Menden: Antonius Fricke stellt Bürgerantrag zur Aufstellung von Infotafeln
Was wird aus der alten Nazi-Ruine?

Wer Mendens ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Antonius Fricke trifft, muss wissen, dass immer ein Fachbuch in seiner Nähe ist. An diesem „100 Jahre Schutzaktion“ hat er seinen Anteil, weil er einer von mehreren Autoren ist. Foto: peb
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  • Wer Mendens ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Antonius Fricke trifft, muss wissen, dass immer ein Fachbuch in seiner Nähe ist. An diesem „100 Jahre Schutzaktion“ hat er seinen Anteil, weil er einer von mehreren Autoren ist. Foto: peb
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Antonius Fricke hat sich sein ganzes Leben lang, sogar schon in der Volksschule, für Geschichte interessiert. Da er aus Lendringsen stammt, haben ihn die unzähligen Geschichten über „Eisenkies Schwalbe 1“, der Versuch der Nationalsozialisten, ein unterirdisches Werk zur Gewinnung von Benzin aus Kohle, bereits in der Jugend begleitet und er ist damit groß geworden: „Es war einfach unmöglich, dies zu überhören.“

Antonius Fricke studiert die Namen auf dem Denkmal. Er hat viele Details über das Nazi-Großprojekt von 1944/45 bei seinen Recherchen und Forschungen entdeckt. Foto: peb
  • Antonius Fricke studiert die Namen auf dem Denkmal. Er hat viele Details über das Nazi-Großprojekt von 1944/45 bei seinen Recherchen und Forschungen entdeckt. Foto: peb
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Da das Thema nicht tabu ist, wurde im Dorf auch immer darüber geredet und nichts verschwiegen. So pflegte bereits sein Vater beim obligatorischen Friedhofsbesuch zu Allerheiligen, wie viele andere, am Denkmal auf dem Friedhof für die Toten zu beten.
Josef Rüberg, Lehrer in der achten Klasse der Josefschule, hat immer Kerzen als Vorsitzender der Kriegsgräberfürsorge an diesem Tag am Denkmal angezündet. Er pflegte schon 1956 öffentlich zu sagen: „Auch die soll man nicht vergessen.“

Die Opfer der Nazis

Doch wer waren die und warum sind sie gestorben? - Im Rodenberg in Menden finden sich an drei Stellen unübersehbar deutliche massive Spuren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem riesigen Naziprojekt von 1944/45 gehören. Die Region wird inzwischen intensiv zu Freizeitzwecken genutzt, doch dürften den Besuchern die Zuordnung zu diesem historisch bedeutsamen Gelände schwerfallen. Dies möchte Antonius Fricke, der als ehrenamtlicher städtischer Bodendenkmalpfleger bestellt ist, mit einem Bürgerantrag ändern.

Das Denkmal auf dem Friedhof in Lendringsen. Hier stehen zahlreiche Namen von im Zusammenhang mit dem Bau von „Eisenkies Schwalbe 1“ verstorbenen Arbeitern. Foto: peb
  • Das Denkmal auf dem Friedhof in Lendringsen. Hier stehen zahlreiche Namen von im Zusammenhang mit dem Bau von „Eisenkies Schwalbe 1“ verstorbenen Arbeitern. Foto: peb
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„Ich habe Bürgermeister Dr. Roland Schröder mit einem Brief, in dem die wichtigsten Sachinformationen und das große Interesse der Öffentlichkeit aufgeführt werden, aufgefordert, eine Information am Nordausgang des Wasserleitungsstollen zu erstellen“, erklärt Fricke „Möglicherweise ergänzt durch einen Hinweis am nahen Hexenteich.“
„Da der Erinnerungspunkt in Sanssouci (hier war ein Lager mit Zwangsarbeitern für das Hönnetal) jetzt auf gutem Wege ist, die Stollen in Oberrödinghausen zwar nicht zugänglich sind, aber Riesenmengen an Bildmaterial im Internet frei verfügbar sind und in Lendringsen das Denkmal auf dem Friedhof steht, wäre das verbrecherische Naziprojekt dann an drei Stellen direkt und an einer Stelle virtuell zugänglich“, sieht der Lendringser die Zeit zur Erfüllung seiner Bitte gekommen.

Der Realschullehrer und Autor Andreas Ritzel, bekannt durch seine Bücher unter anderem über das Hönnetal, sah hier ein wichtiges geschichtliches Projekt: „Der mit einer unbekannten Zahl an Menschenopfern aus vielen Nationen Europas unter Hitlers Terrorherrschaft verbundene Graben sowie des Stollens ist in jedem Fall ein unterirdisches sich auf unabsehbare Zeit erhaltendes Bodendenkmal und Mahnmal des Schreckens.“

Da im Zweiten Weltkrieg die Amerikaner die für die Kriegführung äußerst wichtigen Hydrierwerke zur Gewinnung von künstlichem Benzin aus Kohle ab 1944 systematisch bombardierten und fast völlig lahmlegten, sollten an geeigneten Stellen unterirdische Fabriken errichtet werden. Auch in die Kalkfelsen des Hönnetals wurden zum Teil heute noch vorhandene Stollen für das Projekt „Eisenkies Schwalbe 1“ überwiegend durch Zwangsarbeiter und Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen mit vielen Toten in den Berg getrieben.

Diese Werke benötigten zudem ungeheure Mengen an Kühlwasser, welches von der Ruhr bei Fröndenberg herantransportiert werden sollte, Eine Rohrleitung von circa 9,5 Kilometer Länge und der anschließende Stollen waren für die Versorgung vorgesehen.

Der zum großen Teil durch Luftbilder der Engländer dokumentierte Verlauf der Wasserleitung begann in der Nähe des „Ententeiches“ an der Ruhr, führte östlich an Schwitten vorbei unterhalb der Lahrkapelle über die Stiftstraße durch den jetzigen Stadtteil Lahrfeld zum Fuchshöhlenweg. Dann folgte der Rodenbergstollen, weiter zum Berkenhofskamp, durch das Paschesiepen über den Bieberberg zur Bieber. Der ausgehobene Graben traf zwischen Gut Rödinghausen und der Papierfabrik auf die Hönne. Von da gings in die unterirdische Benzinfabrik in den Kalkfelsen. Soweit der projektierte Gesamtverlauf, der weitgehend auf den Aufnahmen erkennbar ist.

Weil für Bodendenkmalpfleger Antonius Fricke die Erinnerung an die Spuren der damaligen Gräueltaten von öffentlichem Interesse ist, hat er den Bürgerantrag auf Bodendenkmalschutz für den Wasserleitungsstollen des Projektes „Eisenkies Schwalbe 1“ gestellt. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren begann der pensionierte Lehrer mit seinen systematischen Forschungen. Ein großer Anstoß war die Zwangsarbeiterentschädigung zu Beginn des neuen Jahrtausends. „Da habe ich Listen aus dem Archiv mit mehreren tausend Namen an die Suchstelle in Arolsen geschickt“, so Fricke. Über einen Sucherfolg wird er allerdings nicht unterrichtet, da Datenschutz oberstes Gebot ist.

Bei der Frage nach seiner Motivation und dem Antrieb zuckt er nur mit den Schultern: „Wenn man einmal damit begonnen hat, dann kann man nicht mehr aufhören. Das geht aber nicht nur mir so. Natürlich habe ich auf der Suche manchen Kontakt mit Gleichgesinnten gehabt und habe sie noch.“ Es sei immer das Gleiche: Entweder es gibt ein Thema, dann nimmt es einen auch gefangen. Es gäbe eigentlich keine Begründung, außer das tut man oder man lässt es: „Mehr kann ich nicht dazu sagen. Andere Mitstreiter fühlen aber genauso, wie ich in vielen Gesprächen erfahren habe.“ 
(Text und Fotos: Peter Benedickt)

Autor:

Anja Jungvogel aus Unna

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