Offener Brief an Herrn Konsul Prof. (em.) Schulte-Kemper - und die Antworten darauf

Sehr geehrter Herr Konsul Prof. (em.) Schulte-Kemper,

Nach dem ich Ihr Video vom 22.05.2017 gesehen habe fiel mir auf, dass Sie mit fehlerhaften Informationen versorgt wurden.

(https://www.youtube.com/watch?v=7RW0-G5wTww&feature=youtu.be)

Sie begründen eine vornehmliche Nachfrage nach qualitativem Wohnraum mit einem Bevölkerungszuwachs aufgrund einer Zunahme der Erwerbstätigkeit und einer damit einhergehenden Kaufkraftsteigerung. Sie sprachen zudem von einem „Import von Arbeitskräften aus ganz Europa“, der die Nachfrage beflügeln soll. Sie gehen hier fälschlicherweise von ca. 600.000 – 800.000 aus. Der Zuwachs in den entsprechenden Jahren beläuft sich auf ca. 2.739.000, wobei diese Zahl bereits 1.755.000 Asylanträge beinhalten. (Jahre 2012 bis 2016) Mit Hinblick auf die Herkunftsländer lässt sich erahnen, mit welchem Kaufkraftsteigerungspotential diesbezüglich zu rechnen ist.

Das statistische Bundesamt legt auch dar, dass die Quote der Erwerbstätigen eher in eine andere Richtung tendiert. Hier stelle ich Ihnen einmal eine „bereinigte Berechnung“ auf, die keine in den letzten Jahren oftmals angepasste Statistik darstellt, zur Verfügung:
Arbeitslose 2016:

In der Öffentlichkeit wird hier von 2,7 Mio. Arbeitslosen gesprochen. Kommen wir weg vom Schönrechnen, hin zu realen Zahlen:

2.700.000 (Arbeitslose)
+ 185.000 (Arbeitslose, die nicht von der Bundesagentur, sondern von privaten Vermittlern betreut werden
+ 165.000 (Arbeitslose, die in z.T. sinnlosen Umschulungs-, & Weiterbildungsmaßnahmen stecken)
+ 165000 (Arbeitslose, die über 58 Jahre alt sind und neuerdings als nicht mehr vermittelbar betrachtet werden und aufgrund dessen in keiner Statistik auftauchen)
+ 75.000 (1-€ Jobber – das sind die Jungs, die man mit Bäume zählen beschäftigt…)
+ 300.000 (Arbeitslose, die sich nicht arbeitslos melden)
= Zwischensumme 800.000. Diese werden in den Statistiken als „Unterbeschäftigte“ bezeichnet.
+ 800.000 (Mütter, die wieder einsteigen wollen & keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben)
+ Kranke Menschen, Menschen in der Kindererziehung, Menschen die andere Menschen pflegen & daher nicht arbeiten können
Dies macht unter dem Strich ca. 5 Mio. aus. Aber die Rechnung geht weiter….
+ 600.000 – 1.000.000 (Leiharbeiter)
+ 7.300.000 (geringfügig Beschäftigte)
+ 1.000.000 (Rentner, die auf Minijobs angewiesen sind)
+ 1.200.000 (Arbeitnehmer denen der Staat etwas dazu geben muss, damit diese überhaupt auf Hartz IV Niveau kommen)
= 10.500.000 Arbeitslose /Erwerbsfähige bzw. Menschen in der BRD die an der Armutsgrenze leben.

Wenn Sie diese Zahl von der Ihnen genannte Zahl an Erwerbstätigen abziehen (44 Mio.), dann können wir von rund 33,5 Mio. (36,2 Mio.) Erwerbstätigen ausgehen, die Ihren Lebensunterhalt selbstständig durch Arbeitskraft bestreiten können. Mithin kann als Ergebnis festgehalten werden, dass die Erwerbstätigkeit von 2007 bis 2016 von 39 Mio. auf 33,5 Mio. (36,2 Mio.) Erwerbstätige gesunken ist. Die von Ihnen genannten Zahlen basieren auf statistischer Manipulation durch Anpassung der Berechnung für die Arbeitslosenquote.

Weiterhin lässt sich feststellen, dass der Reallohn im Lohnsektor des „Normalverdieners“ in den letzten 20 Jahren nicht gestiegen, sondern gesunken ist. Wenn wir uns die veröffentlichten Zahlen ansehen, werden hier regelmäßig Großverdiener mit einbezogen, die den Reallohn statistisch nach oben treiben.

Vor diesem Hintergrund kommt der Grund für diesen Zustand klar zum Vorschein. Durch die Globalisierung und den damit einhergehenden Wettbewerbsdrang der großen Unternehmen sind diese einem enormen Preisdruck ausgesetzt. Diesem Druck werden Sie gerecht, indem Arbeitskräfte eingespart werden bzw. die Lohn- & Gehaltsstrukturen nach unten korrigiert werden. Zudem sind Aktiengesellschaften Ihren Aktionären regelmäßig Rechenschaft schuldig, denn Investitionen finden nur statt, wenn die Rendite stimmt. Klein- & Mittelständische Unternehmen als Grundpfeiler unserer Volkswirtschaft hingegen sorgen im Gegensatz für eine geordnete Gehaltsstruktur der Mitarbeiter, sind häufig regional aufgestellt und die dahinter stehenden Personen haben eine geringe Sparquote und damit einhergehend eine höhere Ausgabenseite bzw. Investitionsquote, was unseren Wohlstand in der Gesellschaft beflügelt. Leider wird dieser Wohlstand massiv durch große Unternehmen eingedämmt. Der Klein- & Mittelstand wird aus dem Markt verdrängt, da er zum Teil dem enormen Ausmaß an Lobbyismus der großen nicht gerecht werden kann. Die Folgen sind neben den Wohlstandseinbußen und den höheren Transferleistungen des Staates insbesondere die sich stark erhöhenden Kaufkrafteinbußen seitens der breiten Masse und die Privatisierung von Staatseigentum/Eigentum des Bürgers zu Schleuderpreisen, als Nulllösung der fehlenden Einnahmen. Nun befinden sich diejenigen, die einst von der Verdrängung des Klein- & Mittelstandes profitierten in einer Art „Gefangenendilemma“. Einerseits fangen würdevoll denkende Manager an, sich Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Andererseits besteht die Verantwortung den Aktionären gegenüber und die Angst, sich von der Konkurrenz einholen zu lassen, da ja nicht alle Unternehmensführer dieses Verantwortungsgefühl in sich tragen. Die Folgen nehmen mittlerweile für den Menschen und die Umwelt gravierende Ausmaße an.

Sie sprachen in Ihrem Beitrag von der „Wohnungsnot in qualitativen Segmenten“. Auch dieser Aussage soll Folgendes entgegensetzt werden:
Der Wohnungsmarkt in Marl verzeichnet den größten Leerstand in der Region. Sprich das Angebot an Wohnraum übersteigt die Nachfrage bei weitem. Vielen Immobilienbesitzern fehlen jedoch die nötigen finanziellen Ressourcen, Ihre leerstehenden Wohnungen in einen vermietbaren Zustand zu versetzen. (Eine Folge der oben dargestellten Zuspitzung von Problematiken) Für Großinvestoren ist es nicht profitabel, diese Wohneinheiten zu sanieren. Daher soll neuer Wohnraum geschaffen werden, leider häufig auf Kosten der Natur (siehe z.B. Jahnstadionbebauung).

Nur einmal angenommen, es gelingt eine Nachfrage nach qualitativem Wohnraum zu befriedigen, trotz sinkender Erwerbstätigkeit und sinkendem Einkommen in den unteren Einkommensklassen, wovon wir realistisch gesehen in den nächsten Jahren ausgehen müssen. In diesem Fall kann dies einzig durch den Zuzug aus anderen Städten einhergehen, die sich im Rahmen des Wettbewerbes um den Wohnraum in qualitativen Segmenten darum bemühen werden, ebenfalls Wohnraum zu schaffen. Dies hätte zur Folge, dass immer mehr Eigentümer alter Immobilienbestände auf leerstehenden Wohneinheiten sitzen bleiben, folglich mit geringerem Einkommen leben müssten und sich die oben erläuterten Mechanismen verstärken und flächendeckend ausbreiten. Natürliche Ressourcen werden durch die Versiegelung von Flächen auf ewig vernichtet.

An dieser Stelle möchte ich die Auswirkungen für die Umwelt nicht unerwähnt lassen. Insbesondere da sich die Diskussion von Feinstaubentwicklung und Aufheizung der Atmosphäre derzeit in aller Munde befindet. Wussten Sie, dass ein Baum mittleren Alters ungefähr 500-1000 kg Feinstaub pro Jahr bindet und die Umgebungstemperatur herunterkühlt? Zudem ca. 4000 Liter den für uns Menschen lebenswichtigen Sauerstoff produziert? Ich frage mich welchen Stellenwert diese Tatsachen für einen Menschen haben kann, der sich darüber bewusst wird, dass er 1000-2000 neue Bäume pflanzen müsste um die Funktion eines einzigen gefällten Baumes zu kompensieren? Sollten wir unserer nachfolgenden Generation nicht mit gutem Beispiel voran gehen und in Würde aus dem Leben treten, um zumindest unseren Kindern ein Leben in Würde zu ermöglichen?

Mit diesen gedanklichen Anstößen und einem Zitat des Papstes möchte ich mich verabschieden und Ihnen zugleich meine Bewunderung aussprechen bezüglich Ihrer ehrenamtlichen Aktivitäten. Insbesondere die Entwicklung der Paracelsus-Klinik, die Sanierung der Scharounschule und Ihr Einsatz für unser musikalisches Kulturgut, sowie Ihre Hilfsaktionen für Russland und Tansania haben mich emotional berührt.

Über enthemmten Kapitalismus:
"Wenn das Kapital zum Idol wird und die Option der Menschen steuert, wenn die Geldgier das Wirtschaftssystem beherrscht, dann ruiniert dies die Gesellschaft, verdammt die Menschen zur Sklaverei, zerstört die Brüderlichkeit und bringt die Völker gegeneinander auf."
(Der Papst spricht vor den Vereinten Nationen in New York)

Marc Walden

Autor:

Marc Walden aus Marl

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