Politik
Grundsteuerbescheide sorgen für viel Unmut

Foto: Foto: Verband Wohneigentum
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Nachdem die Grundsteuerbescheide verschickt sind und viele Bürger Schwarz auf Weiß haben, was sie die Erhöhung der Grundsteuer B auf 890 Prozent in diesem Jahr kostet, ist die Empörung groß. Von Protestaktionen ist online die Rede oder von der Möglichkeit, Widerspruch einzulegen.

Die Politiker müssen in diesen Tagen und auch bei der nächsten Ratssitzung damit rechnen, dass sie der Unmut der Bürger trifft. Eine zunächst angedachte Demonstration aber wird es wohl nicht geben. Denn dann müsste die Bürgerin, die die Idee angestoßen hat, sowohl für die Sicherheit als auch für die Folgen der möglichen Demo gerade stehen - das Risiko war ihr denn doch zu groß.

Eine weitere Überlegung ist, eine Petition zu starten. Das lässt sich online über OpenPetition.de leicht einrichten, wäre aber auch nur ein symbolischer Protest. Denn eine Petition ist unverbindlich und hätte für den Rat keinerlei rechtliche Auswirkung. Im Gegensatz zu einem Bürgerbegehren, das bei ausreichender Anzahl von Unterschriften in einen Bürgerentscheid mündet, der wiederum den Rat verpflichtet, dem Votum der Bürger zu folgen.

Was jeder Einzelne tun kann, ist Widerspruch gegen den Grundsteuerbescheid einzulegen. Dieser wird dann von der Stadt rechtlich überprüft. Bleibt sie bei der Erhöhung, müsste ein Bürger klagen. Die Aussichten auf Erfolg hält Mülheims Rechtsdezernent Dr. Frank Steinfort aber für ziemlich gering. "Der Rat der Stadt hat einen Ermessungsentscheid getroffen. Es gibt Fälle, in denen Gesetze unterschiedlich ausgelegt werden können. Das ist in diesem Fall aber nicht so. Denn der Rat hat den Ermessensspielraum, die Steuer festzulegen. Natürlich kann jeder Bürger Widerspruch einlegen, die Aussicht auf Erfolg ist aber gering". Steinfort weist darauf hin, dass ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat - der Bürger muss auf jeden Fall zahlen. Ein Musterformular für einen Widerspruch kann unter anderem hier heruntergeladen werden.

Letzte Hemden werden gesammelt

Die BAMH - die im Rat dem Haushalt nicht zugestimmt hat - kanalisiert den Protest mit einer sinnbildlichen Aktion: Sie sammelt ab sofort die "Letzten Hemden" der Mülheimer und will sie vor der nächsten Ratssitzung am 14. Februar an den Kämmerer Frank Mendack übergeben. Abgegeben werden können die Hemden in der BAMH-Geschäftsstelle, Löhberg 68/70 (am Rathausplatz) wochentags zwischen 9 und 15 Uhr.

Die MBI, die ebenfalls dem Haushalt nicht zugestimmt hat und die Steuererhöhung als "Erhöhungsorgie" geißelt, sieht für mögliche Klagen auch keine große Erfolgsaussichten, wie entsprechende Klagen in Duisburg vor zwei Jahren gezeigt hätten. Da der Rechtsstaat keinen Hebel böte, könne man nur Landesregierung und Aufsichtsbehörde auffordern, sich endlich intensiver und anders als bisher um ihr „Sorgenkind“ Mülheim zu kümmern, denn schließlich bürge das Land für seine Städte und auch Düsseldorf sollte es nicht gleichgültig sein, wenn die Bevölkerung in einer ihrer Großstädte derart vor den Kopf gestoßen werde.

Außerdem hinterfragen die Ratsmitglieder der MBI, ob die anvisierten Mehreinnahmen von 16 Millionen Euro durch die Grundsteuererhöhung überhaupt erreicht werden, denn die Stadt sei selber Mieter von vielen Gebäuden wie dem technischen Rathaus oder Schulen oder über städtische Gesellschaften gar Eigentümer. Deshalb will die Fraktion im Finanzausschuss am 5. Februar eine Anfrage stellen, um zu klären, wieviel der Grundsteuererhöhung die Stadt selber finanzieren muss. Die MBI will auch wissen, wie sich die Steigerung auf den Haushalt der Sozialagentur auswirkt. Da die Grundsteuer über die Nebenkosten an die Mieter weiter gegeben werden kann, könnte die Folge sein, dass die Sozialagentur diese bei Hartz IV-Empfängern übernehmen muss.

MBI lädt zum Treffen

Außerdem lädt die MBI alle interessierten Bürger zu einem Treffen ein, um gemeinsam zu überlegen, was jeder Einzelne und was man gemeinsam unternehmen könnte, um die Grundsteuererhöhung wenigstens in Teilen wieder rückgängig zu machen. Das Treffen findet am Dienstag, 22. Januar, um 19 Uhr in der Gaststätte „Altes Schilderhaus“, Südstraße 2, statt.

Der Protest trifft die Lokalpolitiker nicht unvorbereitet. Dieter Spliethoff, Fraktionsvorsitzender der SPD, die gemeinsam mit der CDU und den Grünen die Entscheidung getragen hat, die Grundsteuer erneut zu erhöhen, betont: "Diese Härte mussten wir den Bürgern einfach zumuten. Wenn wir es nicht gemacht hätten, dann hätte der Sparkommissar übernommen und das Gleiche getan." In seinen Augen gab es zur Erhöhung der Grundsteuer B keine vernünftige Alternative. Auch die Erhöhung der Betreuungskosten in Kindergärten und Schulen würden bei den Bürgern zu Protesten führen.

Mit Blick auf die Diskussion im Internet betont Dieter Spliethoff: "Jetzt mit Schuldzuweisungen zu kommen, greift eindeutig zu kurz. Das Kind ist schon vor Jahrzehnten in den Brunnen gefallen. Nun müssen wir die Weichen in eine positive Zukunft stellen." Und dazu gehörte, durch die beschlossenen Maßnahmen endlich am Stärkungspakt des Landes teilhaben zu können. Um die Bürger auf dem Weg mitzunehmen, planen SPD, CDU und die Grünen eine Bürgerinformation.

SPD, CDU und Grüne wollen Bürger einladen

"Wir werden uns den Gesprächen stellen, weil wir Verantwortung übernehmen, statt uns wie andere einen schlanken Fuß zu machen." Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben. Die Erhöhung der Grundsteuer dürfte fast jeder Bürger zu spüren bekommen, nicht nur Eigentümer, denn in der Regel kann die Grundsteuer auf die Mietnebenkosten umgelegt werden.  Dieter Spliethoff

Hintergrund

In der Ratssitzung am 7. Dezember gelang es nach langem Kampf und vielen Gesprächen in Arbeitsgruppen und zwischen den Fraktionen einen genehmigungsfähigen Haushalt zu beschließen.

Beschlossen wurde die Erhöhung der Grundsteuer B und Einsparungen beim ÖPNV. Die Erträge von 839.733.966 Euro sollen die Aufwendungen von 833.287.175 Euro übersteigen. So wurde die Voraussetzung für die Auszahlung der Stärkungspaktmittel in Höhe von rund 31,7 Millionen Euro jährlich geschaffen.

Ein weiterer Punkt ist der Rückkauf des Rathauses unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten. Das ergäbe ab 2023 eine Einsparung von Zinsbelastungen in Höhe von einer Millionen Euro jährlich. Hintergrund

Online-Stimmen zur Erhöhung

"Ihr solltet euch alle zusammen tun und zur nächsten Stadtratsitzung gemeinsam einrücken und dort eure Meinung sagen. Natürlich zum Schluss mit einer Frage: Warum sollen wir Bürger für Ihre Misswirtschaft gerade stehen?Nur so könnt ihr, im Moment, eurer Wut öffentlich Ausdruck verleihen."
Annette Nagel

Das Problem ist doch auch, dass die Stadt alles renoviert hat. Dass andere bezahlt haben und deswegen Unmengen an Miete gezahlt werden muss für Feuerwehr, Schulen ... Das ist in Summe dann mehr Miete als die Renovierung oder Bau gekostet hätte. Da zahlt die Stadt noch Jahrzehnte dran."
Norma Gräfenstein

"Vielleicht sollte man mal die Gewerbesteuer runtersetzen und ein ordentliches Standortmarketing betreiben? Dann siedeln sich Firmen an und die Lohnsteuer geht ebenfalls teilweise an die Kommune. Aber wenn ich so durch Mülheim laufe, habe ich das Gefühl dass jeder zweite keine Lohnsteuer zahlt sondern von der Kommune noch alimentiert wird. Jetzt noch Einsparungen beim ÖPNV vorzunehmen macht die Stadt als Wirtschaftsstandort noch unattraktiver."
Sascha Brandstätter

"Widerspruch wegen Unverhältnismäßigkeit einlegen. Grundsteuer nur unter Vorbehalt bezahlen. Wichtig: Das muss im Schreiben und auch auf dem Überweisungsträger vermerkt sein. Die Stadt muss jeden Widerspruch einzeln prüfen. Danach kann der Klageweg bestritten werden. In 39 Prozent der Fälle haben andere Gerichte an anderen Orten schon positiv für den Kläger entschieden."
Andre Habruch

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Foto: Foto: SPD Mülheim
Autor:

Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr

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