NS-Lied oder uraltes Motiv?
Hatte das „Ssinter Mätes Vögelsche“ in Wahrheit ein braunes Käppchen ?

Die Generation Mülheimer Bürger, welche „Ssinter Mätes Vögelsche“ als eine Art Mölmsche „Nationalhymne“ sang und bis ins hohe Alter kein Wort vergaß, lernte das Lied in den 30ern des vergangenen Jahrhunderts in der Schule kennen. Verpflichtend. Und sie sang es jedes Jahr mit den Gleichaltrigen an den Haustüren. Wenn man nun hört, der Kern des Liedes sei nicht unbedingt christlich, vielleicht sogar mit germanischen Wurzeln, läuten die Alarmglocken: Germanenkult? Nazilied?

Wie froh war ich vor etwa 20 Jahren, als mir die Brauchtumsforschung und eigene Recherchen die Gewissheit brachten, es hier mit einer Variante eines von Flandern bis Mecklenburg-Vorpommern verbreiteten Heischeliedes (Bettellied) zu tun zu haben, dessen früheste Drucklegungen (1822) nicht aus Deutschland, sondern aus Holland stammen (Sinte Maartens veugeltje). Die Provinzen Holland, Limburg, aber auch Friesland haben Dutzende von Varianten hervorgebracht, die fein säuberlich in Brauchtumssammlungen verschiedener Universitäten aufbewahrt werden. Es geht einfach um ein Lied aus dem Niederfränkischen, dessen Verbreitung bis ins Niedersächsische hineinreichte.

Das Motiv des Martinsvögelchen, das keine bestimmte Vogelart meint, taucht im Plattdeutschen bereits im 15. Jahrhundert auf und geht auf eine französische Vorlage des 10. Jahrhunderts zurück. Goethe hat sich mit diesem Versepos beschäftigt: „Reineke Fuchs“.
Im 13. Jahrhundert entstand bereits eine mittelniederländische Version. Hier die Stelle mit dem Martinsvogel:

Ende als hi up den wech quam,
Sach hi van verren ende vernam
Sente Martins voghel ende quam ghevloghen.
Doe wart Tybeert vroe ende in hoghen
Ende riep an Sente Martins voghel:
‘Nu vliech te miere rechter hant.’

Die erste niederdeutsche Fassung, gedruckt 1498, hat Karl Simrock wie folgt übertragen:
(Hinze und Tybeert als Namen des Katers sind identisch)

Als er eine Strecke Wegs von da
St. Martins Vogel fliegen sah:
„Heil“, rief er, „edler Vogel hehr!
Wende deine Flügel hierher,
Und laß dich mir zur Rechten nieder!"
Der Vogel flog und ruhte die Glieder
Auf einem Baume, der da stand,
Und flog so Hinzen zur linken Hand.
Hierüber ward er sehr bestürzt,
Und meint', er war' am Glück verkürzt. (brachte also Unglück)

In Vintlers "Blume der Tugend" (gedruckt 1411) heißt es:
„es spricht mange (mancher) ich bin gogel, (ausgelassen, fröhlich)
ich haun gesechen sant Martis vogel
hewt an dem morgen fru,
mir stosset kain ungelück nit zu.“

Angehen, d.h. das Verhalten der Vögel beobachten und daraus die Zukunft ableiten, gab es tatsächlich bei den Germanen und die beiden Raben des Odin gaben Auskunft in jede Richtung. Nicht zu vergessen die Römer mit ihren Auguren, die aus den Knochen den Ausgang einer Schlacht vorhersagten. Auf Grund der Quellenlage beim Vögelchenmotiv darf man bei der Altersbestimmung unseres Liedes von Mittelalter sprechen, eine Datierung bis in die Germanenzeit hinein ist sicher nicht haltbar.

Der Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Schröer untersuchte in den 70er Jahren die Ideologie, die angeblich hinter der Pflege der Mülheimer Mundart steht. Seine Examensarbeit versucht sich an der These, dass der Mundartsprecher der überholten Heimatidee (der Nazis) verhaftet ist.
Mundartvereine waren für ihn nationalsozialistische Männerbünde, die die Pflege der Mundart nur vorschoben, um ihr braunes Gedankengut überleben zu lassen. Seine Staatsexamensarbeit habe ich mit großer Verwunderung aber auch Amüsement gelesen. Immerhin ist sie ein Kontrapunkt. Die Gleichsetzung von Heimatliebe und Nationalsozialismus gehörte eine zeitlang zu den antifaschistischen Pflichtübungen gerade bei den Sozialdemokraten. Der Studienrat war Vorsitzender der Mülheimer SPD und Mitglied des Bundestages und kam später in Verruf.
Dem Männerbund „Mausefalle“ verdanken wir immerhin, dass das „Mätes Vögelsche“ genau wie z.B. in Bocholt und in den Niederlanden nicht vergessen wurde. Jedes Jahr wird es beim „Chrubbel Chrabbel“ gesungen. Dieses Jahr am 10.11 um 16.00 Uhr neben dem Petrihaus am Kirchenhügel.

Alles zum Lied:

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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