"Erzählt, sonst sind wir verloren!"

Das Schlosstheater Moers als orientalische Geschichtsstätte: | Foto: Heike Cervellera
  • Das Schlosstheater Moers als orientalische Geschichtsstätte:
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Ein fast gewöhnlicher Freitagabend. Bis darauf, dass sich 101 Menschen bereit erklärt haben, Geschichten aus 1001-Nacht zu lesen.

Freitag, 22. April, 18 Uhr: Das Schlosstheater ist gefüllt mit Menschen, die Geschichten aus 1001-Nacht hören möchten. Zum Teil werden sie selbst eine Geschichte vorlesen, zum Teil werden sie dasitzen und den Geschichten aus einer anderen Kultur lauschen. Die Idee zu der Marathonlesung ist im letzten Jahr, gemeinsam mit dem Bunten Tisch entstanden. Das Schlosstheater überlegte, wie es sich in der Flüchtlingshilfe engagieren könne, berichtet Annika Stadler, Dramaturgin beim Schlosstheater: „Aus diesem Zusammentreffen ist die Idee zu der Marathonlesung entstanden, bei der Menschen lesen, die neu in der Stadt sind und Menschen, die schon immer am Niederrhein leben.“

So kommt es also, dass sich an diesem Freitagabend eine bunte Menschenmasse im Schlosstheater wiederfindet. Auf eine Reise in den Orient. Eine Reise, die die Zuhörer in eine neue Welt voller neuer Farben, Klänge und Städte bringt. Zu Beginn wird die Vorgeschichte von Vertretern der Politik, neuen Moerser Bürgern und Mitarbeiter des Schlosstheaters, erzählt: Aus Wut über die Untreue seiner Frau, will der König fortan nur noch eine Nacht mit jeweils einer Frau verbringen und sie am nächsten Morgen umbringen. Dies gelingt ihm auch, bis die Wesirstochter Scheherazade auftaucht und ihm jede Nacht eine so spannende Geschichte erzählt, dessen Ende sie aber offen hält.

Um Punkt 18.50 Uhr beginnt Markus Grimm mit der ersten Nacht und startet damit eine Nacht, in der die verschiedensten Moerser Bürger zu Wort kommen und den Geschichten aus 1001-Nacht Leben einhauchen. Eine ganze Nacht lang geht es in den Orient. Kaffee gibt es umsonst, auf Spendenbasis. Und für diejenigen, die zwischendurch die Müdigkeit überkommt? „Die Kissen und der große Teppich auf unserer Drehbühne sind keine Requisiten – das ist unser ganz eigener fliegender Teppich zum Ausruhen“, so Georg Mellert, ebenfalls Dramaturg am Schlosstheater Moers.

Kommen und Gehen ist natürlich jederzeit möglich. Einzig einen Wunsch hatten Stadler und Mellert vorab: „Die Hauptsache ist, dass es kein Ende gibt und immer weiter gelesen wird!“ Und so wird gelesen. Nacht für Nacht aus 1001-Nacht. Getreu dem Motto von Pina Bausch, an das Ulrich Greb, Intendant des Schlosstheaters Moers, erinnert: „Erzählt, sonst sind wir verloren!“

Kommentar:
Eine Marathonlesung. Von 19 Uhr bis zum nächsten Morgen acht Uhr. Ich war gespannt, wie sich das realisieren lässt. Bleiben die Leute dabei? Wird es leer zu später Stunde? Der Anfang war vielversprechend: Das Schloss war voll bis auf den letzten Platz und die Leute lauschten dem Prolog. Als es zur ersten Nacht kam, gingen die ersten und andere kamen.

So auch ich. Für mich hieß es nämlich erstmal: Ab auf’s MOJAZZ, bevor ich selbst um 0:15 Uhr eine Nacht lesen sollte. Witziger erster Fakt: Man trifft sich wieder. Moers wird zur Kulturstadt, bei der sich zwei ganz unterschiedliche Veranstaltungen die Besucher nicht wegnehmen, sondern teilen. Eben noch Geschichten aus 1001-Nacht gelauscht, nun miteinander zu Jazz-Musik getanzt. Und überall die Bestätigung „Wir sehen uns nachher nochmal wieder im Schloss. Ich lese auch noch.“

Gegen elf Uhr ging es zurück zum Schloss. Es gab eine kleine Verzögerung. Die Zuschauerreihen waren etwas leerer geworden, aber es waren immer noch viele Menschen da, die den Geschichten lauschten und selber lasen. Einmal tief durchgeatmet, bevor ich anfing die 45. Nacht vorzulesen. Viel zu schnell war es vorbei. Und während ich den weiteren Nächten lauschte, hatte ich das zufriedene Gefühl, dass ich ein Teil geworden war, von einer ganz besonderen Nacht in Moers. Die eine Nacht.

Autor:

Sarah Dickel aus Moers

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