Damals in der Bergarbeitersiedlung von Kamp-Lintfort

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Daran erinnere ich mich auch noch.

Heute wird der Adventskranz für 6,50 Euro immer neu beim Discounter gekauft,

damals wurde er selbst mit Tannengrün und viel Geschick vom Vater um einen Stahlring gebunden und mit dünnem Kupferdraht einer alten Motorwicklung getrimmt, bis er schön rund war. Danach wurden 4 rote Kerzen aufgesteckt und dazwischen zwei gleich lange, rote Bänder mit Schleifen am Kranz befestigt. Mutter hat dann mit mir den Kranz mit Adventsschmuck, der jedes Jahr wieder hervorgeholt wurde geschmückt. Anschließend kam er auf den Adventskranzständer, einem adventlich bemalten Holzkreis, in dem in der Mitte ein kräftiger Stab steckte, der oben gekreuzt eingeschnitten war. Dort wurden die Bänder an ihrem Treffpunkt eingehängt, ausgerichtet und das Ganze kam dann in die Mitte des runden Wohnzimmertisches; denn schon bald war der 1. Advent.

Doch vorher, im Herbst, gab es noch die Zeit der Blätterschlachten.

Autos fuhren kaum. Der Wind hatte die welken Blätter der riesigen Linden in unserer Siedlung zu Verwehungen aufgeschichtet. Damals gab es noch viele Grobschotterstraßen und die Bürgersteige waren mit schweren, gekehlten Rinnsteinen abgetrennt. Ein Sickerschacht für Regenwasser befand sich an jeder Straßenecke.
Dort hatte der Wind überall große Blätterhaufen angelegt und wir Kinder stoben dadurch, warfen die Bätter hoch in die Luft, in den Wind, über uns oder machten Blätterschlachten miteinander, bewarfen uns damit! Das war toll!
Wenn das Laub sehr trocken war, bauten wir uns Räucherbüchsen aus gelöcherten Konservendosen und einem doppelten Schleuderdraht oben dran. Die Büchsen wurden dann mit trockenem Laub gestopft und mit von zu Hause geklauten Streichhölzern angezündet. Durch Schleudern verglomm das Laub und man konnte so wunderbare Qualmringe in die Luft zaubern, die im Wind wieder verwehten. So zogen wir durch die Straßen, Feuerungsmaterial lag ja überall herum. Mann, was machte das Spaß!

Damals gab es auch noch den Hausverkauf in der Siedlung.

Wenn Vater müde vom Pütt nach Hause kam, weil Futtsack im Revier war und er eine Überschicht kloppen musste, hieß es dann schon mal: "Elmar, hier sind 50 Pfennig. Flitz mal rüber zu Horn und hol dem Papa 'ne Flasche Bier!“
Der kleine Elmar flitzte, klingelte an der Haustür bei Horn und kam mit einer vollen Plop-Flasche Bier von Diebels zurück.
Mit Frau Horn, für meine damaligen Begriffe eine alte, kräftige und freundliche Frau, wickelte ich meist meinen Einkauf ab. Während ich im Flur artig wartete, wuchtete sie sich beschwerlich die Betonstufen in den Keller runter und kam mit einer Flasche Bier zurück.
Um es kurz zu machen, nach einiger Zeit nahm sie mich mit in den Keller, zeigte mir wo die Getränke standen und von da an gab ich im Flur das Geld ab, fitschte selbst flink in den Keller und holte das Bier. "Zieh’ die Haustür aber hinter Dir zu, wenn Du gehst“, meinte sie noch anfangs. "Mach ich!“
Und dann kam Weihnachten. Sie öffnete die Tür, ich bezahlte wie immer und sie sagte: "Elmar, weil morgen Weihnachten ist und Du immer selbst die Getränke aus dem Keller holst, darfst Du Dir heute eine Flasche Bluna mitnehmen!“
Bluna! Ich wusste was Bluna ist, hatte aber noch nie so etwas getrunken.
Zu Hause gab es Muckefuck, Kakao oder Milch, Himbeersirup, den wir mit Wasser aufrührten und ab und zu eigenfinanzierte Fridolin-Brause von der Trinkhalle! Aber keine Bluna! Bluna!
Ich war so überrascht und glücklich und weiß gar nicht mehr, ob ich mich richtig bedankt und schöne Weihnachten gewünscht habe. Aber ich weiß noch, dass ich die Bluna gehütet habe wie meinen Augapfel und sie für 3 Weihnachtstage eingeteilt und Schluck für Schluck ausgetrunken habe!

Autor:

Elmar Begerau aus Kamp-Lintfort

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