Welche Gefahren birgt hochfunktionaler Autismus?

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Mit fällt immer wieder auf, dass das Thema "Diagnose" eine riesengroße Baustelle bei Betroffenen vom Asperger Syndrom ist. Besonders, wenn es sich um ältere Menschen handelt, die viele Jahre lang nichts von ihrem Autismus wussten.

Viele denken, dass das Asperger Syndrom in Zusammenhang mit hochfunktionalem Autismus doch eine wunderbare Variante ist, sich der Welt trotz Autismus‘ anzupassen.
Ist es das wirklich?

Nein, finde ich nicht. Ich halte diese Variante als eine der schwersten, wenn nicht sogar „gefährlichsten“ im Rahmen der Autismus Spektrum Störung, weil sie unsichtbar ist und somit oft von Betroffenen, der Gesellschaft und Ärzten nicht einmal wahrgenommen wird. Na, das ist doch wunderbar, würden jetzt viele sagen. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ Wo liegt das Problem?

Nun, ich als weibliche Betroffene würde es so formulieren:

Mein ganzes Leben fühlt sich wie eine riesige Erschöpfung an. Ich fühlte mich Jahrzehnte lang nicht authentisch und dadurch ständig gestresst, auch wenn eine augenscheinliche Ruhe um mich stattfand und das Leben doch wunderbar lief. Aber nein, es lief nur nach außen wunderbar. Ständig waren meine Gedanken schon wieder bei einer Sache, die ich in Zukunft bewältigen musste oder bei einer Situation, die mich unlängst verunsichert hatte. Ganz zu schweigen von der Angst, dem Leben und der Gesellschaft nicht gerecht zu werden. Ja, meinen Zielen, meinem perfektionistischen Denken, meinen Regeln und meiner Ordnung nicht gerecht zu werden.

Das Leben fällt für mich sehr oft aus dem Rahmen. Die Gesellschaft bringt ständig meine Ordnung und meine Regeln durcheinander. Planungen werden gekippt und ich benötige Stunden oder Tage, um neue Planungen in meinem Kopf zu konstruieren. Das ist sehr energieraubend. Das Abwehrsystem des Körpers ist derzeit ganz mit der Abwehr von Stress und Erschöpfung beschäftigt. Er hat keine Zeit, Krankheiten abzuwehren oder sich gar zu erholen. Er befindet sich im Dauereinsatz mit seinen „Löschkräften“, aber er bekommt den Brand im Gehirn nicht gelöscht. Dieser Dauerzustand führt zu einer immer tieferen Erschöpfung, bis sich erste ernst zunehmende Anzeichen wie Schlaflosigkeit, Depressionen oder bipolare Störungen zeigen. Dazu können auch Zwangsneurosen gehören. Doch was ist mit den körperlichen Erkrankungen, oder den Autoimmunerkrankungen?
Der Körper ist nicht mehr in der Lage, diesen Krankheiten zu trotzen und bricht irgendwann zusammen. Es folgen schwere Erkrankungen und /oder ein Burn-out und der wahre Autismus wird sichtbar!

Autismus lässt sich nicht durch Anpassung heilen! Auch nicht durch bloßes Bemühen, sich anzupassen. Er lässt sich höchstens kaschieren. Die Gefahr dabei ist, dass der betroffene Mensch seine Probleme oft nicht zeigen kann. Im Gegenteil, er bemüht sich immer mehr, nicht aufzufallen. Er nähert sich einer Gefahr, die auch tödlich enden kann!
Immer wieder landen hochfunktionale Asperger-Autisten in Psychiatrien oder nehmen sich schlimmstenfalls das Leben!
Warum?

Sie haben keine Hilfe gefunden, weil sie aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit bei Ärzten abgewiesen wurden. Dabei besteht das größte Problem darin, sich nicht angemessen mitteilen zu können. Ich z.B. habe gelernt, mich anders zu geben, als ich wirklich bin. Das Verhalten hat sich derart verselbstständigt, dass ich in Gegenwart anderer kaum noch mein wahres Ich abrufen kann, was mich sehr erschöpft. Und es macht mich oft sehr unglücklich.

Dieses antrainierte Verhalten wird bei Fachgesprächen oder Diagnoseverfahren vielmals unterschätzt, wie ich immer wieder durch Emails oder Nachrichten von zahllosen betroffenen Frauen erfahre.
Viele hochfunktionale Autisten könnten Fragen auf schriftlichem Wege besser beantworten, als durch das direkte Gespräch. Sie erhalten ausreichend Zeit zu antworten und erleiden nicht die Probleme der spontanen sozialen Interaktion. Schnelles und angemessenes Reagieren auf soziale fremde Situationen fällt ihnen schwer. Das ist doch so bekannt und wird doch nicht bei wichtigen Gesprächen berücksichtigt! Also greifen Betroffene auf die Anpassungsfähigkeit zurück und geben Antworten, die nicht zutreffen, weil sie derart verunsichert sind und nur noch der Situation entkommen möchten.

„Je geringer die Hochfunktionalität ist, desto geringer wird das Problem des körperlichen Zusammenbruchs.“ Das las ich kürzlich in einer Zeitung. Stimmt das? Dieser Asperger-Autist kann seine wahre Identität viel besser zeigen, leben und durchsetzten, benötigt dafür aber viel mehr Hilfe von außen. Und genau an dieser Stelle beginnt eine große Unterversorgung, was die ärztliche Hilfe bei hochfunktionalem Autismus betrifft. Je besser ich den Autismus zeigen kann, desto eher bekomme ich Hilfe.
Ich möchte hiermit keinesfalls etwas abwerten oder schönreden, denn jeder Betroffene ist in seiner Art ernst zunehmen…, nein, ich möchte etwas anderes damit verdeutlichen und damit einen Apell an Ärzte und Fachpersonal richten:

Wenn sich Menschen bei euch melden, die gerne in einem Diagnose-Verfahren wegen Hochfunktionalität im Rahmen der Autismus Spektrum Störung aufgenommen werden möchten, dann begegnet ihnen nicht nach Euren Kriterien, sondern lasst sie zuvor eine Liste erstellen, welche Anzeichen ihrer Meinung nach darauf hinwiesen. Schaut euch diese Liste an und besprecht genau diese Dinge mit den Menschen. Nur so könnt Ihr den Autismus in dessen Reichweite erfassen. Dieser Mensch schaut euch nämlich oft in die Augen, wirkt sortiert und zeigt keine stereotypischen Bewegungen. Ja, er hat sogar Mimik im Gesicht und kann euch in einem augenscheinlichen offenen Gespräch begegnen. Aber schaut doch mal hinter diese Fassade. Es ist doch nur die Hochfunktionalität, die euch blendet…

Meistens sind Frauen davon betroffen, weil sie das Asperger Syndrom anders zeigen.

Wenn Ärzte sich in diese Richtung mit Autismus befassen, werden sie sämtliche Kriterien hinter dieser Fassade oder Maske finden, denn kein Mensch, der am Ende seiner Kraft ist, geht auf die Pirsch nach einer „Mode-Diagnose“. Es ist das Unwort für jeden hochfunktionalen Asperger-Autisten und stigmatisiert ihn. Das verschlechtert seinen Zustand erheblich. Es ist oft typisch, dass sich diese Menschen niemals zuvor Hilfe gesucht haben, weil ihre Hochfunktionalität genau darin besteht, das NICHT zu tun, eben alles alleine zu schaffen.

Ich bin auch davon überzeugt, dass sich im Laufe eines Gesprächs, was der hochfunktionale Autist bestimmt, den Fachärzten deutlich zeigt, wenn es sich um eine andere Störung oder psychische Erkrankung/Belastung handelt.

Liebe Ärzte, ich bitte euch, lasst es doch einfach mal darauf ankommen…

Mehr Infos zum Thema Autismus auf meiner Website:
http://www.marionschreiner.com/denkmomente/

Autor:

Marion Schreiner aus Langenfeld (Rheinland)

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