Verletzungen des Sozialdatenschutz beim Jobcenter Märkischer Kreis

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Die Erhebung und der Umgang mit Sozialdaten ist ein sehr sensibles Thema. Entgegen der oftmals propagierten Meinung, wer Leistungen des Bundes beantrage, habe entsprechend nichts zu verheimlichen, geht fehl. Jeder Mensch hat ein Recht auf Privatsphäre.

Es ist unabweisbar, dass es für die Ermittlung von Anspruchsvoraussetzungen unverzichtbar ist, etliche – auch z.T. sehr persönliche - Daten zu erheben, allerdings sind seitens der Behörde der Sozialdatenschutz und das Gebot der Datensparsamkeit zu berücksichtigen.

Grundsätzlich gilt im Rahmen der Mitwirkungs- und Informationspflicht, dass alle Daten ausschließlich beim Antragsteller selbst zu erheben sind. Jobcentermitarbeitern ist es ohne Zustimmung der Leistungsberechtigten untersagt, eigenmächtig Kontakt mit Beteiligten Dritten aufzunehmen.

Das Bundessozialgericht hat Richtlinien aufgestellt

Bereits am 25.01.2012 hatte das Bundessozialgericht im Rahmen einer Feststellungsklage unter dem Aktenzeichen: B 14 AS 65/11 R, Jobcentern enge Grenzen aufgezeigt und die Verletzung des Sozialdatenschutzes durch das beklagte Jobcenter festgestellt.

Dabei stellten die Richter klar, dass bereits die unerlaubte Kontaktaufnahme mit einem Vermieter eine Rechtsverletzung darstelle. Es sei nicht erforderlich, dass ein Vermieter Kenntnis über die soziale Bedarfslage des Mieters erhalte.

Im Terminsbericht des BSG vom 25.01.2012 heißt es:
„Im Rahmen ihrer auf die Bewilligung der Mietkaution gerichteten Klage haben die Kläger u.a. die Verletzung ihres Sozialdatenschutzes durch das Schreiben des Beklagten vom 12.2.2008 geltend gemacht. Erst durch dieses Schreiben habe die Vermieterin von ihrem Leistungsbezug erfahren und sie - die Kläger - seien nunmehr dem Hohn und Spott der Familie der ehemaligen Vermieterin ausgesetzt.“

In der Urteilbegründung wird ausgeführt:
„Gemäß § 67a Abs 2 SGB X gilt: „Sozialdaten sind beim Betroffenen zu erheben.“ Die wenigen Ausnahmen werden im Gesetz näher bestimmt. „Schon aus dem Wortlaut der Norm folgt der Vorrang der Datenerhebung beim Betroffenen und eine Datenerhebung bei anderen Personen und Stellen als Ausnahme (vgl "nur" in Satz 2). Hintergrund für die Regelung ist das sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergebende Prinzip, dass der Betroffene "Herr seiner Daten" bleiben soll und entsprechend dem Grundsatz der Transparenz in der Regel keine Datenerhebung und -übermittlung hinter seinem Rücken erfolgen soll“
(Rn 24)

Die Forderung Mietbescheinigungen ist rechtswidrig, weil unnötig

Vor diesem Hintergrund ist es rechtlich bedenklich, dass das Jobcenter Märkischer Kreis von Leistungsberechtigten regelmäßig erwartet, dass diese zusätzlich zum Mietvertrag und den Verträgen und Abrechnungen des Energieversorgers weitere „Mietbescheinigungen“ einfordern, die vom Vermieter auszufüllen und zu unterzeichnen wären.

Die für die Berechnung der Kosten der Unterkunft erforderlichen Daten sind alle in Mietverträgen einzusehen. Die Heizkostenabschläge ergeben sich hinreichend aus dem Versorgungsvertrag und aus den Jahresabrechnungen der Energieversorger.

Trotzdem fordert das Jobcenter Märkischer Kreis bis heute von allen seinen Kunden die Vorlage einer zusätzlichen Mietbescheinigung des jeweiligen Vermieters (s. Muster) und zwingt die Erwerbslosen dadurch sich ihren Vermietern als bedürftig zu offenbaren.

Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit rügt die Vorgehensweise der Jobcenter

„Dem ist nunmehr die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit entgegen getreten und hat insoweit überzeugend ausgeführt:
“Die Mietbescheinigung wird den Betroffenen ausgehändigt und soll vom Vermieter ausgefüllt werden. Eine Forderung der vom Vermieter ausgefüllten Mietbescheinigung im Rahmen der Mitwirkungspflichten nach § 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) wäre nur dann zulässig, wenn Ihnen die Erfüllung der Vorlagepflicht objektiv möglich wäre.
Es besteht jedoch keine gesetzliche Verpflichtung für den Vermieter, die Mietbescheinigung auszufüllen. Damit ist die Erfüllbarkeit der Anforderung der Mietbescheinigung von der Kooperationsbereitschaft des Vermieters abhängen. Sollte der Vermieter des Ausfüllen der Mietbescheinigung verweigern, wird Ihnen die Vorlage beim Jobcenter unmöglich. Aus diesem Grund kann die Vorlage einer vom Vermieter ausgefüllten Mietbescheinigung nicht zu Ihren Mitwirkungspflichten gezählt werden.
Des Weiteren ist mit einer Verpflichtung zur Vorlage der Mietbescheinigung ebenfalls eine Verpflichtung zur Offenlegung des Sozialleistungsbezuges des Betroffenen gegenüber dem Vermieter verbunden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die mit einer Vermieterbescheinigung erhobenen Daten auch auf andere Weise erhoben werden können. Die Preisgabe des Sozialleistungsbezuges ist daher nicht erforderlich. Die Verpflichtung der Betroffenen, zu einer nicht erforderlichen Preisgabe ihres Sozialleistungsbezuges, stellt eine Überschreitung der Grenzen der Mitwirkungspflichten nach § 65 Absatz 1 Nr. 1 SGB I dar.
Bezüglich der Erhebung von Mietbescheinigungen bei der Wohnungssuche gelten die gleichen gesetzlichen Voraussetzungen wie für ein bestehendes Mietverhältnis. Die Mietbescheinigung kann auch hier nur als freiwilliges Angebot angesehen werden.
Die Mietbescheinigung kann demnach lediglich als zusätzliches Angebot zum Nachweis erforderlicher Informationen angesehen werden.”“

kanzlei-hhs.de

Datenschutzverletzungen bei Hausbesuchen

Weitere Datenschutzverletzungen werden des Öfteren auch aus dem Bereich des Ermittlungsdienstes des Jobcenters Märkischer Kreis gemeldet. So ist es bereits nicht erlaubt, sich ohne Termin Zutritt zu einer Wohnung zu verschaffen, indem die betroffenen Personen überrumpelt werden. Erscheint der Ermittlungsdienst ohne Termin, dürfen die Personen fortgeschickt werden, ohne dass das rechtliche Konsequenzen in Form von Leistungsverweigerung oder Sanktionen hat. Schließlich haben Sie das Recht bei Hausbesuchen einen oder mehrere Zeugen einzuladen.
Die Befragung von Nachbarn oder Kindern ist unzulässig. Die Befragung von Nichtleistungsberechtigten innerhalb einer Wohngemeinschaft oder Haushaltsgemeinschaft ist unzulässig. Das gilt auch für die Inaugenscheinnahme der betreffenden Zimmer. Das Öffnen von Schränken (und Kühlschränken) stellt eine weitere Variante von Kompetenzüberschreitungen im Märkischen Kreis dar.

Daten unbeteiligter Dritter – Forderungen ohne Rechtsgrund

Der Anspruch der Sozialbehörde auf Information ist ausschließlich auf die Daten beschränkt, die unmittelbar zur Bedarfsermittlung erforderlich sind.
Aber die Alltagspraxis zeigt, dass das Jobcenter zum Teil Bedarfsgemeinschaften konstruiert, wo nur Wohngemeinschaften existieren. Selbstverständlich haben die Jobcenter kein Recht z.B. Gehaltsabrechnungen einzusehen, von Personen die selbst nicht im Leistungsbezug stehen, nur weil sie mit einem ALG II-Bezieher in einer Wohngemeinschaft leben.

Hilfe, das Jobcenter fordert mehrmals die gleichen Unterlagen

Häufig beschweren sich Personen darüber, dass mehrmals die gleichen bereits eingereichten Unterlagen angefordert werden. Nicht selten ist dies verbunden mit dem Hinweis auf die geschuldete Mitwirkungspflicht und unter der Androhung der vollständigen Leistungsverweigerung.
Die mehrmalige Vorlage gleicher Unterlagen läuft dem Gebot der Datensparsamkeit zuwider. Die Androhung von Leistungsentzug und Verschleppung der Leistungsauszahlung grenzt bereits an die strafrechtlich relevante Nötigung. Zur eigenen Absicherung ist es sinnvoll sich die Abgabe von Unterlagen (nur als Kopie!) schriftlich bestätigen zu lassen. So kann man bei jeder Nachforderung darauf verweisen, dass die Unterlagen in der Akte zu finden sind. Schließlich ist auch die mehrmalig Übermittlung gleicher Dokumente meistens mit weiteren Kosten verbunden.

Aber es werden auch Unterlagen angefordert, die den Betroffenen noch gar nicht vorliegen können, z.B. Gehaltsabrechnungen, Nebenkostenabrechnungen oder auch Jahresabrechnungen der Energieversorger.
Dabei ist die Mitwirkungspflicht grundsätzlich ausschließlich auf die Unterlagen beschränkt, die Ihnen auch tatsächlich vorliegen.

Datenkrake Jobcenter

Bisweilen zeigt sich die unzureichende Schulung einiger Jobcentermitarbeiter bereits in deren unhaltbaren Forderungen nach Dokumenten.
Rückfragen bei der Bundesagentur für Arbeit haben ergeben, dass auch im Märkischen Kreis regelmäßig solche Kopien zur Akte genommen werden, die dort gar nicht hinein gehören.
Dazu zählen z.B. Kopien von Personalausweisen und Pässen bei Ausländern. Auch Kopien von Sozialversicherungsausweisen und EC-Karten sind unzulässig, weil nicht erforderlich. In der überwiegenden Zahl kann auch auf Scheidungsurteile verzichtet werden, als einzige Ausnahme gilt hier: Titel aus übergegangenen Unterhaltansprüchen. Ein Mutterpass, Schwerbehindertenausweis oder eine Kopie der Krankenversicherungskarte hat nicht in einer Akte zu suchen.
Kopien der Kontoauszüge und Sparbücher dürfen nicht eingefordert werden. Es genügt die Vorlage der Auszüge und Sparbücher und eine Aktennotiz betreffs der ausgewiesenen Summen. Außerdem hat das Jobcenter keinen Rechtsanspruch auf Kopien von Mietverträgen.

Übersicht: Was Jobcenter kopieren dürfen
(Auszug aus dem "Empfehlungspaket zum Aufbau und Führen einer Leistungsakte im Rechtskreis SGB II", SP II 23 - II-5020, Januar 2012)

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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