Wie die Corona-Krise die Psyche von Kindern und Jugendlichen belastet

Professor Dr. Dr. Martin Holtmann ist Ärztlicher Direktor der LWL-Universitätsklinik Hamm für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Foto: LWL/Feige
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  • hochgeladen von Siegfried Schönfeld

Das Corona-Virus und die damit verbundenen Einschränkungen führen zu vielen Veränderungen im privaten und beruflichen Alltag. Die psychischen Belastungen der Menschen nehmen zu. Homeoffice, Homeschooling: Viele Familien verbringen sehr viel Zeit zusammen in der eigenen Wohnung. Welche Auswirkungen haben die Beschränkungen für Kin-der und Jugendliche? Wie lässt sich der Wegfall von festen Tagesstrukturen ausgleichen?
Mögliche Auswirkungen der Corona-Maßnahmen und Behandlungsangebote für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen stellt Professor Dr. Dr. Martin Holtmann, Ärztlicher Direktor der LWL-Universitätsklinik Hamm für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), vor.

Schließung der Schulen, Sporteinrichtungen, Absage von Veranstaltungen, Einschränkung der sozialen Kontakte zur Eindämmung der Corona-Pandemie - wie gehen Kinder und Jugendliche damit um?
Martin Holtmann: Viele Kinder und Jugendliche fühlen sich zwar erschöpft, haben sich aber als sehr anpassungsfähig gezeigt und sind sogar innerlich an den Herausforderungen gewachsen. Eine kleinere Gruppe hat in den vergangenen Monaten mit Verunsicherung, Angst und gedrückter Stimmung reagiert. Die gewohnten Tagesstrukturen sind aufgebrochen - ohne einen regelmäßigen Ablauf sieht jeder Tag gleich aus. Die direkten sozialen Kontakte entfallen, soziale Netzwerke nehmen vielmehr Raum ein. Eine unmittelbare Kommunikation findet häufig ausschließlich mit den eigenen Familienmitgliedern statt. Hier ist es ganz wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern sprechen und die Sorgen und Ängste ernst nehmen. Genauso wichtig ist es, sich über andere Themen auszutauschen. Wenn nur noch über Corona gesprochen wird, können depressive Stimmungen sich weiter verstärken.

Haben sich die Anfragen in der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik durch Corona verändert?
Martin Holtmann: Die Pandemie hat je nach Krankheitsbild unterschiedliche Auswirkungen. Jugendliche mit einer Neigung zu Depressionen leiden unter dem Fehlen von positiven Anreizen wie Freunde, Sport und Schule. Kinder und Jugendliche mit Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS leiden insbesondere unter der mangelnden körperlichen Aktivität. Für sie sind jedoch auch geregelte Abläufe und feste Rituale wichtig - diese geben ihnen eine feste Orientierung und bieten Sicherheit.
Neben Depressionen und Ängsten beobachten wir eine Zunahme an Essstörungen: Mädchen mit einer Neigung zur Magersucht fehlt die Bestätigung durch Leistungen in Schule, Sport oder Musikunterricht. Sie beziehen ihren Selbstwert dann noch stärker über den Gewichtsverlust.

Wie können Kinder und Jugendliche weiterhin psychisch gesund durch die Krise kommen?
Martin Holtmann: Hilfreich ist die Einhaltung einer gewohnten Tagesstruktur mit festen Ritualen. Gemeinsame Aktivitäten wie Gesellschaftsspiele oder ein Spaziergang an der frischen Luft sind genauso wichtig wie Rückzugsmöglichkeiten für jedes Familienmitglied. Konflikte gibt es immer wieder, sprechen Sie miteinander, teilen Sie Ihre Ängste und gehen Sie auf die Fragen Ihrer Kinder ein. Sicherheit und Geborgenheit sind gerade jetzt wichtig. Planen Sie medienfreie Zeiten für sich und Ihre Kinder. Ganz wichtig sind jedoch eine große Portion Humor und ganz viel Nachsicht miteinander - große Erziehungsmaßnahmen sind derzeit nicht sinnvoll. Und an die Politik habe ich die dringende Bitte, die Kitas und Schulen schrittweise vor allen anderen Lockerungen wieder zu öffnen.

Die LWL-Universitätsklinik Hamm stellt nach wie vor die Behandlung von psychisch schwer kranken und instabilen Kindern und Jugendlichen sicher.

Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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