Kinderschutzbund schließt Beratung
Wichtiges Angebot kann nicht mehr finanziert werden

Noch im Februar freute sich der Vorstand des Kinderschutzbundes (Vorsitzende Dr. Melanie Oechler, 2.v.l.,ihre Stellvertreterin Susanna Neef (rechts) und die Mitarbeiter der Beratungsstelle Elena Stannowski und Thomas Lackas) über eine Spende der Luisenschüler.  Zu dem Zeitpunkt wollte man sich noch auf die Beratung focussieren.  | Foto: Thomas Emons
  • Noch im Februar freute sich der Vorstand des Kinderschutzbundes (Vorsitzende Dr. Melanie Oechler, 2.v.l.,ihre Stellvertreterin Susanna Neef (rechts) und die Mitarbeiter der Beratungsstelle Elena Stannowski und Thomas Lackas) über eine Spende der Luisenschüler. Zu dem Zeitpunkt wollte man sich noch auf die Beratung focussieren.
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Der Kinderschutzbund (DKSB) in Mülheim muss zum 30. Juni seine Beratungsstelle gegen Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch von Kindern aus wirtschaftlichen Gründen schließen. „Wir haben bereits vor einem Jahr auf die Unterfinanzierung hingewiesen, aber weder durch das Land noch durch die Kommune effektive Unterstützung bekommen“, erklärt Melanie Oechler, Vorsitzende des DKSB Ortsverbandes Mülheim.

„Unser großer Eigenanteil wird in erster Linie aus Spenden finanziert. Für uns als gemeinnütziger Verein ist es eine immense Anstrengung, auf dieser Basis die Finanzierung der Beratungsstelle alljährlich sicherzustellen.“ Land und Kommune übernehmen zusammen nur knapp die Hälfte der Kosten der Beratungsstelle.

„Missbrauchsfälle wie in Lügde oder aktuell in Münster erschüttern NRW. Und in Mülheim wird sehenden Auges hingenommen, dass die primäre Anlaufstelle für Kinder unter 14 Jahren wegbricht,“ kritisiert Mauno Gerritzen, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Mülheim. Die Bevölkerung soll genauer hinschauen, wird dieser Tage gefordert – Beratungsstellen sind für besorgte Nachbarn und Angehörige eine weitaus niedrigschwelligere Anlaufstelle als das Jugendamt.
Auch in Mülheim nehmen die Meldungen möglicher Kindeswohlgefährdungen seit Jahren kontinuierlich zu, wie der aktuelle Bericht des Kommunalen Sozialen Dienstes zeigt. In 246 Fällen stellte das Jugendamt 2019 eine latente oder akute Kindeswohlgefährdung fest; auch dieser Wert ist gestiegen. Kurz gesagt: Immer mehr Kinder in Mülheim erleben Gewalt.

„Es ist mir unbegreiflich, dass der öffentliche Träger vor diesem Hintergrund keine Lösung finden konnte, um das bewährte Beratungsangebot des Kinderschutzbundes zu erhalten“, so Gerritzen. „Gerade in Zeiten von Homeschooling und Kurzarbeit ist die Lage in vielen Familien mehr als angespannt.“

Viele Fachberatungen in
NRW sind unterfinanziert

Auch die Beratung für Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher in Verdachtsfällen gehörte bislang zum Tagesgeschäft der Beratungsstelle des Kinderschutzbundes – ab Juli bricht dies ebenfalls ersatzlos weg. Der Landesverband des Kinderschutzbundes kennt die wirtschaftlichen Nöte der Fachberatungen aus zahlreichen Städten Nordrhein-Westfalens. „So wie in Mülheim sind landesweit viele spezialisierte Beratungsstellen unterfinanziert“, sagt Landesgeschäftsführerin Krista Körbes. Seit den 1990er Jahren habe es keine Anpassung der Fördergelder des Landes gegeben. Gerade im Hinblick auf die Präventionsbemühungen des Landes im Bereich sexualisierter Gewalt müsse bei der Finanzierung der Fachberatungsstellen dringend nachjustiert werden.

Auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege beschäftigt sich mit der Finanzierung der Fachberatungsstellen in NRW. „Die Notwendigkeit, einen Eigenanteil in oft nicht unerheblichem Maße erwirtschaften zu müssen, bindet einen Teil der vorhandenen Ressourcen, die besser in die Beratung und Konzeptentwicklung einfließen sollten“, heißt es in einer Stellungnahme vom Mai 2020 – und weiter: „Eine gesicherte Finanzierung und die Ausweitung der Aufgaben sollten vorrangige Ziele auf der politischen Agenda sein.“

Dezernent reagiert mit Unverständnis

Mit völligem Unverständnis und einem Kopfschütteln reagiert Jugenddezernent Marc Buchholz auf die Ankündigung des Kinderschutzbundes Mülheim, seine Beratungstätigkeit im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen einstellen zu müssen. [/text_ohne]
„Wir waren mit dem Kinderschutzbund in intensiven Gesprächen, wie das Angebot aufrecht erhalten werden könne, die jetzige Ankündigung macht mich sprachlos“, so Marc Buchholz. Die Titelzeile der Pressemitteilung des Kinderschutzbundes sei schlichtweg falsch, so der Dezernent, es breche kein „Beratungsangebot in Mülheim ersatzlos weg“.

Andere Träger, wie beispielsweise die AWO, sind auch in diesem Betätigungsfeld unterwegs, so der Dezernent. Die in der Pressemitteilung des Kinderschutzbundes erhaltenen Vorwürfe gegen die Stadt, es hätte keine ausreichende Finanzierung gegeben, kann Buchholz so nicht stehen lassen. „Vielmehr war es so, dass trotz einer vertragsgemäßen Finanzierung teilweise aufgrund von fehlenden personellen Ressourcen beim Kinderschutzbund die Leistung nur zur Hälfte oder gar nicht erbracht werden konnte. Trotz alledem haben wir den Kinderschutzbund nicht im Regen stehen lassen und gezahlt. Jetzt werden wir andere Wege gehen - ich bedauere die Entscheidung des Kinderschutzbundes sehr. Ohne Not wird hier eine jahrzehntelange bewährte Partnerschaft beendet“.

Das sind die ersten Reaktionen aus der Politik.

Autor:

Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr

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