerdeführerin nicht zugemutet werden, den Rat derselben Behörde in Anspruch zu nehmen, deren Entscheidung sie angreifen will.“

Bereits die Einlegung von Widersprüchen sollte kompetenten Rechtsanwälten vorbehalten bleiben, z.B. weil diesen das Akteneinsichtsrecht nicht verweigert werden kann, und zum andern durch Akteneinsicht schnell mehr Fehler in den Bescheiden auffällig werden, als es den Behörden lieb ist.

Der Sachbearbeiter der Widerspruchstelle des Jobcenter Märkischer Kreis möchte durch den Anwalt auf Fehler aufmerksam gemacht werden, die er anscheinend selbst nicht erkennt, möchte auf Unterlagen hingewiesen werden, damit er diese nicht selbst in der Akte suchen muss, um dann den Anwalt als überflüssig zurückweisen zu können und die Bezahlung zu verweigern.

Auffällig ist in seiner Argumentation auch, seine Ausführung: „Nach bisherigen Akteninhalt ist der Unterzeichner der Überzeugung, dass die individuellen Fähigkeiten der Widerspruchsführerin ausreichen, um das streitige Widerspruchsverfahren selbst zu führen.“ – Aber es sind gerade nicht die individuellen Fähigkeiten gefragt sondern die spezielle sozialrechtliche Kompetenz.

aufRECHT e.V.
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(Büro dieLinke)
58636 Iserlohn
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Di & Do 14:00-18:00 Uhr
Terminabsprachen erforderlich

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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