Freitag hat sich die Lage entspannt
Fluten bedrohten Innenstadt

25Bilder

Donnerstagabend herrscht in der Mülheimer Innenstadt eine ungewöhnliche Stimmung: Während an markanten Punkten wie an der Florabrücke, der Schloßbrücke, am Stadthafen und auf der Eisenbahnbrücke Trauben von Menschen stehen, um die überbordenden Fluten der Ruhr zu beobachten, ertönen immer wieder Sirenen, rauschen Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr sowie Rettungsdiensten vorbei. Überall sind Einsatzkräfte und ehrenamtliche Helfer beschäftigt, Gebäude in Flussnähe mit Sandsäcken abzusichern. Die Ruhr zeigt sich an diesem Tag von ihrer gefährlichen, unberechenbaren Seite.

Eigentlich glaubte man bei der Stadtverwaltung noch morgens, dass das Schlimmste an der Ruhrstadt vorübergezogen wäre. Ein Irrtum. Bis zum Nachmittag wurden die Hochwasserstufen 1 und 2 ausgerufen, die Situation wurde immer bedrohlicher. Bis abends wuchs der Pegelstand der Ruhr stark an. Im Laufe des Tages wurden alle Tiefgaragen in der Stadt gesperrt, die Bewohner des Franziskushauses am Luisental evakuiert und auf andere Einrichtungen der Contilia-Gruppe und Krankenhäuser verlegt. Die Sparkasse schloss ihre Hauptstelle am Berliner Platz, im Ruhrquartier machten alle Betriebe und Praxen zu. Aus dem Stadtquartier Schloßstraße wurden sechs Bewohner verlegt, die auf eine Stromversorgung zum Beispiel für Beatmung, angewiesen waren. Das Sozialamt an der Ruhrstraße musste ebenfalls schließen, da die Stromversorgung vorsichtshalber abgestellt wurde. Der Parkplatz an der Konrad-Adenauer-Straße wurde gesperrt. Bis zum Abend war er komplett überschwemmt, zwei Fahrzeuge, die nicht abgeholt wurden, standen bis zur Karosserie im Wasser.

Besonders betroffen waren die Anwohner rund um die Delle. Hier waren in jedem Keller Pumpen am Werk, aus jedem Hauseingang ragten Schläuche, aus denen unaufhaltsam Wasser strömte. Rund einen Meter tief stand das Wasser in den Untergeschossen. Die Mintarder Straße wurde schon mittags zur Sackgasse, da der Deich in Höhe "Dicken am Damm" aufgeweicht war und gesichert werden musste.

Schiff zerschellte im Wehr

Der reißenden Strömung zum Opfer fiel auch ein ehemals beliebtes Fahrgastschiff, die Moornixe. Ursprünglich als MS Baldeney 1933 das erste Schiff der Weißen Flotte, das auf dem Baldeneysee fuhr, wurde sie nach ihrer Ausmusterung als Ausflugsschiff in Ostfriesland eingesetzt. Dort entdeckte sie der jetzige Eigentümer, der Essener Verein "Segeln und Freizeit" und holte sie an der Ruhr zurück. Bürger hielten auf Video fest, wie das am Ruhrufer vertäute Schiff durch einen treibenden Baumstamm, der das Boot rammte, losgerissen wurde und auf die Florabrücke zutrieb. Dort wurde das Schiff direkt vor dem Walzwerk in die Tiefe gezogen und zertrümmert. Auch ein weiteres, deutlich kleineres Boot wurde auf diese Weise am Walzwerk zerstört.

Der Pegel blieb bis Donnerstagnacht konstant hoch. Sandsäcke wurden bis in die Nacht befüllt und verbaut. Insbesondere im Bereich des Wasserbahnhofs wurde ein rund ein Meter hoher Sandsackwall aufgebaut, der das Eindringen von Wasser in die umliegenden Häuser verhinderte. Da im Wasserwerk auf der Schleuseninsel nicht alle Turbinen arbeiteten, wurde die Schleuse geöffnet, um den Druck vom Gebäude zu nehmen. Der Krisenstab traf alle Vorkehrungen, um auch in der Nacht auf eine dynamische Lage zu reagieren. Der Pegelstand stieg auf 35,20 Meter.

Bewohner mit Schlauchboot gerettet

Die rund 300 ehrenamtlichen sowie hauptamtlichen Einsatzkräfte haben alleine am Donnerstag über 90 starkregen bedingte Einsätze gefahren. Parallel dazu wurden 162 Rettungsdienst- und Krankentransporteinsätze gefahren. In Mintard wurden 15 Bewohner sowie sechs Katzen, die von den Wassermassen eingeschlossen waren, mittels Schlauchboot aus ihren Wohnhäusern gerettet. In den Ruhrauen holen die Besitzer Kühe und Pferde von den schon teilweise überfluteten Wiesen. Die Stadt und die SWB stellen Wohnungen und Betreuungsplätze zur Verfügung für Menschen, die nicht in ihren eigenen vier Wänden bleiben können (Tel. 0208/45002-115).

Keine Opfer zu beklagen

Am Freitagmorgen dann Entwarnung: Der Pegelstand ist bereits um 80 Zentimeter gesunken. "Wir hatten eine außergewöhnliche Situation, aber keine Katastrophe im Gegensatz zu anderen Städten und Gemeinden", zieht Stadtsprecher Volker Wiebels mittags ein erstes Fazit. "Die Situation ist inzwischen relativ entspannt." Einen Durchfluss von 1600 Kubikmeter Wasser hat man seit Jahrzehnten nicht gehabt. Es hat materielle Schäden im Privatbereich gegeben. Wie groß diese im öffentlichen Bereich sind, an den Straßen oder auch Gebäuden, die am Wasser stehen, wird sich noch zeigen, wenn das Wasser wieder weg ist. Aber das Wichtigste ist: In Mülheim gab es keine Todesopfer wie woanders.

Noch immer arbeitet die Feuerwehr auf Hochtouren. Und es wird noch dauern, bis das Wasser auf den Normalstand zurückgesunken ist. Denn auch der Rhein ist voll, das Ruhrwasser kann nicht so schnell ablaufen. "Wenn im Oberlauf der Ruhr nicht noch etwas passiert, gehen wir davon aus, dass sich die Lage bald wieder normalisiert", zeigt sich Wiebels optimistisch. In der nächsten Woche ist wieder sonniges Wetter angesagt. Das Hafenbecken in der Stadtmitte ist am Freitag komplett vollgelaufen. Foto: Tempel

Update: Viele Wege wieder frei

Am Montag, 19. Juli, hat sich die Lage in Mülheim weitestgehend entspannt. Die Mintarder Straße ist wieder frei. Kurz darauf wurde auch die Ruhrpromenade einschließlich Hafenbecken freigegeben. Der Zugang zum Ruhrkristall ist ebenfalls wieder nutzbar.

Autor:

Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

1 Kommentar

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.