Als die Christbäume vom Himmel fielen: Weltkriegs-Zeitzeugin erinnert sich

Die Protagonisten aus "Unsere Mütter, unsere Väter. Foto: ZDF
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Das ZDF-Kriegsepos „Unsere Mütter, unsere Väter“ hat mit seinem widersprüchlichen Blick auf die Kriegsjahre eine Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg angestoßen und eine breite Diskussion ausgelöst in TV, Internet und Print-Medien (TAZ:"Friedensseligkeit des arischen Filmjugenquartetts"; Spiegel:"Man muss mit dem Trauma leben und die Wunde gelegentlich aufstechen, damit sie nicht eitert.") aus. Die 91-jährige Moerserin und gebürtige Ruhrorterin Margarethe van Leuwen schaute den Film bewusst nicht an. Sie sprach mit dem Wochen-Magazin über ihre Erinnerungen an jene Zeit.

An den Geruch der verwesenden Leichname, die nach Bomben-Angriffen auf der Straße lagen, bis man sie beerdigen konnte, wird sich die rüstige alte Dame mit dem silbernen Haar und den blassblauen Augen zeitlebens erinnern. Oder an die brennende Synagoge in der Landwehrstraße, einige Straßen von ihrem damaligen Zuhause entfernt. Erstaunlich gefasst, ruhig und mit einer außerordentlichen Präzision schildert sie vor dem gemütlichen Kachelofen im Wohnzimmer des Reihenhauses grauenvolle Geschehnisse, die sich während des Zweiten Weltkrieges, auch vor ihrer Haustüre, abgespielt haben. Dass, was sie dabei empfunden hat, will, kann und mag sie vermutlich nicht in Worte fassen.

Mit Angehörigen der 20-er Jahrgänge zu sprechen, stellt die letzte Chance dar, mit Zeitzeugen des Weltkrieges, von denen nach dem Krieg Viele nicht mehr über das erlebte sprachen, an ihren Erinnerungen teil zu haben. Bevor die Letzten, die dabei waren, tot sind. Vor einem halben Jahrhundert ließ sich die inzwischen fünffache Großmutter, Jahrgang 1921, mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann in Scherpenberg nieder, um zu bauen. Längst ist ihr die für sie „andere“ Rheinseite zur zweiten Heimat geworden. Anfangs spricht Margarethe van Leuwen, die seit 17 Jahren verwitwet ist, zunächst dankbar von ihrer Damengruppe, gemeinsamen Wanderungen und herrlichen Urlaubsreisen - etwa in den Nahen Osten - die sie mit der Volkshochschule unternommen hat. Dass sie als Kind vom Orient und dem Zweistromland geträumt habe. Und mit 80 auch tatsächlich dort gewesen sei.

"Krieg muss etwas ganz Furchtbares sein."

Dann werden bei der alten Dame, die immer noch über einen hellwachen Geist verfügt, die Erinnerungen an die Kriegs-Jahre in Ruhrort präsent. Dort, wo sie die schönste Kindheit verbracht habe, die man sich vorstellen könne, hat sie vor über 70 Jahren, während des Zweiten Weltkrieges, eine schlimme Zeit durchlebt. Denn Duisburg wurde im Zweiten Weltkrieg von vielen Bomben getroffen, Pogrom und Judenverfolgung zeigten auch dort ihr grausames Gesicht. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war sie 18 Jahre alt, und lebte, aufgrund der Erzählungen ihres Vaters aus dem Ersten Weltkrieg mit der Ahnung, dass „Krieg etwas ganz Furchtbares sein muss.“ Die Zeitzeugen-Berichte, die sich derzeit – auch in Talkshows – mehren, verfolgt sie mit gemischten Gefühlen: Dass „ihre“ Generation in den Medien „Rede und Antwort“ stehen muss, sieht Margarethe van Leuwen kritisch. „Diese Jahrgänge haben das Regime nicht gewählt“, sagt die Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Junge Männer hätten keine Wahl gehabt, wenn die Einberufung kam. Dem, der sich auflehnte, drohte Schlimmes. Sie erinnert sich an eines der leidvollsten Erlebnisse, dass das Kriegsgeschehen ihrer Familie abverlangte: „Wir mussten meinen Vater unter Artillerie-Beschuss beerdigen“, erzählt sie, für einen Zuhörer schwer zu fassen. „Der Pfarrer sagte, wenn die Tiefflieger kämen, sollten wir uns schnell in Sicherheit bringen.“

Es müssen unvorstellbar schlimme Bilder sein, mit denen Margarethe van Leuwen seit über 70 Jahren lebt. „In einer Nacht nach einem Angriff wurden tote Menschen aus den Häusern geholt und lagen auf der Straße, bis man sie irgendwann beerdigen konnte. Ich habe erlebt, wie Nachbarn getötete Angehörige aus den Trümmern bergen mussten“, erinnert sie sich. Als scheinen sich die Ereignisse vor ihrem inneren Auge erneut abzuspielen, beschreibt sie präzise den Fluchtweg zum Luftschutzbunker am Marktplatz - durch den Keller des Hauses, in dem sie mit ihrer Familie wohnte. In einer „Blitz-Aktion“ musste sie sich mit ihrer Familie mittels Leitern über meterhohe Mauern in Sicherheit bringen. Am alten jüdischen Friedhof in Ruhrort vorbei, von dem nunmehr nur noch die denkmalgeschützte Mauer existiert.

Wenn der "Ari-Beobachter" Alarm schlug

Die Familie lebte in Rheinnähe an der Friedrich-Ebert-Brücke. Durch den Vordereingang des Hauses zu gehen, sei zu gefährlich gewesen. „Wenn der ,Ari-Beobachter‘ (Artillerie-Beobachter) im Erker unseres Hauses Alarm schlug, musste alles sehr schnell gehen. Unsere Taschen standen dafür immer fertig gepackt und und geschlafen wurde komplett angezogen.“ Viele Abläufe seien irgendwann automatisch abgelaufen. Einmal habe eine Frau inmitten der goßen Menschenmenge vor dem Bunker sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie deren Kind mitgenommen habe. Geistesgegenwärtig. Margarethe van Leuwen kann sich bis heute nicht daran erinnern, das Kind bewusst an sich genommen zu haben.
Unendlich geweint habe sie gemeinsam mit den Menschen im Bunker, in jener Nacht vom 4. auf den 5. März 1945, als die Friedrich-Wilhelm-Brücke, auch Admiral-Scheer-Brücke genannt, von den sich über den Rhein zurückziehenden deutschen Truppen gesprengt wurden, erinnert sich Margarethe van Leuwen. (Fotos zum Wiederaufbau der Brücke hier.)

Häufig habe sie mit ihrer Freundin in Nähe der alten Schifferbörse gesessen. „Wenn die Hunde zu bellen begannen, wussten wir, dass wir schnellstmöglich zum Bunker rennen mussten“, erinnert sie sich. Bis heute könne sie es schwer aushalten, Feuerwerk anzuschauen. Das erinnere sie ans sogenannte „Christbaumsetzen“ während des Krieges: So nannten die Menschen die grausamen Zeichen nahender Bombenangriffe. „Sogenannte Beleuchtermaschinen haben für nachfolgende Bomber Leuchtmittel abgeworfen, um die Ziele zu markieren. Von unten gesehen waren diese stufenförmig, Christbaum ähnlich, “ erinnert sie sich.

Auf die Frage, wie es - aus ihrer Sicht - dazu kommen konnte, dass die Mehrzahl der Bevölkerung das NS-Regime befürwortete, antwortet sie: „Leben Sie 'mal in einer Diktatur, darüber hinaus herrschte große Not und eine hohe Arbeitslosigkeit. Menschen äußerten sich in der Art: Wir wollen ihn (Adolf Hitler) mal wählen, schlimmer, als jetzt kann es nicht mehr werden“, erinnert sich Margarethe van Leuwen. Sie war bereits 18, als im Jahre 1939 der Beitritt zur Hitlerjungend Pflicht wurde, und „als meine Einberufung als Wehrmachtshelferin kam, hat mein Vater entschieden gesagt: ,Und da gehst du mir nicht hin!‘ Und er setzte sich durch.“
Die Gräuel im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg stehen für einen unsäglich leidvollen Zeitabschnitt, der nie in Vergessenheit geraten darf. Gerade daher müsse etwas gegen derzeitige gesellschaftliche Probleme und Missstände unternommen werden: Gegen die soziale Ungerechtigkeit und steigende Armut, Ausbeutung von Menschen, die Leib und Leben für die westliche Konsum-Gesellschaft opfern müssten, äußert die Seniorin. Sie kann nicht verstehen, dass es hierzulande so Viele gibt, die mit gar nichts zufrieden seien. „Viele müssen mit sehr wenig Geld auskommen.“„Und dann die ganzen 400-Euro-Jobs. Wenn gegen solche Dinge demonstriert werden würde, ginge ich mit meinem Rollator mit“, sagt die 91-Jährige überzeugt.

Duisburg und Ruhrort im Zweiten Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Häfen weitgehend verwüstet. Duisburg hatte während des Krieges rund 300 Luftangriffe zu ertragen, davon am 13. Mai 1943 den schwersten, den nach britischen Angaben eine deutsche Großstadt bis dahin erlebt hatte. Die Duisburger Altstadt wurde dabei zu fast 90 % zerstört. Am 14. und 15. Oktober 1944 rollten drei Wellen von mehr als Tausend Bombern über die Stadt und warfen 5.500 Tonnen Bomben, das Anderthalbfache dessen, was seit Kriegsbeginn über der gesamten Stadt niederging. Nach der Kapitulation waren fast alle wichtigen Brücken in Duisburg zerstört oder von den eigenen Truppen gesprengt worden, darunter alle fünf Rheinbrücken und die wichtigsten Ruhr- und Kanalbrücken.

In den Hafenbecken zählte man 313 versenkte und 96 beschädigte Schiffe, die die Ruhrmündung und Hafenbecken blockierten. Schiffs- und Eisenbahnverkehr waren zum Erliegen gekommen. Das Versorgungsnetz und die Infrastruktur konnten nach Kriegsende zunächst nur provisorisch wieder hergerichtet werden. Als erste Rheinbrücke wurde die Eisenbahnbrücke Haus Knipp wiederhergestellt. Zwischen Hochfeld und Rheinhausen errichteten die Alliierten eine Behelfseisenbahnbrücke, die allerdings bereits 1946 wieder gesprengt wurde, da sie den Schiffsverkehr auf dem Rhein behinderte.

Weitere Infos zum Jüdischen Friedhof in Ruhrort hier.

Autor:

Marjana Križnik aus Düsseldorf

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