Wer soll zukünftig die Mülheimer Sozialdemokratie als Vorsitzender anführen?
Ein fairer Wettstreit der Ideen

Sina Breitenbruch-Tiedtke sagt: „Die SPD ist die Klammer unserer Gesellschaft.“
Foto: Andreas Köhring
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Am 28. September wird der Unterbezirksparteitag der SPD Mülheim/Ruhr einen neuen Vorsitzenden wählen. Die Mülheimer Woche hat sich mit den Kandidaten unterhalten.

Sina Breitenbruch-Tiedtke und Rodion Bakum stellen sich der Wahl. Die Bewerber schmeißen sich mit aller Kraft in den parteiinternen Wahlkampf und liefern sich einen fairen Wettstreit der Ideen. Die zuletzt so gebeutelte Mülheimer SPD kann durch diese gelebte Basisdemokratie eigentlich nur gewinnen.

Vertrauen zurückgewinnen

Die 35-jährige Saarnerin Sina Breitenbruch-Tiedtke die erste in der Familie, die studieren konnte. Seit 2004 Mitglied der SPD, brachte sie es zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jusos. Die Diplom-Sozialwissenschaftlerin war persönliche Referentin von Hannelore Kraft und ist inzwischen Referatsleiterin im Europa-Ministerium NRW. Ihre SPD sei durchaus noch in den Herzen der Menschen verankert. Das habe sie beim Europawahlkampf erlebt: „Da habe ich gespürt, dass die Mülheimer sehr wohl noch etwas von der SPD möchten. Dass sie hinter unseren Inhalten stehen. Aber da ging so viel Glaubwürdigkeit verloren in den letzten Jahren.“ Es sei verdammt schwer, zu den Menschen durchzudringen: „Wir haben da krasse Diskussionen geführt. Die Bürger auf der Straße sind schlau unterwegs, denen kann man nix vormachen. Da müssen wir erst Vertrauen zurückgewinnen. Das geht nur mit einem ehrlichen Neustart. Mit harter inhaltlicher Arbeit. Es wird ein Langstreckenlauf sein, für den wir alle Kräfte benötigen.“

„Wir müssen uns kümmern“

Sina Breitenbruch-Tiedtke steht für klare politische Inhalte. Europa und vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind Themen für die Mutter eines Sohnes. Sie möchte gerade die Frauen wieder begeistern für die SPD und nennt ein Beispiel: „Wenn ich mir den Mülheimer Verwaltungsvorstand anschaue oder die kommunalen Unternehmen, wo sind da die Frauen? Dabei hat unsere Partei doch die Gleichstellung in der DNA. Wir haben fürs Frauenwahlrecht gekämpft. Da muss mehr passieren.“ Die Mülheimer SPD habe viele Baustellen anzugehen, da wolle sie als Vorsitzende treibende Kraft sein: „Wir müssen uns kümmern. An Türen klopfen und Gespräche führen. Auch müssen wir in intensiven Kontakt treten mit den Ortsvereinen. Das geht nur im Dialog.“ Sie sei auch durch ihren Beruf eher der diplomatische Typ: „Aber wenn ich Ungerechtigkeiten sehe, dann benenne ich sie auch.“ Jünger müsse die SPD werden, weiblicher, dürfe aber dabei auf keinen Fall die Erfahrenen vergessen: „Ich möchte nicht, dass hier noch mehr Wissen verloren geht. Da gibt es in Mülheim hochgeschätzte Persönlichkeiten, die eingebunden werden wollen.“ Die Parteiarbeit müsse gerade im Hinblick auf Digitalisierung professioneller werden, eine Grundidee und dazu eine Kampagne entwickeln: Wo soll die Stadt hin? „Wenn wir nicht eine visionslose Stadt bleiben wollen, müssen wir die Bürger einbinden. Da ist so viel Potenzial in Mülheim. Die Menschen möchten doch ihre Stadt nach vorne bringen. Da sind wir gefragt als die Partei des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit. Die SPD ist die Klammer unserer Gesellschaft.“

Nie den einfachen Weg gewählt

Auch der 28-jährige Rodion Bakum ist in Saarn groß geworden. Er wurde in Kiew geboren und kam als zweijähriger jüdischer Kontingentflüchtling mit seiner Familie nach Deutschland. Beim Tennis und vor allem beim Leistungssport Taekwondo - Bakum hat den schwarzen Gürtel - bekam er es mit unterschiedlichsten Menschen zu tun und tankte viel Selbstvertrauen. Seit 2009 ist er Mitglied der SPD. Der Arzt leitet seit Mai den Ortsverein Eppinghofen und ist im Rat der Stadt sozialpolitischer Sprecher der Fraktion. Schon allein die Ausreise seiner Eltern in eine freie, aber ungewisse Zukunft hat ihn geprägt. Bakum steht wie kein Zweiter für Aufstieg durch Bildung. Er habe nie den einfachen Weg gewählt, weder im Sport noch im beruflichen Werdegang: „Und da möchte ich Lebenserfahrung eher an Inhalten als in Jahren messen.“

„Ich reiße mir den Hintern auf“

In der Causa Scholten betont Bakum: „Hier gilt die Unschuldsvermutung. Die Fragen nach politischen Erfolgen und moralischem Verhalten müssen wir uns alle gefallen lassen.“ Auch zur Kommunalwahl würde Rodion Bakum gern einen basisdemokratischen Prozess sehen: „Spitzenkandidaten und Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters müssen sich bei den Mitgliedern das Vertrauen holen und damit respektvoll umgehen. Die Zukunft der SPD wird es nur mit den Leuten geben, die die Stadt nach vorne treiben. Welche Ziele hat ein zukünftiger OB? Da braucht es Visionen und Ideen. Das sollte als Anforderungsprofil für uns alle gelten.“ Rodion Bakum möchte mit Mut zur Verantwortung vorangehen: „Letztlich seht der Vorsitzende für Erfolge und Misserfolge.“ Das Verfahren sei völlig offen: „Die Mitglieder entscheiden. Ich reiße mir den Hintern auf. Das hat die Partei verdient.“ Für die kommenden Jahre sieht Rodion Bakum durchaus Perspektiven: „Wir müssen ein klares Programm aufstellen und in Demut Politik mit den Menschen machen. Knallhart an inhaltlichen Fragen arbeiten. Langfristige sozialdemokratische Politik in Reinkultur anbieten. Beim Thema Digitalisierung stellen wir den Menschen in den Vordergrund. Die Mülheimer schauen da ganz genau hin. Umweltschutz und Wirtschaft sind kein Widerspruch. Bei Lärm und Feinstaub müssen wir an die Menschen denken, die nicht in die Außenquartiere ziehen können. Wir müssen immer den Dreiklang aus Ökologie, Sozialem und Ökonomie sehen.“ Bakum ist unerschütterlicher Optimist: „Wir können Wahlen gewinnen. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

Wie hast du’s mit der GroKo?

Natürlich kommt man als Sozialdemokrat um zwei Gretchenfragen nicht herum: Wer macht das Rennen um den Bundesvorsitz? Wie hast du's mit der GroKo?
Für Sina Breitenbruch-Tiedtke ist die Doppelspitze „ein sehr gutes Modell“. Einige Tandems stellten die GroKo massiv in Frage: „Die jetzige Koalition sehe auch ich definitiv kritisch. Die CDU schmückt sich mit Erfolgen, die auch wir mit angeschoben haben.“ Die SPD werde nur als Juniorpartner wahrgenommen und könne sich nur in der Opposition wirklich erneuern. Für den Parteivorsitz ist ihr Votum klar: „Ich unterstütze die Bewerber aus NRW. Christina Kampmann und Michael Roth sind ein tolles Duo.“
Rodion Bakum findet das Bewerberfeld sehr interessant und freut sich über die große Bandbreite der Ausrichtungen: „Gut, dass Mitglieder der Regierung antreten. Auch Norbert Walter-Borjans hat für viel Aufsehen gesorgt. Ich werde mir am 6. Oktober bei der Regionalkonferenz in Duisburg ein Bild machen.“ Beim Thema GroKo ist Bakum vorsichtig: „Ich habe zwar mit Nein gestimmt damals. Aber die Mehrheit der Mitglieder hat anders entschieden. Nach der Halbzeitbilanz muss die Latte für ein Aufkündigen sehr hoch liegen. Es macht schon einen Unterschied, ob die SPD in der Regierung sitzt oder nicht. Was bewirken wir für dieses Land? Können wir seriöse und verlässliche Politik machen? Ein Bruch der Koalition müsste sehr gut erklärt werden.“

Sina Breitenbruch-Tiedtke sagt: „Die SPD ist die Klammer unserer Gesellschaft.“
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Rodion Bakum ist unerschütterlicher Optimist: „Wir können Wahlen gewinnen.“
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Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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