51. Grimmepreis: Publikumspreis der Marler Gruppe für Altersglühen – Speed Dating für Senioren (WDR/ NDR)

Foto: Grimme
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Der Publikumspreis der Marler Gruppe wird in diesem Jahr vergeben an Jan Georg Schütte (Buch/Regie) Ulf Albert (Schnitt) fürAltersglühen – Speed Dating für Senioren (WDR/ NDR). Eine Produktion von Riva Filmproduktion. Die Erstausstrahlung war am Mittwoch, 12.11.2014, 20.15 Uhr im Das Ersten.

Der Inhalt: 13 einsame Herzen, sieben Frauen und sechs Männer, treffen sich zu einem Speed-Dating für Senioren. Im Sieben-Minuten-Takt sollen sie einander ihr Herz ausschütten, sich interessant machen, auf Knopfdruck flirten, Sehnsüchte offenbaren. Da treffen sich Witwer und Witwen, Geschiedene, Alleingebliebene, Rastlose, Singles, Hagestolze, Damen, Burschikose, Herren, Kerle, Kavaliere, Grobiane, Mauerblümchen, Stolze und Romantikerinnen.
Sie sind zwischen Ende 60 und Mitte 80 und suchen wie die Jungen: Liebe, Nähe, Zärtlichkeit, Geborgenheit, Abenteuer, Halt. Dreizehn Schauspieler treffen auf 19 Kameras, finden keinen Drehbuch und müssen sich auf ihre
Improvisationskunst verlassen. Sie, die Herzsucher, verfehlen sich, schweigen sich an, stoßen sich bald ab, finden für Momente zueinander, bleiben sich fremd, spielen Theater, öffnen sich plötzlich und verschließen sich wieder.
Sie: „Ich liebe die Reiterei!“ - Er: „Ich hasse Pferde!“ Er: „Schon als Jugendlicher bin ich nicht zum Sex gekommen, weil ich zu viel gequatscht habe!“ Ein anderer: „Man kann auch nett miteinander schweigen.“ Oder: „Frauen wollen zujehört werden!“ Gedreht wurde nur an zwei Tagen, aber aus 20 Stunden
improvisiertem Material mussten Geschichten, Dramaturgien und Entwicklungen destilliert werden. Was für ein Abenteuer auch und gerade für den
Schnitt! „Altersglühen“ ist ein Film, der dem Fernsehen Proberäume des Erzählens schenkt, ein Liebesfilm der ganz anderen Art und Weise.

Die Begründung der Jury:

„Finden Sie mich attraktiv?“ Diese Worte waren das einzige, was der Autor, Regisseur und Schauspieler Jan Georg Schütte seinen 13 Protagonisten als Vorgabe für das Speed- Dating gemacht hat. 13 hochkarätige Schauspielerpersönlichkeiten haben sich auf das außergewöhnliche Experiment
eingelassen ohne Drehbuch zu spielen, einfach zu improvisieren. Dabei herausgekommen ist großes, gelungenes Fernsehen, das viel Spaß und Lust auf mehr gemacht hat. Wir durften uns an den lockeren Sprüchen von Volker Hartmann, (Michael Gwisdek) erfreuen, der seinen Freund Kurt Mailand (Jörg
Gudzuhn) nur begleiten will. „Frauen wollen zugehört werden.“ Er ist der „Sonnyboy“, den die Frauen in der Villa gern mögen, trotz seiner schmutzigen Fingernägel und der ollen Kappe. Mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt er, dass sein Freund eigentlich eine nette Frau sucht, die den Haushalt macht und
kochen kann und dass die beiden in einer Laube mit Garten wohnen.
Auch bei Johann Schäfer (Mario Adorf) wirkt das Spiel authentisch und überzeugend. Er spielt den traurig einsamen Witwer berührend und warmherzig, nah bei sich selbst. Die Dialoge treffen ins Herz. „Ich versuche mir vorzustellen, ob sie den leeren Platz in meinem Leben ausfüllen können?“ Seine Unsicherheit und Ängste werden für den Zuschauer spürbar und man fühlt mit, wenn er nach und nach lockerer wird und sich auf sein Gegenüber einlassen kann. Fast ist es so, als sei man selbst dabei und muss gleich in die nächste Gesprächsrunde gehen. Der pensionierte Lehrer Helge Löns (Matthias Habich), der eigentlich Schriftsteller oder Förster werden wollte und seine an Alzheimer erkrankte Frau pflegt, leidet nach Aussage seines Arztes unter dem „Einsamkeitssyndrom.“ Er hat das Gefühl, dass ihm ohne Partnerin der Rest seines Lebens misslingt. Er
spielt den Schöngeist mit charismatischer Ausstrahlung und liebenswürdigem Charme. Bei Martha Schneider (Hildegard Schmahl), die mutig ausspricht, dass sie sich nach Nähe und Berührung sehnt, spürt man besonders deutlich im Gespräch mit Johann Schäfer, dass da direkte Zuneigung ist. „Darf ich Hans zu Ihnen sagen?“ Johann Schäfer: „Ja, Hans und Martha.“ Maria Koppel (Senta Berger), spielt die unnahbare, verlassene Karrierefrau, die in allen
Gesprächsrunden konzentriert und selbstbewusst den Ton angibt. Sie strahlt eine große Einsamkeit aus und kann doch nicht aus ihrer Haut. Edith Wielande (Christine Schorn), die von sich sagt, „Ich bin Putzfrau und kann kochen,“ vermittelt dem Zuschauer, dass sie bereit ist, auf einiges zu verzichten, nur um nicht mehr einsam zu sein. Natürlich will sie nicht jeden, aber der „malende“ Kurt Mailand (Jörg Gudzuhn) scheint ihr zu gefallen. So ließe sich die Beschreibung jeder einzelnen Figur lebhaft fortführen. Den Betrachter haben besonders die Szenen in den Pausen vor dem Spiegel berührt, in denen jede/r ihr/ sein wahres Gesicht zeigt. Anspannung, Zweifel, Verletzlichkeit aber auch Hoffnung war in den Gesichtern zu erkennen. Man hatte als Zuschauer den Eindruck, dass die großartigen Schauspieler alle ein wenig sich selbst spielten.
Wahrscheinlich ist gerade diese Wahrnehmung die besondere schau-spielerische Leistung des gesamten Teams.
Wir haben einen Film von einem großartigen Autor, Regisseur und Schauspieler gesehen. Verneigung vor Jan Georg Schütte für die Idee und mutige Umsetzung dieses Projektes. Großen Respekt bringen wir auch Ulf Albert entgegen, der die anspruchsvolle Aufgabe hatte, aus diesem umfangreichen Material eine Geschichte entstehen zu lassen. Dieses Experiment ist zu 100% gelungen.

Die Marler Gruppe

Die Marler Gruppe, gegründet 1968, wendet sich an Marler/innen, die sich ernsthaft für das Medium Fernsehen interessieren und die sich mit ihm kritisch auseinandersetzen möchten. Schwerpunkte der Arbeit sind die Programmbeobachtung und die Diskussion von Fernsehbeiträgen.
Neben den Profi-Jurys im Adolf-Grimme-Institut sichtet auch die Marler Gruppe im Medienraum des Hans-Böckler-Berufkollegs die Fernseh-Produktionen einer bestimmten Kategorie, die für den Grimme-Preis nominiert wurden. Innerhalb von vier bis fünf Tagen sichten die 15 bis 16 Mitglieder der Gruppe unter Leitung von Monika Kaczerowski um die 20 Fernsehfilme: einen davon benennt die Gruppe dann für das viel beachtete Publikumsvotum, das bei der Preisverleihung im Theater der Stadt Marl vom Bürgermeister der Stadt Marl verkündet wird.
Die Arbeit der Marler Gruppe wird vom Hans-Böckler-Berufskolleg, das den Raum stellt, und von den beiden Fördervereinen des Kollegs und der insel-VHS, die für das leibliche Wohl sorgen, unterstützt.
Leiterin der Marler Gruppe ist ...
Monika Kaczerowski

Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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