moers festival: Draußen kalt, aber innen heiß! Sound heizte ein - Reiner Michalke bietet Rücktritt an: Zu wenig Rückhalt

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Mit dem 45. moers festival an Pfingsten verwandelte sich Moers wiederum für vier Tage in die Welt-Hauptstadt der improvisierten Musik. Von der Bühne der Festivalhalle sowie den Aufführungen bei den „morning sessions“(Musikschule Filderstraße), den „night sessions“ (Röhre) und der Stadtkirche konnten die Besucher 30 außergewöhnliche Konzerte sehen und hören.

Das Wetter draußen war zwar viel zu kalt, doch in der Festivalhalle war es heiß. Die Stimmung war bei jedem Auftritt bestens, die Zuschauer lauschten bei den lauten und bei den leisen Tönen intensiv. Die Halle sorgt für deutlich mehr Ruhe für die Zuhörer und die Musiker auf der Bühne. Die Aufführung von Kaja Draksler (Piano) und Susana Santos Silva (Trompete) wäre mit ihren leisen Passagen im alten Zirkuszelt undenkbar gewesen. Auch Carolin Pook, die neunte Improviser in Resisdence in Moers, hätte es mit „pezzettino 8“ schwer gehabt. Pook, selbst Violinistin und Schlagzeugerin, komponierte ein 40-minütiges Werk für Geigen und Schlaginstrumente. Sie lud sieben weitere Geigerinnen ein, die mit den Händen die Geigen spielten und mit den Füßen die unterschiedlichsten Schlagwerke bedienten.

Die No BS! Brass Band nimmt alle mit

Eine Überraschung ist ohne Zweifel der „No BS!“ Brass Band gelungen. „No BS“ steht für „No Bullshit“, ein Ausdruck, dessen öffentliche Verwendung in den USA verpönt ist. Die jungen Blechbläser aus Virginia boten bei ihrer Europapremiere erfrischende Blasmusik, komplett Notenfrei vorgetragen und nahmen alle in der Halle mindestens zum Fußwippen mit.
Das Subway Jazz Orchestra, benannt nach einem Club in Köln und ebenfalls junge, hoch ausgebildete Jazzer, spielten die selbst komponierte Suite „State of Mind“, was nach über 50 Minuten mit lang anhaltendem Applaus belohnt wurde.
Maja Osojnik aus Slowenien ist eine Klangkünstlerin. Sie benutzt ihre Stimme, sampelt, verfremdet CD-Nummern wie DJ’s und schafft mit zahlreichen weiteren elektronischen Geräten ein Soundgemisch aus improvisierter und elektronischer Musik, Folk und Industrial. Das Werk „Let them grow“ kann sie allein live auf der Bühne nicht aufführen, der Österreicher Patrick Wurzwallner übernahm die Drums.

Cassandra Wilson in ungewohnter Rolle

Äußerst gespannt erwarteten die Zuschauer den Auftritt der zweifachen Grammy-Gewinnerin Cassandra Wilson. Im Mittelpunkt stand allerdings weder sie noch ihre drei Mitstreiter Brandon Ross, Melvin Gibbs und J.T. Lewis, sondern Harriet Tubman und so lautet auch der Band-Name. Harriet Tubman ist eine Ikone in den USA und wird zukünftig den 20-Dollar-Schein zieren. Sie, selbst Schwarze, verhalf Sklaven zur Flucht aus den Süd- in die Nordstaaten – eine Fluchthelferin vor über 150 Jahren, die Menschen in Not half. Die Musiker griffen ihre Geschichte auf und vertonten sie. Cassandra Wilson trat nicht als Jazz-Diva auf, sondern ihr Gesang war ein Instrument wie die Gitarre, der Bass und das Schlagzeug der anderen Drei. Zudem spielte sie E-Gitarre, dissonant und roh, wie es die Zuschauer nie für möglich gehalten hätten.

Ein Moerser gibt den Takt vor

Der Moerser Jung’ Tim Isfort zappte sich mit seinem „Zapptet“, natürlich einem Septett, quer durch die Jazzstile, voller Lust und Tatendrang und dabei unterstützten ihn unter anderem zwei ehemalige Improviser in Residence, Angelika Niescier und Hayden Chisholm.
Das Duo „Hauschka&Kosminen“ hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Hauschka alias Volker Bertelmann spielte Piano mit elektronischer Unterstützung und klanglicher Veränderung. Mit dem finnischen Perkussionisten Samuli Kosminen, seinem Wunschpartner für Moers, gab es keine Absprachen, sie improvisierten ausschließlich frei und nach 52 Minuten klatschen die Zuhörer so rhythmisch und lautstark, dass die Beiden zu weiteren vier Minuten intensivem Spiels auf die Bühne kamen.

Moers ist die Avantgarde

Das moers festival 2016 brachte wieder einmal Premieren, Skurriles, Anmutendes, noch nie Gesehenes und nie Gehörtes, Kurioses und Extravaganzen. Die Avantgarde der Jazz’n’Impro-Künstler kam aus aller Welt für vier Tage nach Hause. Denn hier in Moers ist deren Heimstatt, hier dürfen sie vortragen, hier dürfen sie frei sein, frei mit Musikern aus anderen Ländern und Kontinenten zusammen spielen. Eine Einladung nach Moers kommt in der Szene einer Adelung gleich. Nach jedem Auftritt bedanken sie sich auf der Bühne, danken dem Publikum für ihr feines Gespür und der Stadt, in der sie sich so wohlfühlen. Und hinter Bühne folgt der Dank dem künstlerischen Leiter, Reiner Michalke, dass er ihnen solch einen Auftritt möglich machte. Mit seinem weltweiten Netzwerk findet er Jahr für Jahr die neuen Helden der Improvisation. Die schon bekannten Helden kommen gerne mit neuen Programmen und anderen Besetzungen wieder, in dem Wissen, in Moers neue unerhörte Klänge der Kollegen aufsaugen zu können.

Reiner Michalke bietet eine Vertragsauflösung an

Am Ende der vier aufregenden Tage erklärte ein innerlich aufgewühlter Reiner Michalke, dass er der Moers Kultur GmbH die sofortige Auflösung seines bis 2020 laufenden Vertrages anbietet. Das Festival wird, trotz Umzuges aus dem Park in die Festivalhalle, fortlaufend in Frage gestellt. Insbesondere die vor diesem Festival in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Kontroversen über eine angebliche Schieflage der Finanzen und eine überflüssige Diskussion über die Festivalhalle war ein Ärgernis. Für die Zukunft befürchtet Michalke weitere Spannungen, die viel Kraft und viel Zeit kosten und die ihm dann als künstlerischen Leiter für seine eigentliche Aufgabe, die Musik, fehlen. Zudem bemängelt Reiner Michalke den fehlenden Rückhalt bei den Verantwortlichen der Stadt Moers für das Festival.

Klaus Denzer

Autor:

Klaus Denzer aus Moers

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