"Der Krieg hat ein unmenschliches Gesicht"

Ursula Meissner, Kriegsfotografin, und Bildhauer Max Knippert zeigen in der Blackbox gegenüber dem Stein-Gymnasium Szenen des Krieges.
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  • Ursula Meissner, Kriegsfotografin, und Bildhauer Max Knippert zeigen in der Blackbox gegenüber dem Stein-Gymnasium Szenen des Krieges.
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Kleve. Er sitzt in einem Wohnzimmer in Kleve. Erst vor wenigen Stunden ist der Mann mit Frau und Tochter aus London in Kleve angekommen. Jetzt liegt ein Buch auf seinem Schoß. Er blättert, betrachtet die Bilder, fragt, ob es das Buch auch in englischer Sprache gebe. Blättert weiter, hält inne. „Ja, das ist es, mein schönes Afghanistan.“

Er blickt aus dem großen Wohnzimmerfenster in die flache niederrheinische Landschaft, vor Augen wohl eher seine Heimat, erzählt in knappen Worten von Flucht und Neuanfang. Davon, dass der Krieg die Familie über die ganze Welt verstreut hat.
Jetzt trifft sich ein Teil der Angehörigen in Kleve, um den kranken Bruder zu unterstützen. Das Buch der Fotografin Ursula Meissner hält jeder einmal in Händen, man spricht Farsi oder Paschtun, dann englisch, erklärt, wo die Erinnerung gestrandet ist.

Fenster zur Vergangenheit

„Afghanistan - Rosen, Mohn, 30 Jahre Krieg“ - heißt das Buch von Ursula Meissner, das an diesem Abend in einem Klever Wohnzimmer die Menschen berührt. Es wird zum Fenster in eine Vergangenheit, die für Außenstehende nur schwer verständlich ist. Und doch wird greifbar, was es heißt, die Heimat verlassen zu müssen. Zu flüchten. Nach Pakistan, dann in den Iran, erst dann in westliche Länder, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Der Großteil der Familie flüchtete Ende de 1980er Jahre, damals, als die Russen Krieg gegen Afghanistan führten. „Heimat ist eben Heimat“, sagt der ältere Herr, der das Buch wie einen Schatz in Händen hält.

Den Krieg mit der Kamera festgehalten

Ursula Meissner hat genau das mit ihrer Kamera festgehalten, was die Menschen in diesem Wohnzimmer erlebt haben. Krieg, die Zerstörung ihrer Heimat, ihrer Häuser, der Existenz. „Der Krieg hat ein unmenschliches Gesicht. Unmenschlich vor allem für Frauen und Kinder“, sagt die Fotografin, die dem Zauber dieses Landes, der Faszination Afghanistans erlegen ist. Sie kennt jene Welt, die abends durch Wohnzimmer flimmert aus einer ungefilterten Perspektive.

Ja, ich habe Angst

„Ja, ich habe Angst, aber das hat mich wahrscheinlich überleben lassen“, sagt die Fotografin. Sie hat nicht nur viele Bilder, sondern auch die dahinter stehenden Geschichten mitgebracht. Sie erzählt von den Gesichtern des Krieges, von der Lehrerin, die betteln musste, um ihre Kinder am Leben zu halten, zeigt auf das Bild eines kleinen Jungen. Beerdigung aller Angehörigen, dann diese deutsche Fotografin, die auf dem Friedhof festhält, was Krieg bedeutet. Tod, Kinder ohne Eltern und ein kleiner Junge, jetzt Familienoberhaupt. „Hätte er ein Gewehr gehabt, hätte er mich erschossen“, erzählt Ursula Meissner. Denn auf dem Foto sind auch Frauen zu sehen. Sie durften nicht fotografiert werden - der kleine Junge scheint hin- und hergerissen zwischen seiner Trauer und der neuen Aufgabe, die Frauen der Familie zu schützen.

"Meine Welt ist durch IS kleiner geworden"

Syrien, Irak, Lybien - die Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt hat Ursula Meissner mit eigenen Augen gesehen. „Meine Welt ist kleiner geworden durch die IS in einigen Ländern, aus denen ich nicht mehr berichten kann“, sagt sie. Krieg bedeute immer, dass Unschuldige zum Opfer würden. „Krieg hat noch nie zum Frieden geführt - außer beim Zweiten Weltkrieg durch den Einsatz der Alliierten.“ Die Opfer seien immer Frauen und Kinder - Menschen, die keine Chance hätten, etwas an der Situation zu ändern. Wenn man sich vorstelle, wozu Menschen im Krieg fähig seien: Mitzulaufen, der Hysterie zu verfallen, die zu großem Gemetzel im ganzen Land führe, was dann mit den Menschen geschehe - das sei Krieg und menschenunwürdig. „Ich glaube, dass da jeder nur noch an sich selbst denkt.“

Noch einmal führt der Blick zurück nach Afghanistan: Der Wunsch nach Frieden, nach Bildung sei groß. „Anfangs setzten die Menschen ihre Hoffnung auf die Journalisten, dachten, wenn ihre Geschichten öffentlich würden, würde sich etwas ändern. Später, als die Menschen begriffen, dass sich nichts änderte, wurden die Journalisten zu Schuldigen. Das ist einfach so in diesem unwürdigen Menschenleben im Krieg.“

Autor:

Annette Henseler aus Kleve

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