Schicksalsschlag Hirn-Aneurysma

Arndt (30)
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Schicksalsschlag Hirn-Aneurysma. Diese Krankheit - die auch Monica Lierhaus hatte - wurde bei unserem (einzigen) Sohn Arndt vor fast 14 Jahren, Anfang Mai 1997, diagnostiziert. Damals war er seit vier Wochen 17 Jahre alt, Gymnasiast in der 11. Klasse.
Es war für uns alle die Stunde Null.
Bislang war ein Aneurysma für mich nur etwas, das bei älteren Leuten an der Bauch-Aorta auftreten konnte. Doch niemals bei einem bildhübschen Teenager, der mit dem Mountainbike in den österreichischen Alpen radelte, der Ski lief und Badminton spielte.
Es traf uns von einem Tag zum anderen, aus buchstäblich heiterem Himmel im Frühjahr 1997. Unser Sohn wollte eigentlich mit Freunden am 1. Mai zur Eröffnungsfeier der Ruhrfestspiele nach Recklinghausen fahren.
Statt dessen war er nun Patient - im Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen. In einem Einzelzimmer. Damit er völlig ungestört blieb. Seine entsetzlichen Kopfschmerzen wurden mit Morphium-ähnlichen Tropfen behandelt.
Ich erspare Ihnen - und uns ! - die exakten Einzelheiten des grausigen Albtraums, der nun folgte und an dessen Ende (?) unser Sohn ein hundert Prozent Schwer(st)behinderter im Rollstuhl war.
Nur das Wichtigste : Arndt wurde, da die Ärzte in RE ihn schließlich doch nicht behandeln konnten, in die Neurologie der (privaten) Krupp-Klinik nach Essen verlegt. Dort fanden mehrere operative Eingriffe statt. Unser Sohn hatte ein so genanntes intrakranielles bzw. Schädelbasis-Aneurysma, das nicht auf "normale" Weise operiert werden konnte, sondern nur am Monitor.
Dabei wurde das OP-Gerät am Bildschirm in die Oberschenkel-Arterie eingeführt und bis zum Hinterkopf hochgeschoben. Die Operation zum "Coiling" des Hirnaneurysmas fand am 22. Mai statt. Sie dauerte etwa 7 Stunden.
Ich wurde in dem Moment in den OP geführt (man wollte mir wohl den Erfolg des Eingriffs demonstrieren), als mein Sohn einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt. Er war 4 Minuten lang "klinisch tot" und bekam nach erfolgreicher Reanimation einen schweren Schlaganfall.
In der Woche darauf erlitt er noch zwei weitere Schlaganfälle, in deren Folge er zunächst komplett gelähmt war. Es war nur noch Kontakt über die Augenlider möglich.
Ich las ein Alphabet vor und er zwinkerte beim korrekten Buchstaben.
So "erzählte" er mir alles, was wir wissen mussten. Denn sein Verstand - in diesem vollkommen zerstörten Körper ! - arbeitete klar und präzise. Auf grausige Weise total normal.
Herausrutschende Beatmungsschläuche. Kein Schlaf. Die Augen lieferten Bilder eines sich ständig drehenden Karussells. Künstliche Ernährung, die der Körper nicht annahm. Megastarke Dosen Cortison gegen die Hirnschwellung.
Nach etwa einer Woche die ersten linksseitigen Körperbewegungen. Wieder Nachtschlaf (mit den "richtigen" Tabletten). Arndt hörte Musik auf einem CD-Player, durfte fernsehen. Sprache nach wie vor über die Alphabettafel. Und : die Ernährung schlug fehl.
Vier Wochen später. Er (1,78 m) wog 32 kg. Ein Skelett.
Auf meine inständigen Bitten hin orderte der Oberarzt die mittlerweile 6. Ernährungssonde : über Nacht aus den USA (dort hatten die behandelnden Essener Ärzte zwei Jahre zuvor die invasive Coiling-OP erlernt). Das riesige Gerät wurde in Arndts geschwächten Körper eingesetzt.
In das Jujunum, das hinter dem Duodenum (Zwölffingerdarm) liegt. Alle Darmabschnitte davor waren gelähmt.
Jetzt half nur noch Beten.
Nachdem wir alles Menschenmögliche getan hatten, hofften wir auf Gott.
Unser Sohn erhielt von nun an die so genannte Astronautennahrung, hoch kalorienhaltige Kost. Würde sein Körper das vertragen ?
Ja. Das erste zugenommene Kilo wurde auf der Intensivstation gefeiert.
Dann erfolgte die Abgewöhnung vom Beatmungsgerät, das erste unverständliche Wort und der Zorn darüber, dass wir nicht kapierten, was unser Sohn "sagte".
Nun rasch der Rest : Früh-Reha in Hattingen-Holthausen. (Ich besuchte ihn dort - wie immer - täglich, hatte meinen Beruf erst mal ad acta gelegt). Atmen lernen. Sprechen lernen. Schlucken lernen. Trinken lernen. Essen lernen. Gehen lernen.
Und und und.
Das Essen war die Quadratur des Kreises - und erst sechs Monate nach der OP konnte er wieder Alete-Babykost zu sich nehmen (die Mundöffnung betrug nur wenige Millimeter). Im heißen Sommer 1997 musste er stündlich Wasser durch die Magensonde zugeführt bekommen.
Im Januar 1998 holten wir unseren nun schwerstbehinderten Sohn Arndt heim.
Nach einigen Monaten Physiotherapie erfolgte eine Integration in den Schul-"Alltag". Er besaß nun einen Elektro-Rollstuhl, der ihm wieder ein wenig Freiheit ermöglichte. Arndts Gymnasium nahm ihn als Schüler wieder auf, weil der damalige Oberstudiendirektor Rudert wusste, dass unser Sohn bereits Buchpreise für seine erstklassigen Zeugnisse erhalten hatte.
Er legte im Jahr 2000 sein Abitur erfolgreich ab.
Danach studierte er bis zum Jahr 2010 Germanistik und Pädagogik sowie Ingenieurwissenschaften (mit Pausen). Abschlüsse erreichte er leider nicht : auf Grund seiner Schwerstbehinderung klappte nichts.
Momentan lebt Arndt (fast 31) in seiner kleinen Mietwohnung in Bochum. Er kann mittlerweile an einem Spezial-Rollator für rechtsseitig Gelähmte - innerhalb der Wohnung - laufen.
Auto fahren kann er nicht, denn er hat ein Augenproblem und zuckt manchmal ein wenig unkontrolliert.
Etwa 25 verschiedene Behinderungen sind geblieben.
An eine etwaige Berufstätigkeit ist nach wie vor nicht zu denken.
Unser Sohn ist Hartz Vier-Empfänger.
PS : Sein Aneurysma war vermutlich angeboren - wie bei vielen Menschen. Warum es sich bei Arndt plötzlich "aktivierte" und groß wie ein (damaliges) Fünfmarkstück wurde, werden wir nie erfahren.

Autor:

Rena Schröder aus Recklinghausen

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